Aber die alte Hyperion hatte dabei ihr Letztes gegeben. Mit ihren dreiunddreißig Jahren leistete sie schließlich keinen Widerstand mehr, als die große spanische San Mateo mit ihren neunzig Kanonen eine letzte Breitseite auf sie abfeuerte. Doch trotz allem, was Bolitho in seinem Leben auf See erlebt und erlitten hatte, konnte er sich nur schwer damit abfinden, daß es die alte Hyperion nicht mehr gab.

Daheim in England sagten sie, wenn er das spanische Geschwader Casares' nicht im Gefecht aufgehalten und besiegt hätte, wäre es rechtzeitig zur Vereinigten Flotte vor Trafalgar gestoßen, und dann hätte selbst der tapfere Nelson dort kaum siegen können. Bolitho wußte nicht, wie er darauf reagieren sollte. Wollte man ihm damit schmeicheln — oder Nelsons Ruhm schmälern? Jedenfalls war ihm übel geworden, als dieselben Leute, die Nelson einst gehaßt und verachtet hatten — auch wegen seiner Affäre mit Emma Hamilton — , ihn jetzt aufs höchste lobten und seinen Tod beklagten.

Wie so viele, war auch Bolitho dem kleinen Admiral nie begegnet, der seine Seeleute begeistert hatte, trotz des zermürbenden Blockadedienstes oder bei blutigen Gefechten Schiff gegen Schiff. Nelson hatte seine Männer wirklich gekannt und ihnen die Autorität gegeben, die sie verstanden und brauchten.

Bolitho merkte, daß Allday leise die Kajüte verließ, und machte sich wieder Vorwürfe, daß er ihn mitgenommen hatte zu diesem Einsatz. Doch Allday, standfest wie eine englische Eiche, wollte es nicht anders. Bolitho hätte ihn nur verletzt und beleidigt, wenn er ihn als Halbinvaliden in Falmouth zurückgelassen hätte.

Er berührte sein linkes Lid und seufzte. Würde ihn das verletzte Auge im hellen afrikanischen Sonnenlicht quälen? Nur zu gut konnte er sich an den Augenblick im Gefecht erinnern, als er in die Sonne geschaut und sein Blick sich verschattet hatte, als krieche Seenebel übers Deck. Und an den triumphierenden Atemzug des Spaniers, der mit seinem Säbel einen Ausfall machte. Jenour, dem Flaggleutnant, war der Degen aus der Hand geschlagen worden, als er versuchte, Bolitho zu verteidigen. Aber Allday war dagewesen und hatte das Schlimmste verhindert. Der Säbel des Spaniers war über das blutige Deck geschlittert, sein abgetrennter Arm mit ihm. Ein zweiter Hieb brachte ihm das Ende, als Alldays Rache für eine Wunde, die ihn seither fast ständig schmerzte und behinderte.

Konnte er Allday nach all dem daheim zurücklassen, und sei es aus Fürsorglichkeit? Bolitho wußte, daß nur der Tod sie einst trennen würde.

Er stieß sich vom Fenster ab und nahm den Fächer aus seiner Seekiste zur Hand. Catherines Fächer. Sie hatte dafür gesorgt, daß er ihn mitnahm, als er in Spithead an Bord der Truculent ging. Was tat sie wohl gerade, gut sechstausend Meilen achteraus? In Cornwall mußte es jetzt kalt und trüb sein. Die Bauernkaten duckten sich um das große graue Haus der Bolithos unterhalb von Pendennis Castle. Wind vom Kanal würde die wenigen Bäume am Hang schütteln, die Bolithos Vater einst» meine zerlumpten Krieger «genannt hatte. Die Bauern konnten jetzt ihre Steinwälle und Scheunen reparieren, die Fischer von Falmouth ihre Boote ausbessern, dankbar für den Schutzbrief, der sie vor den verhaßten Preßkommandos rettete.

Das alte graue Haus war Catherines einzige Zuflucht vor dem Hohn und Tratsch der Gesellschaft. Ferguson, der einarmige Steward, der einst wie Allday in die Marine gepreßt worden war, kümmerte sich aufopfernd um sie. Aber im ganzen Westen des Landes würde man ebenso wie in London über sie lästern und tratschen: Bolithos Geliebte. Die Frau eines Viscount, die zu ihrem Mann gehörte und nicht wie eine Matrosenhure leben sollte. Das waren Catherines eigene Worte.

Nur einmal hatte sie sich Bitterkeit und Zorn anmerken lassen: als er nach London gerufen wurde zum Empfang seiner Befehle. Da hatte sie ihn quer durch den ganzen Raum empört angesehen und gefragt:»Begreifst du nicht, was sie uns antun, Richard?«Die Wut hatte ihr dabei eine ganz neue Schönheit verliehen. Ihr langes dunkles Haar breitete sich aufgelöst über ihren hellen Morgenmantel, ihre Augen blitzten zornig.»In ein paar Tagen ist doch Lord Nelsons Beisetzung!«Sie entwand sich ihm, als er versuchte, sie zu beruhigen.»Hör mir lieber zu, Richard. Uns bleiben weniger als zwei Wochen zusammen, und davon bist du die meiste Zeit unterwegs. Verdammt noch mal, du hast dein altes Schiff verloren und alles für dein Land geopfert. Jetzt haben sie Angst, daß du an Nelsons Beisetzung nicht teilnehmen willst ohne mich, während sie doch nur Belinda akzeptieren würden. Deshalb befehlen sie dich nach London.»

