Er schien zu staunen und verlangte dringend,

Die seltne Feier erst dem Könige

Zu melden, seinen Willen zu vernehmen;

Und nun erwart ich seine Wiederkehr.

Pylades:

Weh uns! Erneuert schwebt nun die Gefahr

Um unsre Schläfe! Warum hast du nicht

Ins Priesterrecht dich weislich eingehüllt?

Iphigenie:

Als eine Hülle hab ich's nie gebraucht.

Pylades:

So wirst du, reine Seele, dich und uns

Zugrunde richten. Warum dacht ich nicht

Auf diesen Fall voraus und lehrte dich

Auch dieser Fordrung auszuweichen!

Iphigenie:

Schilt

Nur mich, die Schuld ist mein, ich fühl es wohl;

Doch konnt ich anders nicht dem Mann begegnen,

Der mit Vernunft und Ernst von mir verlangte,

Was ihm mein Herz als Recht gestehen mußte.

Pylades:

Gefährlicher zieht sich's zusammen; doch auch so

Laß uns nicht zagen oder unbesonnen

Und übereilt uns selbst verraten. Ruhig

Erwarte du die Wiederkunft des Boten,

Und dann steh fest, er bringe, was er will:

Denn solcher Weihung Feier anzuordnen

Gehört der Priesterin und nicht dem König.

Und fordert er, den fremden Mann zu sehn,

Der von dem Wahnsinn schwer belastet ist,

So lehn es ab, als hieltest du uns beide

Im Tempel wohlverwahrt. So schaff uns Luft,

Daß wir aufs eiligste, den heil'gen Schatz

Dem rauh unwürd'gen Volk entwendend, fliehn.

Die besten Zeichen sendet uns Apoll,

Und eh wir die Bedingung fromm erfüllen,

Erfüllt er göttlich sein Versprechen schon.

Orest ist frei, geheilt! — Mit dem Befreiten

O führet uns hinüber, günst'ge Winde,

Zur Felseninsel, die der Gott bewohnt;

Dann nach Myken, daß es lebendig werde,

Daß von der Asche des verloschnen Herdes

Die Vatergötter fröhlich sich erheben

Und schönes Feuer ihre Wohnungen

Umleuchte! Deine Hand soll ihnen Weihrauch

Zuerst aus goldnen Schalen streuen. Du

Bringst über jene Schwelle Heil und Leben wieder,

Entsühnst den Fluch und schmückest neu die Deinen

Mit frischen Lebensblüten herrlich aus.

Iphigenie:

Vernehm ich dich, so wendet sich, o Teurer,

Wie sich die Blume nach der Sonne wendet,

Die Seele, von dem Strahle deiner Worte

Getroffen, sich dem süßen Troste nach.

Wie köstlich ist des gegenwärt'gen Freundes

Gewisse Rede, deren Himmelskraft

Ein Einsamer entbehrt und still versinkt.

Denn langsam reift, verschlossen in dem Busen,

Gedank ihm und Entschluß; die Gegenwart

Des Liebenden entwickelte sie leicht.

Pylades:

Leb wohl! Die Freunde will ich nun geschwind

Beruhigen, die sehnlich wartend harren.

Dann komm ich schnell zurück und lausche hier

Im Felsenbusch versteckt auf deinen Wink —

Was sinnest du? Auf einmal überschwebt

Ein stiller Trauerzug die freie Stirne.

Iphigenie:

Verzeih! Wie leichte Wolken vor der Sonne,

So zieht mir vor der Seele leichte Sorge

Und Bangigkeit vorüber.

Pylades:

Fürchte nicht!

Betrüglich schloß die Furcht mit der Gefahr

Ein enges Bündnis: beide sind Gesellen.

Iphigenie:

Die Sorge nenn ich edel, die mich warnt,

Den König, der mein zweiter Vater ward,

Nicht tückisch zu betrügen, zu berauben.

Pylades:

Der deinen Bruder schlachtet, dem entfliehst du.

Iphigenie:

Es ist derselbe, der mir Gutes tat.

Pylades:

Das ist nicht Undank, was die Not gebeut.

Iphigenie:

Es bleibt wohl Undank; nur die Not entschuldigt.

Pylades:

Vor Göttern und vor Menschen dich gewiß.

Iphigenie:

Allein mein eigen Herz ist nicht befriedigt.

Pylades:

Zu strenge Fordrung ist verborgner Stolz.

Iphigenie:

Ich untersuche nicht, ich fühle nur.

Pylades:

Fühlst du dich recht, so mußt du dich verehren.

Iphigenie:

Ganz unbefleckt genießt sich nur das Herz.

Pylades:

So hast du dich im Tempel wohl bewahrt;

Das Leben lehrt uns, weniger mit uns

Und andern strenge sein; du lernst es auch.

So wunderbar ist dies Geschlecht gebildet,

So vielfach ist's verschlungen und verknüpft,

Daß keiner in sich selbst noch mit den andern

Sich rein und unverworren halten kann.

