Ich öffne und Markus springt über das ganze Gesicht strahlend mit Rosen in der Hand die fünf Stufen hoch. Wir fallen uns in die Arme und der erste innige Kuss geschieht im Treppenhaus. Beide sind wir durcheinander und so bitte ich ihn hereinzukommen. Im Wohnzimmer fällt sein Blick auf den gedeckten Tisch und nach einem Kompliment fragt er: »Da sind aber nicht etwa Krevetten drin?«

»Doch, warum?«

»Das ist so ziemlich das Einzige, was ich nicht esse, sorry. Aber das macht nichts, ich habe sowieso keinen Hunger und bin einfach glücklich hier zu sein. Ich glaube, so schnell bringst du mich heute nicht los.« Dabei zieht er mich in seine Arme.

Als er gegen Morgen die Wohnung verlässt, weiß ich, dass ich wirklich verliebt bin. Ich hätte nie geglaubt, dass ich so etwas noch einmal in dieser Heftigkeit erleben darf und bin überzeugt, dass wir vom Schicksal oder vom lieben Gott zusammengeführt wurden.

Beim Mittagessen erzähle ich Napirai ausführlich von Markus. Nun überstürzen sich die Fragen: »Wie sieht er denn aus? Ist er alt oder jung? Mag er mich auch? Weiß er, dass ich braun bin? Hat er Kinder?« Als ich diese Frage bejahe, ist ihr Interesse richtig geweckt. »Wie alt sind die und kommen sie auch einmal zu uns zum Spielen?« Fragen über Fragen. Von nun an höre ich fast täglich, wann sie endlich Markus kennen lernen kann. Wir beschließen, dass dies gleich am kommenden Wochenende der Fall sein soll. Ich bin gespannt, wie er wohl auf mein Mädchen wirken wird. Als es dann am Wochenende an der Haustür klingelt, springt sie zuerst in ihr Zimmer und schaut nur aus einem schmalen Türspalt heraus. Nachdem ich aber Markus freudig begrüßt habe, kommt sie und beobachtet ihn erst einmal eine kleine Weile. Dann fragt sie, wo seine Kinder seien. Freundlich erklärt er, dass sie nur jedes zweite Wochenende bei ihm seien und deshalb heute nicht mitkommen konnten. Dafür hat er ein kleines Geschenk für sie. Sie nimmt es neugierig entgegen und zieht mich an der Hand in ihr Zimmer, während sie mir zuflüstert: »Mama, der sieht aber jung aus.« Ich muss lachen, denn er ist genauso alt wie ich, und ich kann nicht einschätzen, ob ich auf Napirai viel älter wirke oder ob sie den Vergleich zu meiner ersten Beziehung vor drei Jahren zieht. Jedenfalls gewinnt er bei meiner ansonsten eher männerscheuen Napirai schnell alle Sympathien. Da er selbst zwei Töchter hat, weiß er, wie er sie um den Finger wickeln kann. Kurze Zeit später schleicht auch der Nachbarsjunge scheinbar zufällig und gelangweilt mit in die Stirn gezogener Baseballkappe durch unser Wohnzimmer. Auch ihm stelle ich meinen neuen Freund vor. Kaum sind die Kinder um die Ecke, höre ich ihn zu Napirai sagen: »Cooler Typ!« Wir lachen -die erste Probe ist bestanden.

Wir erleben einen schönen gemeinsamen Abend, an dem sich die beiden langsam aneinander herantasten. Als Napirai ins Bett geht, erzählt Markus ihr tatsächlich bereits eine Geschichte, in der sein ehemaliger Hund vorkommt. Ich bin überglücklich und stolz, dass er über all seine guten Eigenschaften hinaus auch noch ein solch liebevolles väterliches Verhalten zeigt. Es ist einfach überwältigend.

Zwei Tage später habe ich eine Buchvorstellung im Zürcher Bernhard-Theater. Kurz bevor ich mich auf den Weg dorthin begebe, erreicht mich von der Veranstalterin ein Fax, dem ich entnehmen kann, dass die Kenianerinnen zu einer großen Demonstration aufgerufen haben. Langsam nervt mich das Ganze, da weder mein Verlag noch ich konkrete schriftliche Anschuldigungen bekommen. Man kann auf keiner Ebene vernünftig diskutieren. Ich werde von Securitas-Leuten in Zürich begleitet. Vor dem Theater stehen etwa fünfzehn Personen mit Trommeln und anderen Instrumenten auf der Straße und veranstalten großen Lärm. Noch einmal versuche ich, ins Gespräch zu kommen, gehe zu der Wortführerin und frage sie, was die Demonstration bedeuten soll. Wieder erhalte ich die Antwort, dass ich die Ehre von vielen Kenianern und Kenianerinnen verletze, und ich würde schon sehen, was noch alles passiert. Ich verdiene viel Geld und müsse deshalb die Hälfte meinem kenianischen Mann abliefern. Sie nennen Summen, die mich trotz des Ernstes der Situation fast zum Lachen bringen. Weiter behaupten sie, meine Verwandtschaft in Kenia sei wütend auf mich. Jetzt ziehe ich den jüngsten Brief von James aus der Tasche, den ich extra mitgenommen habe, und lese ihn vor. Darin steht, dass sie sich für meine Unterstützung und Hilfe bedanken und alle froh sind, dass sich das Buch so gut verkauft. Die Wortführerin schreit dazwischen, das sei alles gelogen, dies sei gar kein Brief von James, ich solle es beweisen! In diesem Moment ist mir endgültig die Zeit zu schade, um mit solch hysterischen Personen zu diskutieren, und ich laufe zu den wartenden Securitas-Wächtern. Eine der Frauen folgt mir und schimpft: »Das Kind gehört Kenia und wir werden es zurückbringen und zudem die Hälfte des Geldes einfordern!« Jetzt werde ich wirklich wütend und auch traurig, dass wildfremde Menschen sich auf diese Art und Weise einmischen und das gute Verhältnis zu meiner kenianischen Familie aus Habgier, Rache oder welchen Gründen auch immer zerstören wollen. Am schrecklichsten aber ist für mich die Vorstellung, dass mein Kind in Gefahr sein könnte!

