Aber da der Unterschied der regionalen Kulturen in ihren Idealen und Traditionen eine objektive historische Gegebenheit ist, und diejenigen, die in Fachausdrucken „Ende der Geschichte“, „Kampf der Kulturen“ denken, in ihrer Mehrheit diese Empfehlungen von Huntington nicht gelesen haben, so arbeitet das Denken in diesen Kategorien und die daraus hervorgehende politische Praxis genau auf das Ziel hinaus, dieses global-politische Szenario zu verwirklichen, vor dessen Selbstverwirklichung Huntington zu warnen versucht hat, vor allem die westlichen Politiker, aber auch seine anderen Leser.
Fukuyama charakterisiert die Kultur des Westens als eine Kultur des ausgeklugelten Konsums und sieht im Wohlstand des Konsumenten die Stutze des Liberalismus und den Sinn des Daseins des Menschen und der Menschheit:
„Da aber die menschliche Wahrnehmung der materiellen Welt selbst auf den historischen Erkenntnissen uber diese Welt beruht, so kann die materielle Welt durchaus die Lebensfahigkeit eines konkreten Zustandes des Bewusstseins beeinflussen. Insbesondere der beeindruckende materielle Wohlstand in den entwickelten liberalen Wirtschaften und die, auf ihrer Grundlage, unendlich vielfaltige Konsumkultur scheinen den Liberalismus in der politischen Sphare zu nahren und zu unterstutzen. Gema? dem materialistischen Determinismus fuhrt eine liberale Wirtschaft zwangslaufig zu einer liberalen Politik. Ich, im Gegenteil, glaube, dass die Wirtschaft und auch die Politik einen autonomen vorangehenden Zustand des Bewusstseins voraussetzen, dank welchem sie erst moglich sind. Der Zustand des Bewusstseins, der den Liberalismus ermoglicht, stabilisiert sich am Ende der Geschichte, wenn die erwahnte Hulle und Fulle einer modernen freien Marktwirtschaft gewahrleistet ist. Zusammenfassend konnen wir sagen: ein universeller gemeinsamer Staat entspricht einer liberalen Demokratie in der politischen Sphare, kombiniert mit freiem Zugang zur Video- und Stereoanlage in der Wirtschaft.“
Und im letzten Absatz des Aufsatzes malt er eine Perspektive:
„Das Ende der Geschichte wird eine traurige Zeit sein. Der Kampf um Anerkennung, die Bereitschaft das Leben fur ein rein abstraktes Ziel zu riskieren, der weltweite ideologische Kampf, welcher Mut, Ideenreichtum und Idealismus verlangt, wird ersetzt werden durch wirtschaftliche Kalkulation, endloses Losen technischer Probleme, Umweltbedenken, und Befriedigung anspruchsvoller Anforderungen der Konsumenten. In der post-historischen Periode gibt es weder Kunst noch Philosophie, sondern nur ein sorgsam gehutetes Museum der Geschichte der Menschheit.“
Huntington, wie im Ubrigen auch andere westliche Denker, welche uber die Perspektiven der Globalisierung schreiben, und auch Politiker, welche die Expansion des Liberalismus in der Praxis realisieren, widersprechen Fukuyama nicht. In dieser Orientierung zum Konsumrausch der Zivilisation als die Norm des Lebens zeigt sich das Unverstandnis der Anhanger der liberalen Kultur uber das Wesen des Menschen und der Religion.
Dies zeigte sich deutlich in Huntingtons Definition der Zivilisation als ein spezifisch menschliches Phanomen:
„Ein Kulturkreis ist demnach die hochste kulturelle Gruppierung von Menschen und die allgemeinste Ebene kultureller Identitat des Menschen unterhalb der Ebene, die den Menschen von anderen Lebewesen unterscheidet. Sie definiert sich sowohl durch gemeinsame objektive Elemente wie Sprache, Geschichte, Religion, Sitten, Institutionen als auch durch die subjektive Identifikation der Menschen mit ihr.“ [3]
Hier ist die Gegenuberstellung des Menschen mit anderen biologischen Arten wichtig. Wie man daraus ersehen kann, wenn Tiere in freier Wildbahn nur das verbrauchen, was ihnen der Lebensraum hergibt, dann hat die Zivilisation es dem Menschen ermoglicht, nicht nur die Rohstoffe zu verbrauchen, sondern auch alles andere, was Menschen aus den Rohstoffen, die sie in der Natur gewinnen, herstellen.
