Als Midshipman Segrave wieder zu sich kam, sah er sofort, wie dunkel der sternenübersäte Himmel über ihm war. Er spürte Wolldecken und ein Rissen unter seinem Kopf. Ein Schatten beugte sich über ihn.»Geht's besser?«fragte Jay.

Dann kam der Schmerz wieder, pochte wie sein Herz. Er schmeckte Brandy im Mund und versuchte sich zu erinnern. An Hände, die ihn festhielten, an Schmerzen, seine Ohnmacht. Es schauderte ihn.

«Ist wieder alles in Ordnung?«fragte er schwach.

«In Ordnung? Natürlich!«Jays Stimme klang fröhlich.»Sie haben mir das Leben gerettet und sind der Held des Tages. Nur Ihretwegen haben wir jetzt eine Prise, die Albacora.»

Dann griff Jay vorsichtig nach Segraves Arm.»Wer hat Sie so ausgepeitscht?»

Doch der Midshipman schloß abwehrend die Augen. Was würde eine Antwort ihm bringen? Nichts. Aber der Mastergehilfe Jay, ein

Kerl aus Eisen, hatte ihn, Segrave, einen Helden genannt. Nur das zählte.

IV Wer suchet, der findet

In der Achterkajüte der Themis war es heiß wie in einem Ofen trotz der offenen Stückpforten und der Sonnensegel über den Niedergängen. Bolitho saß am Tisch und prüfte den Inhalt der Ledertasche, die ihm von der Miranda geschickt worden war. Commodore Warren hockte zusammengesunken in einem Sessel, blickte mit aschfahlem Gesicht nach draußen und hoffte auf ein wenig frische Luft. Ab und zu zupfte er sich das Hemd oder die Uniformjacke vom schweißnassen Körper.

Neben Bolitho machte sich Yovell, der rundliche Schreiber, eifrig Notizen und schob dabei immer wieder seine goldgefaßte Brille hoch.

«Hat Sie die Antwort des Generals überrascht, Sir Richard?«fragte Warren plötzlich.

Bolitho hob den Blick. Was die echte Karte der Albacora zeigte, war interessant. Doch was der lange Brief eines französischen Kaufmanns aus Kapstadt enthielt, war noch wichtiger.

«Ich hab' sie erwartet, Commodore«, antwortete er.»Sir David Bairds Soldaten werden jetzt gerade landen. Das können wir nicht mehr verhindern.»

Leutnant Jenour an den Heckfenstern beobachtete, wie reglos die Miranda über ihrem Spiegelbild auf dem unbewegten Wasser stand. Ihr Kommandant hatte gerade noch Glück gehabt, denn jetzt war der Wind völlig eingeschlafen. Er drehte sich um, als Bolitho sagte:»Ihr Französisch ist doch hervorragend, Stephen. Fiel Ihnen etwas auf, als Sie mir diesen Brief übersetzten?»

Jenour versuchte, die Hitze zu ignorieren. Bolitho sah von ihnen allen am frischesten aus, wie er so in Breeches und Hemd am Tisch saß; sein Uniformrock lag über einer Seekiste. Seit Mirandas Segel in der Morgendämmerung an der Kimm aufgetaucht waren, war er ruhelos in seiner Kajüte auf und ab gegangen. Jetzt, in der Mittagshitze, hörte man gereizte Stimmen an Deck. Diese Sonnenglut und das Warten war gefährlich für die Disziplin. Auf See und in Fahrt wäre es anders gewesen.

Jenour rieb sich das Kinn.»Ich konnte keinen Code entdecken, Sir Richard. Solche Briefe schreibt ein Kaufmann dem anderen und läßt sie per Schiff befördern. Es ist doch nicht ungewöhnlich, daß französische Kaufleute in Kapstadt leben, oder?»

Bolitho rieb sich die Stirn. Der Brief enthielt ein Geheimnis, ganz bestimmt. Aber warum konnte es selbst der kluge Jenour nicht entdecken?

Yovell, der in seine Notizen starrte, hatte den richtigen Einfall.»Es ist die Schlacht von Trafalgar, Sir. Der Schreiber berichtet darüber seinem Freund.»

Bolitho sah seine Männer an.»Sehr gut, Yovell. Die Truculent segelte ungeheuer schnell von England hierher, und niemand hier wußte bei unserer Ankunft von der Schlacht und Nelsons Tod. Bis auf diesen Briefeschreiber. Der Sklavenhändler muß den Brief also von einem Franzosen bekommen haben, der vor uns hier ankam!»

Warren tupfte sich sorgfältig den Mund ab.»Ein französisches Kriegsschiff?»

Jenour ballte ungläubig die Fäuste.»Sollte es vor Brest die Blockade durchbrochen haben?»

«Der Schlüssel liegt in Kapstadt, meine Herren. Aber ich weiß noch nicht, wo. «Bolitho beugte sich über die Karte.»Lassen Sie den Kommandanten der Miranda rufen, Stephen.»

