»Das... sind Patronen«, sagte Kimberley erstaunt. »Gewehrmunition...?«

»Vielleicht will er jemanden erschießen«, antwortete ich.

»Vielleicht hat er das ja schon«, fügte Kim hinzu. »Was bedeutet das, John?«

»Ich weiß es nicht«, antwortete ich. »Was ist mit dem Polizisten? Ist er auch besessen?« Die Frage tat mir bereits leid, noch bevor ich sie ganz ausgesprochen hatte. Ich hatte mir fest vorgenommen, Kim nicht auf ihre unheimliche Fähigkeit anzusprechen, die Nähe eines Ganglions zu spüren.

Sie reagierte jedoch nicht verletzt, sondern hob nur die Schultern. »Ich habe nichts gespürt. Aber ich glaube es nicht.«

Steel steckte den Beutel mit den Patronen ein, griff in eine andere Tasche und lieferte mir die Antwort auf meine Frage, denn er zog ein ganzes Bündel Geldscheine heraus und zählte eine nicht geringe Anzahl davon ab, die er dem Cop reichte. Agenten der Hive würden sich kaum gegenseitig für ihre Dienste bezahlen.

»Was bedeutet das?«, murmelte Kim erneut, nachdem sie eine Weile konzentriert und stirnrunzelnd in Steels Richtung geblickt hatte. »Gewehrkugeln... Glaubst du, dass... dass es das bedeutet, was ich glaube?«

Ich wusste nicht, was sie glaubte, aber ich spürte, dass ich es eigentlich hätte wissen müssen. Ich wollte es nicht wissen, das war die Wahrheit. Noch nicht.

»Ich werde es herausfinden«, sagte ich entschlossen. »Warte hier.«

Ich streckte die Hand nach dem Türgriff aus, aber Kimberley hielt mich mit einer erschrockenen Bewegung zurück. »Nicht!«

Die Heftigkeit ihrer Reaktion überraschte mich; und Kimberley anscheinend auch selbst, denn sie zog die Hand fast genauso hastig wieder zurück. Einen Moment lang sah sie eindeutig verlegen aus. »Ich... ich meine nur... sei bitte vorsichtig.«

»Ganz bestimmt«, versprach ich und das war so ehrlich gemeint, wie es klang. Steel hatte uns schließlich vor weniger als vierundzwanzig Stunden auf die nur denkbar drastischste Weise bewiesen, dass er es bitter ernst meinte. Und ich war nicht lebensmüde. Um Kim (aber wahrscheinlich noch viel mehr mir selbst) zu beweisen, dass ich es ernst meinte, griff ich auf den Rücksitz, nahm die Waffe aus dem Koffer und entsicherte sie, ehe ich sie einsteckte. Kimberley sah nicht so aus, als beruhige sie dieser Anblick, aber sie sagte nichts dazu.

Ich wartete, bis der Polizeiwagen wieder abgefahren war, dann öffnete ich die Tür und stieg aus; mit einer wie zufällig wirkenden Drehung, die hoffentlich nicht nur möglichst natürlich wirkte, sondern auch dafür sorgte, dass Steel mein Gesicht nicht erkennen konnte, sollte er zufällig in unsere Richtung blicken. Ich wartete zwei, drei Sekunden, in denen ich scheinbar am Türschloss herumfummelte, dann nickte mir Kim aus dem Wagen heraus beruhigend zu, und ich wagte es, mich endgültig herumzudrehen. Steel ging gerade, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe zum Eingang des Striplokals hinauf. Über dem Eingang schrie eine pinkfarbene Leuchtreklame THE CAROUSEL CLUB in die Nacht hinaus. Sie war so schäbig wie das gesamte Gebäude, selbst für Steel eigentlich zu schäbig.

Steel verschwand in der Bar, ohne noch einen Blick auf die Straße zurückzuwerfen, und ich folgte ihm. Seltsamerweise war ich ganz ruhig. Steel würde keinen Sekundenbruchteil zögern, mich zu erschießen, wenn er mich entdeckte, aber mir wurde plötzlich klar, dass das umgekehrt auch für mich galt. Meine Hand war in die Tasche geglitten und hatte sich um die Pistole geschlossen, ohne dass ich es auch nur gemerkt hatte. Die Frage war nicht, wer von uns mehr dazu bereit war, den anderen zu töten. Die Frage war einzig, wer schneller war.

Ich erschrak vor meinen eigenen Gedanken und beschleunigte meine Schritte; beinahe, wie um mir selbst keine Gelegenheit mehr zu geben, womöglich doch im letzten Moment noch einmal kehrtzumachen. Als ich die Tür des Carousel öffnete, begannen meine Hände nun doch leicht zu zittern. Ich redete mir ein, dass es Anspannung war, nicht Nervosität, aber die Wahrheit war wohl: Ich wusste es nicht.