In Wirklichkeit jedoch, druckt all das, was, nach Huntingtons Meinung, den Menschen von anderen biologischen Arten unterscheidet, nicht das Wesen des Menschen aus, sondern ist die Folge anderer, weitaus tieferer, wirklicher Unterschiede zwischen dem Menschen und den Vertretern der Fauna. Wie Untersuchungen westlicher Zoologen gezeigt haben, ist eine Kultur nicht nur fur den Menschen charakteristisch, sondern auch fur andere ausreichend hoch entwickelte biologische Arten [4]. Mit anderen Worten, das Vorhandensein einer Kultur (oder einer Zivilisation, die eine Kultur tragt) ist keine charakteristische Besonderheit des Menschen.
Der Mensch unterscheidet sich von allen anderen biologischen Arten in der Biosphare der Erde dadurch, dass die informationell-algorithmische Struktur seiner Psyche genetisch nicht eindeutig einprogrammiert ist, sondern stellt das Ergebnis personlicher Entwicklung dar, welche einerseits unter der Beeinflussung au?erer Umstande steht, und andererseits auf der Grundlage seines eigenen Verstandes aufbaut.
Wenn man sich an den schulischen Biologieunterricht erinnert, der allen bekannt ist, und in die eigene Psyche hineinblickt, dann kann man behaupten, dass das informationell-algorithmische Verhaltenssystem des Vertreters der biologischen Art „Homo sapiens“ Folgendes beinhaltet: 1) angeborene Komponente: Instinkte und unbedingte Reflexe (sowohl auf zellularer und intrazellularer Ebene, als auch auf der Ebene des Gewebes, der Organe, der Systeme und des Organismus im Ganzen) und auch ihre in der Kultur entwickelten Hullen; 2) Traditionen der Kultur, die uber den Instinkten stehen; 3) eigenes durch Gefuhle und Gedachtnis begrenzte Verstandnis; 4) „Intuition uberhaupt“: das, was nach Belieben von den unbewussten Ebenen der Psyche eines Individuums auf die Ebene des Bewusstseins „hochkommt“, was aus der kollektiven Psyche zu ihm kommt, was ein Produkt der Sinnestauschungen von au?en und der Besessenheit im inquisitorischen Sinne dieses Begriffes ist, und im Moment der Erscheinung fur sich keine Erklarung auf der Grundlage der vom Individuum wahrgenommenen Ursache-Wirkung Beziehung findet; 5) Gottes Fuhrung im Einklang mit Gottes Vorsehung, welche auf der Grundlage Allen bisherigen realisiert ist, mit Ausnahme von Sinnestauschung und Besessenheit als direkte Eingriffe von au?en in die fremde Psyche, gegen den Wunsch und gegen den bewussten Willen ihres Besitzers.
In der Psyche eines beliebigen Individuums existiert ein moglicher oder ein tatsachlichen Platz fur dies alles. Und in Abhangigkeit davon, was von dem Aufgezahlten die hohere Prioritat in der Psyche des Individuums besitzt, ist der erwachsene Mensch ein Trager von einem der vier Typen der Ordnung der Psyche:
· Der animalische Typ der Ordnung der Psyche charakterisiert sich dadurch, dass das ganze Verhalten Instinkten unterworfen ist und ihnen alle Fahigkeiten des Menschen dienen, einschlie?lich des schopferischen Potentials;
· Typ der Ordnung der Psyche Zombie (Bioroboter) charakterisiert sich dadurch, dass Instinkte Verhaltensprogrammen unterworfen sind, welche in seine Psyche von der Gesellschaft eingeschleust wurden, wahrend er aufwuchs, und aus dessen Algorithmik das Individuum selbststandig aus unterschiedlichen Grunden nicht herauskommen kann;
· Der damonische Typ der Ordnung der Psyche charakterisiert sich dadurch, dass das Individuum nach dem Prinzip „ich mache was ich will“ lebt, und dabei Gottes Fuhrung entweder unbewusst oder bewusst ablehnt;
· Der menschliche Typ der Ordnung der Psyche: das ist die Freiheit, welche als „das von der Gottes Fuhrung dem Gewissen Gegebene“ verstanden wird. Mit anderen Worten, der menschliche Typ der Ordnung der Psyche ist die Diktatur des Gewissens auf der Grundlage des Glaubens zu Gott („dem Gott glauben“ und nicht „an Gott glauben“).
3
In Wirklichkeit charakterisiert sich jede regionale Zivilisation des Planeten nicht durch die Kultur (einschlie?lich der sogenannten „materiellen“), sondern durch die Ideale, welche sie uber Jahrhunderte hinweg trug, unabhangig davon, wie weit ihr reales Leben von diesen Idealen entfernt ist und inwiefern diese Ideale ihren Vertretern als solche bewusst sind.
4
Siehe Publikation “Gruppen machen schlau” in der Zeitung „Die Zeit“ vom 06.11.2008; Internet-Adresse: http://www.zeit.de/2008/46/P-Carel-van-Schaik.