Die Schmiede mit der lodernden Esse auf dem Hof wurde sein eigentlicher Vater. Die Mutter arbeitete als Wäscherin bei „Herrschaften“. Sie hatte keine Zeit, sich um ihren Sohn zu kümmern. Grischka liebte die Schmiede. Besonders schön fand er es, abends die blutrot glühende Feueresse zu betrachten, den ätzenden, aber angenehmen Rauch einzuatmen oder zuzusehen, wie der Meister einen glühenden Eisenstab aus dem Feuer holte, ihn auf den Amboß legte und zwei Schmiedegesellen ihn mit wuchtigen Hammerschlägen wie Wachs breit schlugen. Dumpf dröhnten die schweren Vorschlaghämmer auf das weiche Eisen, und hell schlug der kleine Handhammer den Takt dazu. Das klang so schön wie Musik.

Grischka gewöhnte sich so sehr an die Schmiede, daß er sogar bei den Gesellen übernachtete. Im Sommer kletterten sie in eine Kutsche, die zur Reparatur auf dem Hof stand, und hockten dort zusammen. Das war gemütlich. Die Gesellen erzählten Schauergeschichten — von Teufeln, von Leichen, von einem finsteren Glockenturm mit zwölf Gespenstern.

Grischka lauschte, bis er eine Gänsehaut bekam. Aber er wich nicht von der Stelle — er konnte doch die Geschichte nicht mittendrin verlassen, ohne zu wissen, wie sie ausging. So verlief seine Kindheit.

Dann brachte ihn die Mutter zur Schule. Es wurde Zeit, daß er etwas Vernünftiges lernte. Grischka sträubte sich nicht dagegen. Er ging bereitwillig mit.

Lust zum Lernen hatte er aus verschiedenen Gründen, vor allem aber wegen der Bücher seines Bruders. Sie hatten so schöne Umschläge: Wutverzerrte Gesichter waren darauf abgebildet, blitzende Dolche, Revolver, Tiger und rot gedruckte Blutströme.

Grischka erwies sich als begabt. Das Pensum, zu dem seine Klassengefährten zwei, ja drei Unterrichtsstunden brauchten, eignete er sich im Handumdrehen an, und die Lehrerin konnte seinen Eifer gar nicht hoch genug rühmen.

Allerdings gingen Grischkas Erfolge schon im ersten Jahr zu Ende. Lesen und schreiben lernte er. Dann kam er plötzlich zu dem Schluß, damit sei es genug, und von nun an vertiefte er sich ausschließlich in Detektivromane. Strafen und Vorwürfe fruchteten nichts. Hingerissen, mit angehaltenem Atem, begleitete Grischka den ruhmbedeckten amerikanischen Detektiv Pinkerton bei der Verfolgung von spurlos verschwundenen Mördern, Einbrechern und Kindesräubern, oder er machte sich zusammen mit Bob Ruhland, dem Assistenten des genialen Detektivs, auf die Suche nach Nat Pinkerton selbst, der in die Gewalt der blutdürstigen Verbrecher geraten war. So reiste er mit Pinkerton zwei Jahre lang durch die amerikanischen Staaten, bis ihm die Mutter eines Tages bekümmert sagte: „Nun bist du reingeschlittert, du Ochse. Wegen Dummheit haben sie dich aus der Schule geworfen. Was soll ich jetzt mit dir machen?“ Grischka war aufrichtig betrübt, gab jedoch der Mutter keinen Rat. Er enthielt sich überhaupt jeder weiteren Erörterung dieser Frage. Mit Müh und Not brachte die Mutter den „verwilderten“ Jungen in einer anderen Schule unter, aber Grischka hielt das Lernen endgültig für überflüssig. Wenn er das Haus verließ, versteckte er die Büchertasche im Keller und ging auf die Straße, zu seiner Lieblingsecke am Juwelierladen. Dort stand eine kleine Kapelle. Er hockte sich vor den Opferstock und ging seinem Inhalt mit zwei Fingern zu Leibe. Ein kleiner Stock half ihm bei diesen Manipulationen. Es war ein sicherer Verdienst: je Tag zwanzig Kopeken oder mehr. Dann kam der Krieg. Grischkas Bruder wurde an die Front geschickt. Grischka flog zum zweitenmal wegen mangelhaften Unterrichtsbesuchs aus der Schule. Eine Zeitlang saß er zu Hause herum, aber die Mutter beharrte auf ihrem Willen, und so sah sich Grischka eines Tages vor der dritten Wandtafel. Gleichzeitig mit der Revolution führte Grischka auch in seinem eigenen Leben eine Umwälzung durch. Er sagte der Mutter gerade ins Gesicht, daß er nicht mehr zur Schule gehen wolle, und warf ihr den abgeschabten, strapazierten Ranzen vor die Füße.

Vergeblich schalt ihn die Mutter aus, vergeblich drohte sie ihm mit Prügeln. Eigensinnig blieb er bei seinem Entschluß. Schließlich gab die Mutter es auf, und Grischka erhielt seine Freiheit zurück.