Gedämpfte Big-Band-Musik und rotes Licht schlugen mir entgegen, als ich mit gesenktem Kopf durch die Tür trat und mich umzusehen versuchte, ohne dass jedermann hier drinnen sofort mein Gesicht erkennen konnte. Das Innere des Clubs erfüllte fast hundertprozentig die Erwartungen, die sein schäbiges Äußeres in mir geweckt hatte. Alles hier drinnen war billig, bunt und aufgesetzt. Die Bar und das knappe Dutzend kleiner runder Tische waren zerschrammt und hätten bei Tageslicht betrachtet wahrscheinlich sofort auf die Müllkippe gehört. Eine Hand voll roter und gelber Lampen verbreitete schummeriges Licht, aber auch eine Atmosphäre, die ich eher als unangenehm als in irgendeiner Weise anregend empfand. Auf einer kleinen, von einem Flittervorhang begrenzten Bühne am anderen Ende des Raumes führte eine nicht mehr ganz junge Tänzerin das vor, was man Mitte der sechziger Jahre im Land der unbegrenzten Möglichkeiten unter einem Striptease verstand. Ich sah nicht einmal richtig hin.

Dafür musterte ich das halbe Dutzend Tische vor der Bühne umso aufmerksamer. Der Club war trotz allem ziemlich gut besucht, was mir natürlich nur recht war. Ich entdeckte Steel erst beim zweiten Hinsehen. Er saß an einem Tisch unmittelbar neben der Bar und verfolgte die Darbietung der Tänzerin mit offensichtlich großem Interesse. Vielleicht kannte man ja auf dem Mars keinen Striptease. Wenn er von dem berichtete, was er hier zu sehen bekam, würde man ihn dort wohl auch nie einführen.

Ich ging zur Bar, nahm auf einem Hocker in Steels Hörweite Platz und bedeutete dem Barkeeper mit Gesten, mir ein Bier zu bringen. Steel würde meine Stimme wahrscheinlich nicht erkennen, so gebannt wie er von der Tanzvorführung war, aber ich hatte wenig Lust, mich von einer Kugel im Hinterkopf eines Besseren belehren zu lassen.

Das bestellte Bier kam. Ich schenkte mir selbst ein, trank hastig den Schaum ab und füllte das Glas randvoll nach, was mir einen tadelnden Blick des Barkeepers einbrachte – aber auch einen improvisierten Spiegel, in dem ich zumindest Steels Gestalt als verzerrten Reflex hinter mir erkennen konnte. Er war noch immer allein, nippte ab und zu an einem Drink und wippte zum Takt der Musik mit dem rechten Bein, das er lässig über das linke geschlagen hatte. Ich hoffte nur, der Kerl war nicht wirklich hierher gekommen, um sich den Striptease anzusehen und sich auf Kosten seines Spesenkontos bei Majestic zu betrinken. Denn während der nächsten zehn Minuten zumindest tat er genau das. Mir kamen sie vor wie eine Stunde, und Kimberley, die draußen im Wagen wartete, mussten sie wie ein ganzes Jahr erscheinen. Ich betete, dass sie nicht die Nerven verlor und mir nachkam. Dass Steel mich nicht entdeckt hatte, grenzte an sich schon an ein kleines Wunder.

Ich war nahe daran, mein mittlerweile schal gewordenes Bier auszutrinken und es aufzugeben, als sich ein zweites, verzerrtes Spiegelbild neben das Jim Steels in meinem Bierglas setzte.

»Mister Ruby!« Steel hob sein Whisky glas und prostete dem Mann spöttisch zu. »Ich dachte schon, Sie hätten unsere Verabredung vergessen.«

Ich nahm all meinen Mut zusammen, drehte mich auf dem Barhocker halb herum und tat so, als hätte ich nun doch mein Interesse für die Stripteasevorführung auf der Bühne entdeckt. Die Tänzerin hatte mittlerweile gewechselt, aber die Qualität der Darbietung nicht. Immerhin konnte ich den Mann, der sich zu Steel gesetzt hatte, jetzt deutlich erkennen. Er musste zwischen vierzig und fünfzig Jahre alt sein, neigte zur Fettleibigkeit und trug einen teuren Anzug, der an ihm aber seltsamerweise ebenso schäbig wirkte wie dieses ganze Etablissement. Er war sehr nervös. Hätte er gewusst, dass sein Gesicht vierundzwanzig Stunden später auf jedem Fernsehschirm der westlichen Welt zu sehen sein würde, wäre er vermutlich noch sehr viel nervöser gewesen.

»Wieso kommen Sie hierher, Jim?«, fragte er. »Ich will nicht, dass wir uns hier treffen, das wissen Sie doch!«


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