Sogar Allday konnte diesmal den überraschenden Einsatzbefehl nicht mit seinem gewohnten Gleichmut akzeptieren. Kaum länger als für eine Hundewache hatte er den Fuß an Land gesetzt, und nun sollten sie wieder auslaufen. Schon vorher hatte er vor Wut geschäumt über die himmelschreiende Ungerechtigkeit und Dummheit, die daran schuld war, daß Bolitho nach der Schlacht von Kopenhagen nicht die ihm gebührende Anerkennung erhalten hatte: den Adelstitel. Sir Richard Bolitho. Das hatte den richtigen Klang, sinnierte er.

Aber nein, diese Trottel bei der Admiralität hatten absichtlich unterlassen, was aller Welt nur recht und billig schien. Allday starrte die beiden Säbel an und ballte unwillkürlich die Fäuste. Immerhin munkelte man in der ganzen Flotte, daß Nelson genauso schnöde behandelt worden war — ein kleiner Trost. Vor Kopenhagen hatte Nelson allen aus dem Herzen gesprochen, als er sich weigerte, das Signal seines Oberbefehlshabers zu bestätigen, womit dieser ihm Abbruch des Gefechts und Rückzug befahl. Genau das machte den Mann bei seinen Leuten so beliebt und bei den Seelords, die sich nicht aufs Wasser wagten, so verhaßt. Seufzend dachte Allday an die junge Frau, die er erst vor wenigen Monaten aus der umgestürzten Kutsche geborgen hatte. Daß Bo-litho nun Gefahr lief, sie doch noch zu verlieren — bloß wegen eines blödsinnigen Einsatzbefehls — , das wollte nicht in seinen

Kopf.

«Einen Toast auf unseren neuen Kommodore«, schlug Bolitho mit einem Blick auf die gefüllten Pokale vor. Auch der Erste Offizier war nach achtern gekommen, gefolgt von Master Grubb, der breitbeinig dastand und durstig auf den Pokal herabstarrte, der in seiner Pranke so klein wirkte wie ein Fingerhut.

Herrick rief Allday herbei.»Angesichts der besonderen Unstände möchte ich, daß Sie mit uns trinken.»

Allday wischte sich die Hände an dem rötlich gelben Baumwolltuch seiner schneidigen Nanking-Breeches sauber und murmelte verlegen:»Besten Dank, Sir.»

Bolitho erhob sein Glas.»Ihr Wohl, Thomas. Auf alte Freunde und auf alte Schiffe!»

Herrick lächelte nachdenklich.»Das ist ein guter Trinkspruch,

Sir.»

Allday trank seinen Wein und zog sich in den Schatten der Achterkajüte zurück. Er war Herrick dankbar, daß er ihn miteinbezo-gen hatte, und das vor aller Augen. Sie fuhren auch schon eine kleine Ewigkeit miteinander, hatten andere, nicht so Glückliche, kommen und gehen gesehen. Nun würde Bolithos Geschwader bald im Golf von Biskaya stehen. Fremde Schiffe bildeten den Verband, so unbekannt wie die Aufgaben, die den Admiral erwarteten.

Aber warum ausgerechnet die Biskaya? Allday schlüpfte durch eine Seitentür aus der Achterkajüte und strebte dem Sonnenlicht auf dem Hauptdeck zu. Es gab doch Schiffe und Mannschaften zuhauf, die dort seit Jahren den zermürbenden Blockadedienst versahen, bis der Bewuchs auf den Rümpfen so lang war wie eine Schleppe. Aber wenn Beauchamp den Befehl gab und speziell Bo-litho dafür ausersehen hatte, dann mußte es sich um eine harte Nuß handeln. Das war so sicher wie das Amen in der Kirche.

Allday trat in den Sonnenschein hinaus und spähte zur Flagge auf, die am Besanmast auswehte.

«Trotzdem bleibt's dabei: Es müßte Sir Richard heißen!»

Der junge wachhabende Offizier wollte Allday schon zur Ordnung rufen, dann bedachte er jedoch, was er über den Bootsmann des Admirals gehört hatte. Deshalb schritt er lieber wortlos zur anderen Seite des Achterdecks hinüber.

Als sich schließlich Dunkelheit über die Reede senkte, nur hin und wieder erhellt von Ankerlichtern und dem Strahl eines Festfeuers an Land, schien auch die Benbow in Schlaf zu sinken. Erschöpft von der langen Arbeit in der Takelage und an Deck, lag die Mannschaft dicht an dicht in ihren Hängematten und schlief wie eine Reihe Kokons in einer versiegelten Höhle. Zwischen den Hängematten warteten die Kanonen stumm hinter ihren Stückpforten und träumten vielleicht von der Zeit, als sie Tod und Verderben spien und alles sich vor ihrer brüllenden Wut duckte.

