»Wann hat es angefangen?«, fragte Hertzog. Etwas in seiner Stimme änderte sich, fast unmerklich, aber von einem Augenblick auf den anderen. Er klang immer noch nicht besonders freundlich oder gar begeistert von der Vorstellung, uns helfen zu sollen, aber ich spürte auch das professionelle Interesse, das meine Worte in ihm geweckt hatten. Ich war enttäuscht. Ich hätte mir gewünscht, dass Hertzog uns aus anderen Gründen half. Aber in unserer Situation stand es uns nicht an, wählerisch zu sein.
»Gleich nach... nach der ART«, antwortete Kim stockend.
»Und Sie haben nichts gesagt?« Nicht nur Hertzog sah Kim überrascht an. Auch ich hatte keine Ahnung gehabt. Kimberley hatte bis zu unserem ersten Zusammenstoß mit Steel nicht einmal eine Andeutung gemacht.
Sie schüttelte den Kopf und warf mir einen raschen, um Verzeihung bittenden Blick zu. »Ich dachte, es wäre normal«, antwortete sie.
»Das kann ich sogar verstehen«, sagte Hertzog. Er seufzte. »Nach dem, was Sie mitgemacht haben, würde sich niemand über ein paar Albträume wundern, nehme ich an.«
»Du hättest es mir trotzdem sagen sollen«, sagte ich vorwurfsvoll.
Kimberley ignorierte mich einfach und fuhr leise und an Hertzog gewandt fort: »Es war auch nicht sehr schlimm. Aber seit ein paar Tagen... wird es schlimmer.«
»Seit Sie auf Steel gestoßen sind.« Offensichtlich hatte Hertzog meiner Schilderung sehr aufmerksam gelauscht.
Kim nickte. »Ja. Vielleicht hat die Nähe eines anderen Ganglions... irgendetwas ausgelöst. Geweckt.«
»Etwas, das jetzt in Ihnen heranwächst und Zähne und Krakenarme hat und grüne Antennenaugen«, sagte Hertzog todernst. Dann schüttelte er heftig den Kopf. »Jetzt machen Sie sich mal nicht verrückt, Kleines. Ich werde sie erst einmal gründlich untersuchen – so weit ich das hier kann, und danach sehen wir weiter. Im Augenblick gibt es noch keinen Grund, in Panik zu geraten.« Er legte den Kopf schräg, betrachtete erst Kim und dann mich sehr aufmerksam – und auf eine Art und Weise, die mir klar machte, dass ihm das, was er sah, nicht sehr gefiel – dann seufzte er abermals und fuhr fort: »So, wie ihr beide ausseht, braucht ihr wahrscheinlich nichts anderes als vierundzwanzig Stunden Schlaf.«
»Nein!«, sagte Kim. »Ich...«
»Ich werde Ihnen etwas geben, nach dem Sie ganz bestimmt nicht träumen werden«, unterbrach sie Hertzog. »Aber Sie können natürlich auch warten, bis Sie ganz von selbst zusammenklappen. Ich schätze, es wird nur noch ein paar Stunden dauern.«
Kim schwieg. Ihr Blick flackerte und ihre Hand kroch ein kleines Stück auf meine zu und zog sich dann wieder zurück, ganz kurz, bevor sich unsere Finger wirklich berühren konnten. Ich konnte mir vorstellen, wie es in ihr aussah. Sie musste panische Angst davor haben einzuschlafen, aber das allein war es wahrscheinlich nicht. Hertzog hatte uns schon einmal an Bach verraten. Wenn sie das Schlafmittel nahm, das er ihr anbot, lieferte sie sich ihm vollends aus. Nicht, dass das in ihrem momentanen Zustand noch einen großen Unterschied gemacht hätte...
»Ich verstehe«, sagte Hertzog. Seine Stimme wurde um mehrere Nuancen kühler. Offensichtlich hatte er Kimberleys Schweigen vollkommen richtig gedeutet. »Also gut. Sie sind beide schließlich alt genug, um zu wissen, was Sie tun. Ich kann verstehen, dass Sie mir nicht mehr vertrauen.«
»Darum geht es nicht«, antwortete ich hastig. Ich war nie ein besonders guter Lügner gewesen und der Reaktion auf Hertzogs Gesicht nach zu schließen hatte sich daran auch jetzt nichts geändert. Trotzdem fuhr ich fort:
»Uns bleibt nicht genug Zeit, um uns gründlich auszuschlafen, Carl. Die Hive haben irgendetwas vor. Ich weiß nicht, was, aber es scheint sich um eine große Sache zu handeln. Wir müssen Kennedy warnen. Und ich muss ihm das Artefakt übergeben. Darf ich Ihr Telefon benutzen?«
»Gerne«, sagte Hertzog, schüttelte aber absurderweise gleichzeitig den Kopf. »Aber dann können Sie Frank Bach auch gleich persönlich anrufen.«
»Wieso?«
Hertzog verzog die Lippen zu einem vollkommen humorlosen Lächeln. Gleichzeitig stand er auf. »Wie lange sind Sie schon Majestic-Agent, John?«, fragte er. »Immer noch nicht lange genug, um zu wissen, dass Sie niemals einem Telefon trauen sollten? Nicht einmal, wenn es ins Büro des Generalstaatsanwalts führt?«
Gerade dann nicht, fügte ich in Gedanken hinzu. Gleichzeitig schalt ich mich selbst einen Narren. Schließlich hatte mir Bach höchstpersönlich diese eherne Regel beigebracht: Traue nichts und niemandem und schon lange keiner Technik. Allmählich machte sich die Übermüdung wohl auch bei mir bemerkbar. Ich begann Fehler zu machen.