Auch an diesem Abend sind die Demonstranten ein Teil des Gespräches nach der Lesung. Mir ist mittlerweile klar, dass wir die Bedrohung ernst nehmen müssen, denn es sind Fanatiker am Werk. Am nächsten Tag erstatte ich Anzeige bei der Polizei, da wir nun die Namen der beteiligten Personen kennen, weil sie die Demonstration angekündigt hatten. Sie hatten mit bis zu 150 Demonstranten gerechnet, aber nur ein Zehntel davon hat sich motivieren lassen. Die Polizei nimmt die Sache ernst und verhört die Beteiligten. Später erfahre ich aus dem Bericht, dass es sich tatsächlich um unhaltbare, fadenscheinige Anschuldigungen handelt und die kenianischen Frauen der Polizei versichert haben, mich in Zukunft in Ruhe zu lassen. Daraufhin ziehe ich meine Anzeige vorläufig zurück, damit diesen Menschen kein Prozess droht. Anscheinend ist ihnen nicht bewusst, wie schwerwiegend die Konsequenzen solcher Drohungen bei uns in der Schweiz sind. Von diesem Tag an habe ich Ruhe vor ihnen.

Es gibt aber auch schöne Erfahrungen in diesem Zusammenhang. Ich erhalte Telefonate und Briefe von verschiedenen Kenianerinnen, die mich beruhigen und beteuern, dass nicht alle so denken. Ich solle mir keine Gedanken machen, das Buch schildere nichts Falsches. Manchmal bekomme ich sogar von afrikanischen Menschen kleine Geschenke und schön gestaltete Karten mit lieben Worten. Es tut mir gut, denn ich bin mir bis heute nicht bewusst, wen ich beleidigt haben soll.

Allerdings fällt mir auf, dass ich schon über zwei Monate keine Nachricht von James erhalten habe. Doch einige Tage später trifft schließlich ein Brief ein. Wie immer beginnt er mit freundlichen Grüßen und der Versicherung, dass alles in Ordnung sei. Er entschuldigt sich, so lange nicht geschrieben zu haben, aber er hätte noch gewisse Sachen abklären müssen. Von kenianischen Leuten in der Schweiz habe er gehört, dass sie mit dem Buch nicht einverstanden sind, weil ich nicht respektvoll über sie, die Samburu und die Massai, und ihre Kultur geschrieben habe. Außerdem sei er ins Maralal Office geholt worden, um Erklärungen abzugeben. Ich dürfe nicht vergessen, dass ich nach kenianischem Recht immer noch Lketingas Frau sei und Napirai seine Tochter. Da er durch diese Kenianerinnen erfahren habe, dass ihm und seiner Familie noch viel Geld zustehen würde, bittet er um weitere Unterstützung. Sein Wunsch wäre es, zu wissen, was im Buch steht. Dann könnte er entscheiden, wem er glauben soll. Weiter erzählt er von seiner bevorstehenden Hochzeit und legt mir noch Fotos von seiner zukünftigen Frau bei. Es ist ein junges, etwa 15-jähriges Schulmädchen.

Der Brief stimmt mich nachdenklich und ärgerlich. Anscheinend schrecken diese Frauen vor nichts zurück. Sogar bis nach Maralal verbreiten sie schlechte Nachrichten. Zudem bin ich traurig. Jahrelang habe ich bei Lketingas Familie gelebt und hätte mir gewünscht, dass sie mich gut genug kennen. Seit meiner Rückkehr habe ich je nach Möglichkeit, auch vor dem Bucherfolg, die ganze Familie unterstützt und doch zweifelt James, wem er nun glauben soll! Ich bin entschlossen zu handeln, weiß aber im Moment noch nicht wie, weil ich nicht selbst nach Kenia reisen kann. Mit meinem Verleger bespreche ich die Situation, die mich sehr beschäftigt. Er entschließt sich, so schnell wie möglich persönlich nach Maralal zu reisen, um sich mit meiner kenianischen Verwandtschaft zu treffen. Da wir es für wichtig halten, dass jemand vorher das Buch für Lketinga und James übersetzt, fällt uns Jutta ein, die in Kenia lebt, die Gegend sehr gut kennt und vor allem die einheimische Sprache spricht. Der Verleger stellt den Kontakt zu ihr her, während ich in einem Brief James informiere. In zwei Monaten, also im Juni 1999, soll das Treffen stattfinden.


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