Er legt sich hin, wickelt sich in die rauhe, graue Decke und brummt mit seiner Baßstimme: „Gute Nacht, Leute!“

Dann schläft er ein und schnarcht wie ein Wildeber, ohne die halblauten Gespräche zu hören, die bis nach Mitternacht dauern. Am nächsten Morgen geht der Diensthabende durch den Schlafraum und läutet mit einer silberhellen Glocke. Die Schüler springen auf, ziehen sich schnell an und laufen in den Waschraum. Nachdem alle schon längst auf den Beinen, sämtliche Betten gemacht, die Decken zusammengefaltet und auf die Kopfkissen gelegt sind, bemerkt der Diensthabende, daß der Neue aus der vierten Abteilung noch schläft. Der Diensthabende — es ist der kleine, näselnde Koslow aus der ersten Klasse — rennt zu Offenbachs Bett hin und klingelt Kaufmann direkt ins Ohr. Kaufmann erwacht, fährt hoch und starrt dem Diensthabenden direkt ins Gesicht. „Was willst du, Halunke?“

„Zeit zum Aufstehen! Alle sind schon auf. Sie gehen gleich zum Frühstück.“

Kaufmann flucht unflätig, zieht sich die Decke über die Ohren und dreht Koslow den Rücken zu.

„Steh doch auf!“ Koslow läßt nicht locker. Er wird in die Chronik eingeschrieben, wenn er nicht sämtliche Schüler weckt. „Steh endlich auf I“ näselt er. Kaufmann fährt plötzlich hoch, wirft die Decke ab und knallt Koslow eine Ohrfeige. Koslow kreischt auf, greift sich an die Wange, rennt aus dem Schlaf räum und schreit: „Ich zeig' dich an! Dir soll das Hauen vergehen, du Halunke!“

Aber er macht keine Meldung — Petzer sind in der Schkid unbeliebt. Kurz darauf kommt er mit Japs, den er sich zu Hilfe, geholt hat, in den Schlaf raum zurück.

„He, Baron, steh auf!“ Japs schüttelt Kaufmann an der Schulter.

Kaufmann steckt den Kopf unter der Decke hervor.

„Macht, daß ihr wegkommt, sonst…“

Aber nun ist er hellwach.

„Warum weckt ihr mich denn?“ brummt er mürrisch. „Wie spät ist es?“

„Schon nach acht“, erwidert Japs.

„Verdammt“, knurrt Kaufmann. Aber seine Stimme klingt durchaus gutmütig. „Bei euch werden die Leute aber früh aus den Betten geholt. Sogar in der Kadettenanstalt brauchten wir im Winter erst um halb neun aufzustehen.“

„Los!“ sagt Japs. „Raus aus der Falle.“ „Einmal hab' ich einen Aufseher verprügelt“, erzählt Kaufmann. „Kusmitsch hieß er. Ich hatte das Wecken verschlafen, und er rüttelte mich wach. Ich klebte ihm eine…“ Er lächelt verträumt und steckt die Beine aus dem Bett.

„Komm zum Waschen“, drängt Japs, als Kaufmann die Uniformjacke angezogen hat und die übriggebliebenen Goldknöpfe zuknöpft. Im Waschraum sind nur noch zwei Jungen. Kostalmed steht am Fenster und hakt in seinem Heft die Namen derer ab, die sich gewaschen haben.

„Wie heißt du?“ fragt er Kaufmann. „Zieh die Jacke aus!“ fügt er hinzu.

Widerstrebend legt Kaufmann die Jacke ab. Ebenso widerstrebend und faul spült er sich Gesicht und Hals.

Der Prophet läßt dem neuen Schüler die Nachlässigkeit hingehen und hakt seinen Namen ab.

„Na, Kinder“, sagt Japs nach dem Frühstück zu seinen Kameraden. „Unser Baron ist ein frecher Raufbold, aber ganz gutmütig.“ Kaufmanns Gutmütigkeit erweist sich schon am gleichen Tage. Er geht zum Sachenempfang in die Kleiderkammer, zieht dort die Kadettenuniform und die abgeschabte enge Hose aus und legt die Anstaltskleidung an — Hemd und Hose aus Leinen. Die Beschließerin-„Zischa“ („Zitronenschale“) oder „Amsti“ („Amerikanisches Stinktier“) genannt — ist eine alte Jungfer, die sich aus Langeweile gern mit den Zöglingen unterhält. Sie fragt Kaufmann nach seiner Vergangenheit aus.

„Liebst du Tiere?“ forscht sie, weil sie Hunde und Katzen vergöttert. „Ja“, erwidert Kaufmann, „alle Tiere — Hunde und Katzen und Menschen.“

Das berichtet Amsti den Lehrern, und diese geben es an Kaufmanns Kameraden weiter.

Kaufmann steht von nun an im Ruf eines starken, hitzigen, aber gutmütigen Burschen.

