«Gewiß, Thomas. Adam Pascoe ist zwar mein Neffe, aber jetzt vor allem einer Ihrer Offiziere.»

Herrick sprach nun wieder etwas weniger förmlich.»Tut mir leid, daß ich Ihnen schon in der ersten Stunde an Bord Ärger bereiten muß, Sir. Um alles in der Welt hätte ich das lieber vermieden.»

Bolitho lächelte ernst.»Ich weiß. Dumm von mir, mich da einmischen zu wollen. Ich war schließlich selbst Flaggkapitän und habe mich oft geärgert, wenn mein Vorgesetzter mir dazwischenredete.»

Herrick wollte das Thema wechseln; er sah sich in der geräumigen Kajüte um.

«Hoffentlich entspricht alles Ihren Wünschen, Sir. Ihr Steward macht gerade das Dinner zurecht, und ich habe ein paar Matrosen abgestellt, Ihre Kisten wegzustauen.»

«Danke. Ich bin durchaus zufrieden. «Er hielt inne: da war er wieder, der dienstliche Ton zwischen Vorgesetztem und Untergebenem. Sonst hatten sie immer alles miteinander geteilt, hatten sich verstanden.

«Gehen wir bald in See, Sir?«fragte Herrick unvermittelt.»Aye, Thomas. Morgen vormittag, wenn der Wind günstig ist. «Er zog die Uhr und ließ den Deckel aufschnappen.»Ich würde gerne meine Offiziere…«Er zuckte zusammen: Selbst das war jetzt anders.»Ich möchte die Kommandanten des Geschwaders sprechen, so bald es geht. Vom hiesigen Gouverneur habe ich noch Depeschen bekommen, und wenn ich sie gelesen habe, werde ich dem Geschwader mitteilen, um was es geht. «Er lächelte.»Machen Sie kein so bekümmertes Gesicht, Thomas, für mich ist es ebenso schwer wie für Sie.»

Eine Sekunde lang blitzte die alte Wärme in Herricks Augen auf; die Kameradschaft, das Vertrauen, die jetzt so leicht zu zerstören waren.»Ich komme mir vor«, entgegnete er,»wie ein alter Fuß in einem neuen Schuh. «Jetzt lächelte er ebenfalls.»Aber ich lasse Sie bestimmt nicht im Stich.»

Er wandte sich um und ging hinaus; nach einer diskreten Pause schleppten Allday und zwei Matrosen eine große Kiste herein. Allday blickte sich rasch in der Kajüte um — anscheinend gefiel sie ihm.

Langsam wich Bolithos Spannung. Allday blieb immer der gleiche, Gott sei Dank. Selbst das blaue Jackett mit den großen vergoldeten Knöpfen, die neue Nankinghose und die Schnallenschuhe, die Bolitho ihm gekauft hatte, um seinen neuen Status als Bootsführer des Kommodore zu unterstreichen, vermochten nicht, seine kraftvolle, rauhe Persönlichkeit zu verbergen.

Bolitho schnallte den Degen ab und reichte ihn Allday.

«Na, Allday, was halten Sie von der Lysander?»

Allday sah ihn gelassen an.»Ein gutgebautes Schiff. «Das Wort» Sir «wollte ihm nicht über die Lippen. Sonst hatte er Bolitho immer» Captain «genannt, das hatte sich zwischen ihnen so ergeben. Seit dem neuen Rang stimmte nun auch das nicht mehr.

Allday erriet Bolithos Gedanken und grinste betreten.»Entschuldigung, Sir. «Böse starrte er die beiden Matrosen an, die noch mit einer Kiste in Händen dastanden.»Aber ich kann warten. Es wird nicht mehr lange dauern, dann heißt es sowieso >Sir Richard

Er wartete, bis die beiden Matrosen draußen waren, und sagte dann leise:»Sie möchten jetzt wohl gern allein sein, Sir. Ich werde Ihrem Steward Bescheid sagen, wie Sie alles haben wollen.»

Bolitho nickte.»Sie kennen mich gut.»

Allday schloß die Tür hinter sich.»Besser, als du dich jemals selber kennen wirst«, murmelte er und warf dem Posten vor der Tür einen kalten Blick zu.

Draußen auf dem Achterdeck trat Herrick langsam an die Netze und starrte zu den anderen Schiffen hinüber. Das war ein schlechter Anfang gewesen, für sie beide. Aber vielleicht war alles auch nur Einbildung, sogar seine Abneigung gegen Farquhar. Farquhar seinerseits teilte diese Abneigung bestimmt nicht, dem war er völlig gleichgültig. Warum regte er sich also bei jeder Gelegenheit auf?

Bolitho war doch der alte geblieben. Dieselbe Ernsthaftigkeit, die jederzeit in jugendlichen Übermut umschlagen konnte. Sein Haar war so schwarz wie eh und je. Er war auch immer noch so schlank und beweglich, nur seine rechte Schulter wirkte etwas steif. Wie lange war es her, daß ihn die Musketenkugel verwundet hatte? Fast sieben Monate mußten es schon sein. Die Linien um seine Mundwinkel waren ein bißchen tiefer geworden. Wegen der Schmerzen oder der neuen Verantwortung? Wohl beides zu gleichen Teilen.

Herrick sah, daß der Wachoffizier ihn neugierig musterte, und rief:»Mr. Kipling, Signal an Geschwader: Alle Kommandanten auf Abruf an Bord des Flaggschiffs!»