Er trieb sich in der Gegend herum, handelte mit Zigaretten, kaufte später sogar einen Schlitten und betätigte sich als „Sowjetpferdchen“. Stundenlang stand er am Bahnhof und wartete auf die Ankunft von Spekulanten, vonsogenannten „Sackträgern“, denenerfür Brot und Geld das Gepäck zu der angegebenen Adresse brachte. Doch diese Arbeit nahm sehr bald ein Ende: Das „Pferdchen“ war nicht kräftig genug. An einem düsteren Winterabend säuberte Grischka wieder einmal seinen Schlitten, zog die zerfetzte Joppe des Bruders über und ging zum Warschauer Bahnhof, zur Ankunft des Fernzuges. Die Straßen waren schon leer. Leise vor sich hin pfeifend, zog Grischka den Schlitten zum Bahnhof und stellte sich auf seinen gewohnten Platz am Eingang. Es hatten sich bereits viele „Pferdchen“ versammelt. Grischka begrüßte seine Nachbarn, machte es sich auf seinem Schlitten bequem und begann zu warten.

Neue Schlittenbesitzer strömten von allen Seiten zum Empfang des „Brotzuges“ herbei.

An der Ecke der Treppe fielen einige „Pferdchen“ wütend über die Neulinge her, die auf der Suche nach Verdienst ebenfalls mit ihren Schlitten zum Bahnhof gekommen waren.

„Was drückt ihr euch auf anderer Leute Bahnhof herum? Verduftet!“

Schüchtern traten die Neuen von einem Fuß auf den anderen. „Schubs mich nicht! Hier ist Platz genug. Du hast den Bahnhof nicht gepachtet. Wir stellen uns hin, wo es uns paßt!“

Der Zug lief ein. Ein allgemeines Gedrängel begann. Die Schlittenfahrer schoben sich dazwischen und rissen den verdutzten Fahrgästen mit Gewalt die Säcke aus der Hand. „Darf ich Ihr Gepäck fahren, Landsmann?“

„Ich hab' einen stabilen ausländischen Schlitten!“

„Für anderthalb Pfund bringe ich die Sachen bis zum Petrograder Viertel.“

Grischka zerrte seinen Schlitten hinter sich her und wollte ebenfalls den Koffer einer Frau an sich reißen.

„Wohin soll ich ihn bringen, Bürgerin?“ bot er zaghaft seine Dienste an.

Doch die Frau mißverstand seine Absichten.

„Du Gauner!“ jammerte sie. „Polizei! Er nimmt mir den Koffer weg!“

Erschrocken ließ Grischka den Koffer los. Unmittelbar danach sah er, daß sich ein langer Kerl den gleichen Koffer aneignete. „Regen Sie sich nicht so auf, Bürgerin“, redete er mit geübter Zungenfertigkeit auf die verschüchterte alte Frau ein. „Mit mir fahren Sie prima — wie in einer Luxusdroschke!“

Der Lärm flaute ab. Die „Pferdchen“ zogen nach allen Richtungen davon, aber Grischka stand noch immer wartend da. Nur er und zwei alte Weiblein mit Kinderschlitten waren übriggeblieben. Er hatte schon jede Hoffnung auf Verdienst verloren, scheute sich aber, mit leeren Händen heimzukehren. Da kam ein Bauer aus dem Bahnhof und blickte sich suchend um. „He, Sowjetpferdchen!“ grölte er. „Hier, Väterchen!“ stotterten die alten Frauen. „Bitte, Bürger!“ stieß Grischka leise hervor. Der Bauer musterte die drei Schlittenbesitzer zweifelnd. „Könnt ihr denn überhaupt eine Last ziehen?“ brummte er. Er wählte Grischka und schleppte dann die Säcke heraus. Sie waren bis obenhin mit Kartoffeln vollgestopft. Grischka bekam es mit der Angst. Sein Schlitten krachte unter der Last in allen Fugen, aber der Bauer brachte immer neue Säcke. Sie hatten kaum noch Platz. Sollte Grischka auf die Fuhre verzichten? Nein, entschloß er sich verzweifelt, ich will es doch riskieren!

Und er zog den Schlitten davon. Es war eine lange Fahrt, bis zum Stadttor. Er wurde klitschnaß vor Schweiß, seine Hände starben ab, der Strick schnitt ihm in die Brust, aber er hielt durch. Abends kam er wie zerschlagen heim. Er hatte drei Pfund schwarzes, mit Hafer vermischtes Brot bekommen. Das war für die damalige Zeit ein hoher Verdienst, aber dafür war es auch der letzte. Grischka hatte sich überanstrengt.

Doch es kam noch schlimmer. Sie hatten kein Stück Brot im Hause, Grischka aber brauchte Geld. Er hatte sich das Rauchen angewöhnt und naschte gern die Fettplätzchen, die es auf dem Trödelmarkt zu kaufen gab. Insgeheim stahl er aus dem Elternhaus alle möglichen Dinge — eine Goldmünze, die der Großmutter gehörte, oder eine Kaffeekanne.


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