Auch sind wir nicht bestellt, uns selbst zu richten;

Zu wandeln und auf seinen Weg zu sehen,

Ist eines Menschen erste, nächste Pflicht:

Denn selten schätzt er recht, was er getan,

Und was er tut, weiß er fast nie zu schätzen.

Iphigenie:

Fast überredst du mich zu deiner Meinung.

Pylades:

Braucht's Überredung, wo die Wahl versagt ist?

Den Bruder, dich und einen Freund zu retten,

Ist nur ein Weg, fragt sich's, ob wir ihn gehn?

Iphigenie:

O laß mich zaudern! denn du tätest selbst

Ein solches Unrecht keinem Mann gelassen,

Dem du für Wohltat dich verpflichtet hieltest.

Pylades:

Wenn wir zugrunde gehen, wartet dein

Ein härtrer Vorwurf, der Verzweiflung trägt.

Man sieht, du bist nicht an Verlust gewohnt,

Da du, dem großen Übel zu entgehen,

Ein falsches Wort nicht einmal opfern willst.

Iphigenie:

O trüg ich doch ein männlich Herz in mir,

Das, wenn es einen kühnen Vorsatz hegt,

Vor jeder andern Stimme sich verschließt!

Pylades:

Du weigerst dich umsonst; die ehrne Hand

Der Not gebietet, und ihr ernster Wink

Ist oberstes Gesetz, dem Götter selbst

Sich unterwerfen müssen. Schweigend herrscht

Des ew'gen Schicksals unberatne Schwester.

Was sie dir auferlegt, das trage: tu,

Was sie gebeut. Das andre weißt du. Bald

Komm ich zurück, aus deiner heil'gen Hand

Der Rettung schönes Siegel zu empfangen.

Fünfter Auftritt

Iphigenie allein :

Ich muß ihm folgen: denn die Meinigen

Seh ich in dringender Gefahr. Doch ach!

Mein eigen Schicksal macht mir bang und bänger.

O soll ich nicht die stille Hoffnung retten,

Die in der Einsamkeit ich schön genährt?

Soll dieser Fluch denn ewig walten? Soll

Nie dies Geschlecht mit einem neuen Segen

Sich wieder heben? — Nimmt doch alles ab!

Das beste Glück, des Lebens schönste Kraft

Ermattet endlich: warum nicht der Fluch?

So hofft ich denn vergebens, hier verwahrt,

Von meines Hauses Schicksal abgeschieden,

Dereinst mit reiner Hand und reinem Herzen

Die schwerbefleckte Wohnung zu entsühnen!

Kaum wird in meinen Armen mir ein Bruder

Vom grimm'gen Übel wundervoll und schnell

Geheilt, kaum naht ein lang erflehtes Schiff,

Mich in den Port der Vaterwelt zu leiten,

So legt die taube Not ein doppelt Laster

Mit ehrner Hand mir auf: das heilige,

Mir anvertraute, viel verehrte Bild

Zu rauben und den Mann zu hintergehn,

Dem ich mein Leben und mein Schicksal danke.

O daß in meinem Busen nicht zuletzt

Ein Widerwille keime! der Titanen,

Der alten Götter tiefer Haß auf euch,

Olympier, nicht auch die zarte Brust

Mit Geierklauen fasse! Rettet mich

Und rettet euer Bild in meiner Seele!

Vor meinen Ohren tönt das alte Lied —

Vergessen hatt ich's und vergaß es gern —,

Das Lied der Parzen, das sie grausend sangen,

Als Tantalus vom goldnen Stuhle fiel:

Sie litten mit dem edeln Freunde; grimmig

War ihre Brust und furchtbar ihr Gesang.

In unsrer Jugend sang's die Amme mir

Und den Geschwistern vor, ich merkt es wohl:

Es fürchte die Götter

Das Menschengeschlecht!

Sie halten die Herrschaft

In ewigen Händen

Und können sie brauchen,

Wie's ihnen gefällt.

Der fürchte sie doppelt,

Den je sie erheben!

Auf Klippen und Wolken

Sind Stühle bereitet

Um goldene Tische.

Erhebet ein Zwist sich:

So stürzen die Gäste

Geschmäht und geschändet

In nächtliche Tiefen

Und harren vergebens,

Im Finstern gebunden,

Gerechten Gerichtes.

Sie aber, sie bleiben

In ewigen Festen

An goldenen Tischen.

Sie schreiten vom Berge

Zu Bergen hinüber:

Aus Schlünden der Tiefe

Dampft ihnen der Atem

Erstickter Titanen,

Gleich Opfergerüchen,

Ein leichtes Gewölke.

Es wenden die Herrscher

Ihr segnendes Auge

Von ganzen Geschlechtern

Und meiden, im Enkel

Die ehmals geliebten,

Still redenden Züge

Des Ahnherrn zu sehn.

So sangen die Parzen;

Es horcht der Verbannte

In nächtlichen Höhlen,

Der Alte, die Lieder,

Denkt Kinder und Enkel

Und schüttelt das Haupt.


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