Niemand sprach, und Worte waren auch nicht nötig. Die Berufsseeleute an Bord kannten ihr Schiff so genau wie ihre Kameraden. Hätte Pickthorn die Bemerkung fallengelassen, daß der Wind noch einen Strich weiter gedreht hatte, wäre ihm das von Bundy verübelt und von Neale als Zeichen der Nervosität ausgelegt worden.

Bolitho kannte das alles, hatte es am eigenen Leibe erfahren. Er wandte sich wieder nach achtern und beobachtete, wie sich die endlos anstürmenden weißen Wellenkämme mit den Farben des erwachenden Tages überzogen. Salz brannte auf seinen Lippen und Wangen, aber er beachtete es nicht, sondern starrte zu Phalarope hinüber, die sich Steuerbord achteraus gehorsam nach Luv arbeitete. Mit ihren geschlossenen Stückpforten, die sich wie ein gewürfeltes Band über die ganze Länge des Rumpfes zogen, sah sie prächtig aus. Die vergoldete Galionsfigur schimmerte in den ersten Sonnenstrahlen, und auf dem Achterdeck konnte Bolitho mit bloßem Auge eine Gruppe blau uniformierter Männer stehen sehen; einer von ihnen mußte Adam sein, dachte er, der wohl wie Pickthorn Segel und Crew nicht aus den Augen ließ, jederzeit bereit, mit einem Befehl einzugreifen. Phalarope segelte mit starker Schräglage, Wind und Seegang krängten sie so, daß sie sich zu Styx hinüber neigte.

Wie mochte seine Fregatte von dort drüben aussehen?

Bolitho wandte sich ab und stieg den Niedergang zum Batteriedeck hinunter. Die Kanoniere waren noch auf Station, aber die Spannung war mit der Dunkelheit gewichen, als das Licht ein leeres Meer enthüllte. Der Zweite und Dritte Offizier plauderten so entspannt miteinander wie Spaziergänger in einem Park.

Neale richtete sein Teleskop durch die Backbord-Webeleinen auf das hügelige, schiefergraue Festland. Bis zur Küste waren es nur fünf Seemeilen, dort drüben mußten schon viele Augen den beiden britischen Schiffen folgen.

Gereizt warf Neale sein Fernrohr einem Midshipman zu und grunzte:»Nicht das geringste zu entdecken.»

Browne trat neben Bolitho ans Schanzkleid.»Sie scheint durch die See zu fliegen, Sir.»

Bolitho lächelte ihn an. Browne war wohl so erregt über das prächtig segelnde Schiff unter seinen Füßen, das sich temperamentvoll wie ein lebendiges Wesen den weißen Hunden entgegenwarf, daß ihn die aufgezwungene Untätigkeit nicht zu stören schien.

«Gewiß. Mein Neffe dort drüben wird alle Hände voll zu tun haben, aber zweifellos jeden Moment genießen.»

«Na, darum beneide ich ihn nicht, Sir. «Browne vermied es stets sorgfältig, den Kommandanten der Phalarope zu erwähnen.»Eine bunt zusammengewürfelte Mannschaft und dazu Offiziere, die noch halbe Kinder sind. Nein, da ist mir meine Aufgabe hier an Bord schon sehr viel lieber.»

Bundy rief:»Nebel voraus, Sir!»

Neale brummte bestätigend. Er hatte schon selbst gesehen, daß sie auf eine leichte Nebelbank zufuhren, die wie heller Rauch tief über dem Wasser hing. Wenn Bundy sie erwähnte, bedeutete dies, daß er sich deshalb Sorgen machte. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis die Ausguckposten die südliche Landspitze der Loiremündung ausmachen mußten. Danach würden sie als nächstes die Ile d'Yeu sichten. Sie waren wieder da, wo alles angefangen hatte, aber diesmal sehr viel dichter unter Land.

Neale warf einen Blick zu Bolitho, der mit auf dem Rücken verschränkten Händen am Schanzkleid stand und mit den Knien die unregelmäßigen Schiffsbewegungen abfederte. Der kehrt niemals um, auch nicht in tausend Jahren, dachte Neale. Seltsamerweise fühlte er Mitleid für den Admiral und Betroffenheit darüber, daß sein wagemutiger Plan zu mißlingen drohte.

«An Deck! Segel Backbord voraus!»

Neale war mit einem Sprung in den Wanten und gestikulierte ungeduldig nach seinem Fernrohr.

Bolitho verschränkte die Arme über der Brust, damit niemand sah, wie seine Hände vor Spannung bebten.

Der Wind griff in die Nebelbank und wirbelte sie davon, der Küste zu. Und da waren sie, die Landungsboote: sechs Reihen breit, segelte die Flotte in Kiellinie, so diszipliniert wie eine römische Kohorte auf dem Marsch. Die Wimpel und Flaggen, die steif auswehten und im grellen Morgenlicht bunt leuchteten, wirkten wie Standarten.