»Außerdem würde es Ihnen nichts nutzen, John.« Hertzog trat an eine niedrige Kommode und begann mit fahrigen Bewegungen in einer Schublade zu kramen. Er wandte mir den Rücken zu, während er weitersprach. »Bobby Kennedy ist nicht in Washington. Ich weiß zufällig, dass er erst morgen Vormittag zurück erwartet wird. Ich an Ihrer Stelle würde versuchen, ihn morgen zu treffen. Und vorher niemanden anrufen.«
»Wieso?«, fragte ich.
»Die Beerdigung«, antwortete Hertzog. »Der Präsident wird morgen Nachmittag beigesetzt. Ich nehme doch an, dass sein Bruder anwesend sein wird... nebst einigen tausend anderen Gästen und ein paar Millionen Fernsehzuschauern in aller Welt. Nicht einmal Frank Bach dürfte es wagen, Sie vor so vielen Zeugen zu... eh... belästigen.«
Ich war davon nicht annähernd so überzeugt wie Hertzog, gab ihm im Stillen aber natürlich Recht; zumindest, was seinen Rat anging, mit niemandem Kontakt aufzunehmen. Jedenfalls mit niemandem aus Kennedys Stab.
Hertzog hörte auf, in seiner Schublade herumzuwühlen, drehte sich wieder zu uns herum und reichte Kimberley ein kleines Fläschchen mit Pillen. »Nehmen Sie wenigstens das«, sagte er. »Oder lassen Sie es bleiben.«
Kimberley griff zögernd nach dem Fläschchen, drehte es aber nur unschlüssig in den Händen. Hertzog sah sie einen Moment lang an, zuckte dann mit den Schultern und ging zu seinem Stuhl zurück, setzte sich aber nicht.
»Ihr solltet euch allmählich entscheiden«, sagte er. »Ich habe jetzt Dienst – und Bach warten zu lassen wäre nicht unbedingt das Klügste. Ich weiß allerdings noch nicht, wann ich zurückkommen werde. Ihr könnt hier bleiben oder gehen... wenn ihr euch fürs Bleiben entscheidet, werde ich Kimberley untersuchen, sobald ich wieder da bin.«
»Okay«, antwortete ich lahm und enttäuscht, denn eigentlich hatte ich mir etwas anderes vorgestellt. Es passte mir nicht, dass Hertzog jetzt sofort gehen musste – oder wollte. Bahnte sich da ein erneuter Verrat an oder war es wirklich so, dass er jetzt in Majestic erwartet wurde? Insgeheim hatte ich erwartet, dass er sich sofort um Kim kümmern würde und nicht noch etliche Stunden dazwischen schob.
»Freut mich, dass ihr das auch so seht«, brummte Hertzog, der über meinen Tonfall hinwegging, als ob er ihn gar nicht bemerkt hätte. »Und für was entscheidet ihr euch?«
Ich wechselte einen Blick mit Kim. In ihren Augen glaubte ich die gleiche Unentschlossenheit zu lesen, die auch ich empfand. »Ich bin... bin mir noch nicht ganz sicher.«
Hertzog runzelte die Stirn, verzichtete aber auch diesmal auf einen Kommentar. Er nahm seinen Mantel von der Garderobe und begann sich anzukleiden. »Machen Sie jetzt keinen Fehler, John«, sagte er, während er in seinen Mantel schlüpfte. »Kimberley als vollkommen erschöpft zu bezeichnen wäre reine Schmeichelei – und wenn Sie ehrlich in sich hineinspüren, werden Sie feststellen, dass es Ihnen keineswegs viel besser geht. Sie müssen zur Ruhe kommen, ein paar Stunden wenigstens. Wenn Sie darüber hinweggehen, folgt automatisch der Zusammenbruch.« Er setzte seinen Hut auf und warf mir nochmals einen prüfenden Blick zu. »Und davon hat doch keiner was, oder?«
Die Tür fiel so abrupt hinter ihm ins Schloss, dass ich automatisch zusammenzuckte. Hertzogs Aufbruch erschien mir etwas übereilt und tausend Gedanken schossen mir durch den Kopf. Kim und ich sahen ihm nach und zumindest ich starrte die Tür hinter ihm noch endlose Sekunden weiter an. Ich fühlte mich hilflos und elend. Hilflos, weil ich einfach nicht mehr wusste, was ich tun sollte, und elend, weil Bach und die Hive mich mittlerweile so weit gebracht hatten, nicht einmal mehr meinen engsten Freunden vertrauen zu können – und Kim offensichtlich weit genug, nicht einmal mehr mir gänzlich zu vertrauen.