Auf dieses Signal hin würden sie jetzt ihre besten Uniformen anlegen, Inch in seiner winzigen Kajüte, Farquhar in seinem luxuriösen Quartier. Aber alle würden ebenso neugierig sein wie er: wo es hinging, was sie zu erwarten hatten — und was es sie kosten würde.

Über sich an Deck hörte Bolitho das Trappeln von Füßen; nach kurzem Zögern legte er seinen Galarock mit dem einzelnen Goldstreifen ab und setzte sich an seinen Arbeitstisch. Er schnitt das große Leinwandkuvert auf, konnte sich jedoch nicht gleich dazu entschließen, die sauber geschriebene Depesche zu lesen.

Immer noch hatte er Herricks besorgtes Gesicht vor Augen. Sie waren fast gleich an Jahren, und doch kam ihm Herrick sehr gealtert vor; sein braunes Haar war hier und da grau bereift. Bolitho fiel es schwer, etwas anderes in ihm zu sehen als seinen besten Freund. Aber er mußte in ihm den Kommandanten sehen, den Flaggkapitän eines neuen Geschwaders, das noch nie als selbständiger Verband zusammengewirkt hatte. Eine schwere Aufgabe für jeden, auch für einen Thomas Herrick… Bolitho versuchte, die plötzlich aufsteigenden Zweifel zurückzudrängen. Herrick war von bescheidener

Herkunft, Sohn eines Schreibers; doch gerade seine unbedingte Ehrenhaftigkeit, die ihn zu einem Mann machte, auf den unter allen Umständen Verlaß war, konnte ihm hinderlich sein, wenn es galt, Entscheidungen von größerer Tragweite zu treffen. Herrick war ein Mann, der jeden rechtmäßigen Befehl ohne Fragen und ohne Rücksicht auf persönliches Risiko ausführen würde. Aber war er der Mann, in einer Seeschlacht den Oberbefehl zu übernehmen, wenn der Kommodore ausfiel?

Merkwürdig: die vorigen beiden Ranghöchsten auf der Lysander waren bei St. Vincent ausgefallen. Der Kommodore, George Twy-ford, war bei der ersten Breitseite ums Leben gekommen; und der Flaggkapitän, John Dyke, durchlitt zur Zeit Höllenqualen im Marinehospital Haslar, war so schwer verstümmelt, daß er nicht einmal selbständig essen konnte. Das Schiff hatte beide überlebt — und noch viele andere. Bolitho blickte sich in der sauberen Kajüte mit den schön geschnitzten Möbeln um. Beinahe hatte er das Gefühl, sie beobachteten ihn lauernd.

Mit einem ärgerlichen Seufzer begann er, die Depesche zu lesen.

Grüßend nickte Bolitho den fünf Offizieren zu, die den Tisch in der Kajüte umstanden.»Bitte nehmen Sie Platz, Gentlemen.»

Während sie ihre Stühle heranrückten, beobachtete er ihre Gesichter — freudige, angeregte, neugierige. Es war schließlich ein besonderer Moment; vermutlich empfanden sie ebenso, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.

Farquhar hatte sich nicht verändert, war geschmeidig, elegant und so selbstbewußt geblieben, wie er schon als Midshipman gewesen war. Jetzt war er zweiunddreißig und planmäßiger Fregattenkapitän; vor Ehrgeiz leuchteten seine Augen fast so wie die blanken goldenen Epauletten.

Francis Inch konnte kaum das Strahlen auf seinem diensteifrigen Pferdegesicht verbergen. Die Schaluppe war unentbehrlich für die Rekognoszierung und als Vorhut des Geschwaders, und als ihr Kommandant war Inch ein hochwichtiger Mann.

Raymond Javal, der Kommandant der Fregatte, sah eher einem Franzosen ähnlich als einem britischen Marineoffizier. Er war tiefbrünett und hatte starkes, fettiges Haar; sein Gesicht war so schmal, daß es von den tiefliegenden Augen ganz und gar beherrscht wurde.

Mit einem kurzen Lächeln begrüßte Bolitho auch Kapitän George Probyn von der Nicator. Mit ihm war er auf der alten Trojan gefahren, als die amerikanische Revolution ausgebrochen war und die ganze Welt verändert hatte. Aber Probyn sah ganz anders aus als damals: wie ein riesiger, schäbiger Kneipenwirt hockte er gebeugt am Tisch. Nur ein Jahr älter als Bolitho, hatte er die Trojan auf die gleiche Weise verlassen, nämlich als Prisenkommandant auf einem gekaperten Blockadebrecher, den er zum nächsten alliierten Hafen segeln sollte. Im Gegensatz zu Bolitho, der auf diese Art zu seinem ersten selbständigen Kommando gekommen war, hatte Probyn das Pech gehabt, von einem amerikanischen Freibeuter geschnappt zu werden; er hatte den größten Teil des Krieges in Gefangenschaft verbracht, bis er schließlich gegen einen französischen Offizier ausgetauscht worden war. Diese in der wichtigsten Phase seiner Laufbahn verlorenen Jahre waren Probyn offenbar teuer zu stehen gekommen. Er wirkte unsicher und hatte eine merkwürdige Art, schnelle, verstohlene Blicke auf seine Kameraden zu werfen und dann wieder auf seine verschlungenen Hände hinunterzusehen.


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