Achtern saß Bolitho in der großen Tageskajüte noch an seinem Schreibpult, während eine Laterne über seinem Kopf leise im Kreis schwang, im Takt zu den Bewegungen des Schiffes an seiner Ankertrosse.

Für das Geschwader, für seine Mannschaft war er ein Name, ein Anführer, dem man blind gehorchte. Manche hatten schon unter ihm gekämpft und waren stolz darauf. Andere mußten sich erst ein Bild von ihm machen, in den Erfolgen des jungen Konteradmirals einen kleinen Anteil Ruhm und Unsterblichkeit für sich selbst verkörpert sehen. Und dann gab es die wenigen, die wie der getreue Ozzard — der jetzt in seiner Pantry so wachsam schlief wie eine kleine Maus — Bolithos Stimmungen am frühen Morgen, nach einem wilden Sturm oder einer wüsten Verfolgungsjagd kannten. Zu ihnen gehörte auch Allday, der Bolitho selbstlos ergeben war, obwohl er als Gepreßter eigentlich Haß und Demütigung hätte empfinden müssen. Herrick, der über einem Stapel mit Dienstpapieren eingeschlafen war, hatte Bolitho in Augenblicken höchster Erregung und tiefster Niedergeschlagenheit erlebt. Besser als jeder andere hätte er jetzt den Mann durchschaut, der in straffer Haltung an seinem Pult saß, die Schreibfeder über einem Stück Briefpapier, in Gedanken völlig bei der Frau, die er an Land zurücklassen mußte.

Mit Bedacht und Sorgfalt begann Bolitho zu schreiben:»Meine geliebte Belinda.»

II Kein Blick zurück

Richard Bolitho lehnte in seinem Sessel und wartete ungeduldig darauf, daß Allday endlich mit dem Rasieren fertig wurde. Herrick stand außerhalb seines Gesichtsfelds an der Lamellentür, während überall unter und über ihnen Rumpfund Decks der Benbow vom Lärm der Reparaturarbeiten widerhallten.

Herrick berichtete:»Ich habe Kapitän Neale darüber informiert, Sir, daß Sie noch heute vormittag Ihre Flagge auf Styx setzen werden. Er scheint darüber ganz außerordentlich erfreut zu sein.»

Bolitho blickte Allday an, der konzentriert mit dem Rasiermesser an seinem Kinn herumschabte. Der Ärmste mißbilligte ganz offensichtlich den Umzug auf die enge Fregatte und hätte den relativen Luxus auf dem Flaggschiff bestimmt vorgezogen; genau wie Herrick es offenbar keinem anderen Kommandanten zutraute, daß er die Aufgaben eines Flaggkapitäns bewältigen konnte.

Es war wirklich seltsam, wie sich die Schicksalsfäden bei der Navy immer wieder ineinanderwoben. Kapitän John Neale, jetzt Kommandant der mit 32 Kanonen bestückten Fregatte Styx, hatte in einem anderen Krieg, auf einer anderen Fregatte, als pausbackiger Midshipman unter Bolitho gedient. Auch Kapitän Keen, der mit seinem Linienschiff dritter Klasse, der Nicator, kaum eine Kabellänge[8] entfernt ankerte, war auf einem Schiff Bolithos Midshipman gewesen.

Stirnrunzelnd dachte Bolitho an Adam Pascoe; wann würde er von ihm hören, von seinen Fortschritten, seinem neuen Schiff und seinem Kommandanten erfahren?

Sorgfältig wischte Allday ihm das Gesicht sauber.»Fertig, Sir.»

Bolitho wusch sich in einer Schüssel, die Allday bei den Heckfenstern hingestellt hatte. Zwischen ihnen bedurfte es keiner langen Worte. Allday kannte von vielen Jahren Dienst im Hafen oder auf See Bolithos Gewohnheiten und seine Ungeduld, wenn er die Wand anstarren mußte, während Allday ihn für den Tag zurecht-

machte.

Schließlich gab es eine Menge zu tun, Befehle an die einzelnen Kommandanten mußten ausgefertigt werden, ein Bericht über den Stand ihrer Einsatzbereitschaft an die Admiralität sollte abgehen, die unerbittlich wachsenden Werftrechnungen mußten geprüft und abgezeichnet, Beförderungen ausgesprochen werden. Es wäre unfair, Herrick zu viele unerledigte Arbeiten zu hinterlassen, überlegte Bolitho.

Herrick fuhr fort:»Unser Postboot hat Ihre Depeschen an Land gebracht, Sir. Es hat gerade wieder an seiner Spiere festgemacht.»

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8

l Kabellänge = 182 m


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