Als Jenour schon die Kajüte verlassen wollte, räusperte sich Warren entschuldigend.»Ich hatte es ganz vergessen, Sir Richard, aber Leutnant Tyacke ist bereits an Bord. Er brachte die Tasche persönlich.»

Bolitho spürte Ärger in sich aufsteigen. So ging das nicht: zwei Fregattenkapitäne, die einander haßten, und ein Commodore, den die ganze Operation nicht im geringsten interessierte. Dazu ein Haufen Schiffe, die noch nie miteinander manövriert hatten. Das mußte geändert werden, schnell. Doch zuerst kam Tyacke.

«Bitten Sie ihn rein, Stephen.»

Warren fuhrt verlegen fort:»Sie müssen wissen, daß Leutnant Tyacke….»

Jenour trat in der Nachbarkajüte auf den Mann zu, der aus der Stückpforte auf das stille Wasser blickte, die Hände auf dem Rücken verschränkt.»Würden Sie bitte nach nebenan kommen? Sir Richard Bolitho wünscht Sie zu sprechen.»

Man hatte dem Leutnant wenigstens eine Erfrischung angeboten, wahrscheinlich ein Glas von diesem schrecklichen Rotwein.»Tut mir leid, wir wußten nicht, daß Sie noch an Bord sind. «Entsetzt starrte Jenour in das zerstörte Gesicht Tyackes. Wie konnte er damit nur leben?

«Und wer sind Sie?«fragte Tyacke scharf. Dann sah er das Gold auf Jenours Schulterstück.»Flaggleutnant, ach so.»

Wieder mußte sich Jenour entschuldigen.»Ich wußte nicht, daß Sie.»

Tyacke rückte seinen Säbel gerade und drehte sich weg.»Ich bin solche Blicke gewöhnt, Sir. Aber Freude machen sie mir nicht. «Er ließ sich seinen Ärger anmerken. Was waren das für Kameraden, die ihn so anstarrten?

Er bückte sich, trat in die große Kajüte und blieb überrascht stehen. Den Commodore hatte er schon einmal gesehen, also mußte der bebrillte Mann in einfacher blauer Uniformjacke der berühmte Bolitho sein. Nicht gerade eine Heldenfigur. Aber die meisten Flaggoffiziere, die Tyacke bisher getroffen hatte, sahen nicht aus wie Bühnenhelden.

«Bitte entschuldigen Sie meine Unhöflichkeit, Mr. Tyacke. «Bolitho kam aus dem Schatten, und Yovell zog sich zurück.»Ich wußte nicht, daß Sie noch an Bord sind. Bitte nehmen Sie Platz.»

Tyacke setzte sich unsicher. War er zu lange auf See gewesen, daß er sich so täuschen konnte? Der Mann im weißen Hemd, der ihn so freundlich begrüßte, sollte ein Admiral sein? Er schien kaum älter als er selbst zu sein, obwohl er näher an Fünfzig als an Vierzig sein mußte. Nur die scharfen Linien um seinen Mund und eine weiße Haarsträhne über der Stirn verrieten, daß er kein Jüngling mehr war. Dazu offene graue Augen. Tyacke fühlte sich plötzlich wie ein Midshipman, so stumm und verlegen.

«Ihr Fund auf dem Sklavenschiff war für uns wichtiger, als Sie ahnen. «Bolitho lächelte und sah dadurch noch jünger aus.»Ich lote gerade aus, was in ihm steckt.»

Die Tür öffnete sich, und ein kleiner Steward kam über den gewürfelten Teppich auf Tyacke zu.»Ein Glas Rheinwein, Sir?«Er beobachtete den Leutnant und fügte hinzu:»Er ist schön kühl, Sir. «Offenbar war das etwas Besseres, als sonst auf dem Flaggschiff angeboten wurde.

Tyacke trank. Der Steward hatte genau wie der Admiral beim Anblick seines Gesichts mit keiner Wimper gezuckt und ihn auch nicht neugierig oder entsetzt angestarrt. Bolitho beobachtete den Leutnant. Ein gezeichneter Mann, Überlebender einer furchtbaren Seeschlacht.»Wo ist die Albacora jetzt?»

Tyacke riß sich aus seinen Gedanken.»Sie wird in zwei Tagen hier sein, Sir Richard. Ich ließ eine kleine Prisenbesatzung an Bord. Und einen verletzten Midshipman.»

Bolitho nickte.»Ich habe in Ihrem Bericht von ihm gelesen. Scheint ein tapferer junger Mann zu sein.»

«Mich hat er überrascht«, gab Tyacke zu.

Bolitho wandte sich seinem Sekretär zu.»Yovell, schreiben Sie einen Befehl für unseren anderen Schoner aus. Ich möchte, daß die Albacora bei einem großen Versorgungsschiff längsseits geht, dem Land abgekehrt und nachts. Von Land aus darf man sie auf keinen Fall entdecken. Der Schoner soll sie abfangen. Würden Sie sich bitte darum kümmern, Commodore Warren?»


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