In der Schkid, besonders in der vierten Abteilung, bekommt er diktatorische Vollmachten. Auf alle Angelegenheiten, die durch Körperkraft entschieden werden, hat er großen Einfluß. Seine Klassenkameraden nennen ihn ebenso scherzhaft wie respektvoll „Kaufi“, aber die Lehrer bezeichnen ihn als „Faulenzer ersten Ranges“; denn das Lernen ist Kaufmanns schwache Seite.

DER BRAND

Das Jubiläumsbankett * Das Kohleslückdien * Gespenster * Hände hoch * Das Drama mit der Türklinke * Das verbrannte Lieblingskind * Der neue „Spiegel“.

Heiser schlägt die Uhr die zehnte Abendstunde. Es klingelt. Erschöpft von dem lichtlosen Wintertag, den endlosen Unterrichtsstunden und der Holzschlepperei, gehen die Schkider zu Bett. Das Haus versinkt in Schlaf.

Elanljum, die diensthabende Lehrerin, ist höchst zufrieden. Heute sind die Zöglinge artig. Heute legen sie sich geräuschlos ins Bett und schlafen sofort ein. Kein wildes Geschrei, keine Kissenschlachten, nur friedlicher Gehorsam.

Das kommt selten vor, und Elanljum freut sich, daß es gerade passiert, als sie die Aufsicht führt.

Ihr Assistent, ein dicker, weißblonder, weibischer Lehrer — die Schkider haben ihn wegen seiner rauhen Haut „Reibeisen“ getauft —, schläft ebenfalls schon. Er gehört zu der unerfreulichen Lehrerkategorie der „Schlappschwänze“. Weil er gutmütig, kurzsichtig und langsam in seinen Bewegungen ist, toben sich die Schkider in seiner Gegenwart bis zur Bewußtlosigkeit aus.

Heute ist Reibeisen besonders erschöpft, weil er neben seiner Lehrertätigkeit die Funktionen eines Arztgehilfen, eines Sanitäters, ausüben muß und an diesem Tage eine Reihenuntersuchung angesetzt war. Fünfzig Schkider hat er untersucht und abgeklopft — keine leichte Arbeit!

Reibeisen schläft also, aber Elanljum ärgert sich nicht darüber. Sie wird es schon schaffen, auch ohne seine Hilfe die Jungen ins Bett zu befördern.

Ein Viertel nach zehn ist es, als sie auf die Uhr sieht. Sie beschließt, einen letzten Rundgang durch das Haus zu machen. Dabei kommt sie auch in die vierte Abteilung. Wie angewurzelt bleibt sie auf der Schwelle stehen.

Alle Jungen sitzen mit Verschwörermienen auf ihren Bänken. Beim Eintritt der Lehrerin springen sie auf und stehen stramm. Japs tritt vor. „Ella Andrejewna“, sagt er mit erstaunlicher Schüchternheit, „wir wollen heute ein Jubiläum feiern — das Erscheinen der fünfund-zwanzigsten Ausgabe unseres 'Spiegels'! Dieses wichtige Ereignis möchten wir in Gestalt eines kleinen Banketts festlich begehen. Ella Andrejewna, ich bitte Sie deshalb im Namen der Klasse, uns zu erlauben, daß wir bis zwölf Uhr aufbleiben dürfen. Wir versprechen Ihnen auch, uns ganz ruhig zu verhalten. Ja?“ Die Augen der ganzen Klasse hängen an der Lehrerin. „Gut“, sagt sie gerührt, „bleibt meinetwegen auf. Aber macht keinen Lärm.“

Nach ihrem Weggang werden die Vorbereitungen getroffen. Die Jungen rücken einen runden Tisch in die Mitte. Auf ihm stehen die bescheidenen Genüsse, die von den Jungen in den vergangenen beiden Wochen gesammelt wurden. Mamachen stellt einen Teekessel und Becher hinzu.

„Ich bitte zu Tisch!“ sagt er weltmännisch.

Würdevoll nehmen die Jungen Platz. Jankel setzt zu einer Rede an: „Liebe Freunde, jetzt ist also die fünfundzwanzigste Nummer unseres 'Spiegels' erschienen…“

Er stockt, weil ihm die Worte fehlen. Aber auch ohne Worte ist alles klar. Er holt eine komplette Sammlung der Spiegelausgaben hervor und breitet sie auf den Bänken aus. Wie ein buntes Band liegen die fünf undzwanzig Nummern auf dem schwarzen, zerkratzten Holz. Fünf-undzwanzig Hefte, fünfundzwanzig Wochen angestrengter Arbeit — das spricht deutlicher als Worte vom Erfolg der Redaktion. Die Klasse betrachtet die alten Nummern so respektvoll, als wären es Museumsstücke. Nur Kaufmann interessiert sich nicht für den „Spiegel“.

Er hockt in einer Ecke und beschäftigt sich mit der Vertilgung einer Wurst. Er ist ebenfalls gehobener Stimmung, aber nicht wegen der Zeitung, sondern wegen der „Fresserei“.


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