Dann war sie weinend zusammengebrochen und hatte sich von ihm trösten lassen, hatte sich an ihn geschmiegt wie damals, als sie in Falmouth ihren ersten gemeinsamen Sonnenaufgang erlebt hatten.

Bolitho hatte ihre Schulter gestreichelt und gesagt:»Ich erlaube niemandem, dich zu beleidigen.»

Hatte sie ihm überhaupt zugehört? Nein, sie dachte nur an seine Behinderung.»Der Chirurg, der mit dir segelte — Sir Piers Blachford — , der müßte dir doch helfen können. «Sie hatte sein Gesicht zu sich herabgezogen und seine Augen mit besorgter Zärtlichkeit geküßt.

«Mein Liebster, du mußt dich vorsehen!»

Jetzt war sie in Falmouth, und trotz allem Schutz und aller Verehrung blieb sie; dort weiterhin eine Fremde.

Sie hatte ihn am jenem kalten, windigen Vormittag zu seiner Abreise nach Portsmouth begleitet. Zusammen warteten sie am alten Kai, wohl wissend, daß mit diesen abgetretenen Stufen auch Nelson zum letzten Mal englischen Boden unter den Füßen gehabt hatte. Hinter ihnen stand die Kutsche mit dem Wappen der Bolithos, so schlammbespritzt, als wolle sie von den Stunden zeugen, die sie beide unerkannt darin verbracht hatten.

Nicht immer ganz unerkannt. Auf dem Weg durch Guildford hatten ein paar Bummelanten auf der Straße hurra gerufen und:»Gott segne dich, Dick! Und scheiß auf die Arschlöcher in London. 'Tschuldigung, Madam!»

Als die Barkasse sich mit kräftigem Riemenschlag der Treppe näherte, hatte sie die Arme um seinen Hals gelegt, das Gesicht naß von Regen und Tränen:»Ich liebe dich, mein Alles. «Sie hatte ihn lange geküßt und sich erst von ihm gelöst, als die Barkasse geräuschvoll festmachte. Erst dann hatte sie sich abgewandt, aber noch einmal innegehalten, um zu sagen:»Erinnere Allday daran, daß er gut auf dich aufpassen soll.»

Die restlichen Umstände hatte er vergessen, als ob plötzlich Dunkelheit über ihn hereingebrochen sei.

Kapitän Poland klopfte hart an die Tür und trat in die Kajüte, den Dreispitz unter den Arm geklemmt. Bolitho sah seine Blicke durch den halbdunklen Raum huschen, als erwarte er, seine Kajüte völlig verändert zu finden.

Bolitho setzte sich wieder auf die Fensterbank. Truculent war ein gutes Schiff, er fühlte sich wohl darauf. Darüber fiel ihm sein Neffe Adam ein, und er fragte sich, ob er schon die größte aller Chancen erhalten hatte: das Kommando über eine neue Fregatte. Wahrscheinlich war er schon mit ihr auf See wie die Truculent. Adam würde es bestimmt schaffen.

«Neuigkeiten, Kapitän?«fragte er.

Poland sah ihm ins Gesicht.»Wir haben Land in Sicht, Sir Richard. Der Master, Mr. Hull, hält es für einen perfekten Landfall.»

Immer diese Vorsicht. Bolitho war sie schon einige Male aufgefallen, auch als er Poland eingeladen hatte, mit ihm zu Abend zu speisen.»Und was halten Sie selbst davon, Kapitän?»

Poland schluckte trocken.»Er hat wohl recht, Sir Richard. «Zögernd fügte er hinzu:»Der Wind hat nachgelassen. Wir werden den ganzen Tag brauchen, um die Küste zu erreichen. Selbst den Tafelberg sieht man erst vom Masttopp aus.»

Bolitho griff nach seinem Mantel, ließ ihn aber dann doch liegen.»Ich komme gleich nach oben. Sie haben eine ungewöhnlich schnelle Reise gemacht, Kapitän. Das werde ich in meinem Bericht erwähnen.»

Zu jeder anderen Zeit hätte es ihn amüsiert, den schnellen Wechsel des Ausdrucks in Polands sonnengerötetem Gesicht zu beobachten. Einerseits freute er sich, denn das schriftliche Lob eines Vizeadmirals konnte vielleicht für eine noch schnellere Beförderung des Kommandanten sorgen. Andererseits konnte es aber so interpretiert werden, daß Poland die zweifelhafte Gönnerschaft eines Mannes genoß, der über Autorität spottete, der seine Frau wegen einer anderen verlassen und seine Ehre in den Wind geworfen hatte.


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