Browne holte tief Luft.»Bei Tageslicht scheinen es sogar noch mehr zu sein, Sir.»

Bolitho nickte, sein Mund war plötzlich trocken geworden. Die Flotte kleiner Fahrzeuge kämpfte schwer mit Wind und See, kreuzte hin und her, immer bemüht, in Kiellinie zu bleiben und nach Luv voranzukommen.

Neale rief:»Was sie jetzt wohl vorhaben? Sich zerstreuen und fliehen?»

Bolitho befahl:»Setzen Sie mehr Segel, Kapitän Neale, und zwar so viel, wie sie nur tragen kann. Wir wollen dem Feind keine Chance geben, das selbst zu entscheiden.»

Er wandte sich um und sah Browne übers ganze Gesicht grinsen, während überall Männer auf ihre Stationen hasteten, um den schrillen Pfiffen und dem Ruf nach mehr Segelfläche zu gehorchen. Auf beiden Seiten wurden die riesigen Leesegel ausgebracht, die wie große Ohren abstanden und sie immer schneller auf den dichten Teppich der Landungsboote zutrugen.

An Steuerbord achteraus legte sich die helle Segelpyramide von Phalarope noch schräger, als sie dem Beispiel der führenden Fregatte folgte, und Bolitho glaubte, den Fiedler auf seiner Geige kratzen zu hören — anfeuernde Begleitmusik zu den Shantys der schwer in die Brassen einfallenden Seeleute.

Midshipman Kilburne hielt trotz der Aufregung sein Fernrohr unbeirrt auf die andere Fregatte gerichtet und riefjetzt:»Von Phalarope, Sir! Sie meldet: Segel in Nordwestl»

Neale wandte sich nur kurz um.»Das wird wahrscheinlich Rapid sein«, sagte er.

Bolitho umklammerte den Handlauf fester, weil Styx gerade wieder in ein Wellental sackte. Spritzwasser peitschte die Decks, als segelten sie durch einen Wolkenbruch, und die Männer an den Kanonen wurden bis auf die Haut durchnäßt, während ihr Schiff sich mit hoher Fahrt auf die Formation kleiner Landungsboote stürzte, die vor ihm immer breiter wurde.

Die Peilung ließ tatsächlich auf Rapid schließen. Die Brigg mußte auf Sparrowhawk gestoßen sein und eilte nun herbei, um sich an dem Gefecht zu beteiligen. Bolitho biß sich auf die Lippe. Oder an dem Gemetzel, das war wohl der treffendere Ausdruck.

«Lassen Sie die Kanonen laden und ausrennen. Und zwar auf beiden Seiten.»

Bolitho zog seine Taschenuhr heraus und ließ den Deckel aufspringen. Es war genau acht Uhr morgens. Im selben Augenblick ertönte auch die Glocke auf dem Vorschiff. Trotz allem hatte sich dort ein Schiffsjunge an seine halbstündige Aufgabe erinnert und trug seinen Teil dazu bei, daß die Bordroutine funktionierte.

«Der Feind teilt sich in zwei Kolonnen, Sir«, meldete Pickthorn. Kopfschüttelnd fuhr er fort:»Aber sie sind nie im Leben schneller als wir, und auf der anderen Seite liegen doch nur Felsen oder der

Strand. «Es klang, als sei er betroffen über die Hilflosigkeit der Franzosen.

Kilburne preßte das große Dienstteleskop des Signalfähnrichs so fest ans Auge, daß ihm die Tränen kamen. Bolitho stand nur einen Schritt von ihm entfernt, und er wollte seine Überlegungen nicht durchkreuzen, indem er irgendeinen dummen Fehler beging. Deshalb blinzelte er heftig und sah dann noch einmal hinüber, studierte Phalaropes stahlharte Segel und die bunten Signalflaggen an ihrer Rah.

Aber er hatte sich nicht geirrt. Mit nicht ganz fester Stimme meldete er:»Von Phalarope, Sir. Sie hat Rapids Erkennungsnummer gehißt.»

Bolitho wandte sich um. Daß ein Schiff das Flaggensignal eines anderen wiederholte, war die übliche Praxis, aber in Kilburnes Stimme hatte ein warnender Unterton mitgeklungen.

Und da war es schon:»Meldung von Rapid, Sir: Feind in Sicht in Nordwest?»

Leise fluchte Browne:»Hölle und Teufel!»

«Ihre Befehle, Sir?«Neale sah Bolitho an, weder sein Blick noch seine Miene verrieten Unruhe.


Перейти на страницу:
Изменить размер шрифта: