Dieser Brief macht mich glücklich. Ich bin froh, dass mich die Menschen in Barsaloi nicht verachten, sondern auch später noch willkommen heißen wollen. Das ist vor allem für Napirai wichtig. Mir fällt ein Stein vom Herzen und am liebsten würde ich meiner Schwiegermama einen Kuss auf ihren rasierten schwarzen Kopf drücken. Erleichtert schreibe ich zurück. Zwei Tage später erhalte ich von einer Deutschen, die in Kenia lebt, einen Brief. Ihm entnehme ich, dass sie mich flüchtig kannte. Sie wolle Lketingas Auto kaufen und brauche auf den beiliegenden Formularen einige Unterschriften von mir. Das Auto habe einen Brandschaden gehabt und sei beschädigt. Sie wolle es trotzdem kaufen und reparieren lassen. Ich glaube kaum, was ich lese. Der schöne teure Wagen ist halb ausgebrannt! Dabei möchte Lketinga doch, wie ich vom Inder erfahren habe, den Shop behalten! Wie will er denn ohne Auto für den Warennachschub sorgen? Und wie geht es ihm? Hat er sich womöglich dabei verletzt? Schon wieder neue Aufregung! Ich könnte heulen, obwohl mir die Sache mit dem Auto egal sein sollte. Trotzdem überlege ich, wie er das wieder geschafft hat. Vermutlich hat er den Wagen mit rauchenden Massai voll gestopft, als er sie zu einer Aufführung fuhr, oder er hat nie Öl und Wasser nachgefüllt.

Diese und ähnliche Überlegungen gehen mir durch den Kopf, als ich die Formulare studiere. Gerne würde ich jetzt nach Kenia telefonieren, um mit Lketinga zu sprechen. Aber niemand von denen, die ich kannte, besitzt ein Telefon. Die meisten haben nicht einmal Stromanschluss in ihren Hütten, obwohl sie in der Nähe der Küste und des Tourismus leben. Das spärliche Licht wird durch Petroleumlampen erzeugt. So kann ich nichts anderes tun, als die Papiere wegzuschicken und gespannt abzuwarten, was noch alles passiert.

Wir leben uns ein

Ende Februar zeigt mir meine Mutter ein Zeitungsinserat, in dem allein erziehende Frauen zur Gründung eines entsprechenden Vereins in unserer Umgebung gesucht werden. »Melde dich doch dort, damit du wieder unter Leute kommst und neuen Kontakt findest«, meint sie fürsorglich. Nach einigem Zögern melde ich mich tatsächlich an. Mitte März erhalte ich eine Einladung zu einem Sonntagsbrunch, bei dem sich alle kennen lernen sollen.

Das Treffen findet in einer gemütlichen Waldhütte am Rande eines Dorfes statt. Als ich mit Napirai ankomme, haben sich schon ein paar Frauen mit ihren Sprösslingen versammelt. Einige Kinder toben ausgelassen herum, während andere an ihren Müttern kleben. Napirai kennt keine Scheu, geht auf die Kinder zu und beobachtet sie aufmerksam. Auch sie wird neugierig gemustert, da sie das einzige farbige Kind ist. Immer mehr Frauen kommen an, bis wir eine Gruppe von ungefähr zwanzig Erwachsenen sind. Überall sind die Tische gedeckt und es duftet nach Kaffee. Die zwei Organisatorinnen stellen sich selbst und den Verein vor. Die Absicht ist, sich einmal im Monat zu einem Frühstücksbrunch zu treffen, um gemeinsam über Probleme zu diskutieren und einander zu helfen. Die Stärkeren unter uns sollen die Schwächeren unterstützen. Langsam sollen nach außen soziale Kontakte aufgebaut werden. Dann stellen sich alle kurz vor und erzählen, warum sie allein erziehend sind. Zum Teil kommen sehr traurige Schicksale zum Vorschein, die mich tief bewegen. Ein Teil der Frauen wirkt selbstbewusst, andere sind schüchtern und gehemmt. Einige sind schon Jahre allein, andere wiederum erst, wie ich, ein paar Monate. Als ich meine Geschichte erzähle, wollen die meisten mehr und mehr wissen. Viele finden mein Leben außergewöhnlich, verrückt und unglaublich schwierig. Ich dagegen empfinde die Probleme der anderen Frauen teilweise als viel größer. Viele kämpfen um Geld oder um das Sorgerecht für ihre Kinder. Wieder andere leiden noch sehr unter der Trennung von ihrem Mann, vor allem diejenigen, die verlassen wurden. Meine Lage erscheint mir viel leichter. Ich lebe von dem wenigen Bargeld, das ich noch habe, und warte nur auf meine Arbeitsbewilligung, um endlich anfangen zu können. Das Problem, mit meinem Mann um Unterhaltszahlungen kämpfen zu müssen, stellt sich mir nicht.

Während ich meine jetzige Situation betrachte, erinnere ich mich an mein Leben in Afrika, das teilweise einem Überlebenskampf bis an die Grenze des Todes gleichkam. Dort war ich zum größten Teil auf mich allein angewiesen, konnte die Maa-Sprache kaum und hatte keine Verbindung zur zivilisierten Außenwelt. Es gab Tage, an denen ich mit niemandem auch nur ein einziges Wort gewechselt habe. Eine Flucht aus unserem Dorf im kenianischen Hochland wäre mir nie möglich gewesen, denn keine Frau hätte es gewagt, mir zu helfen, indem sie meine kleine Napirai während der halsbrecherischen Fahrt durch den Dschungel gehalten hätte. Auch nicht für viel Geld, weil sie nie mehr zu ihrem Stamm hätte zurückkehren können. Massai-Männer stehen einer Frau, die flüchten will, erst recht nicht zur Seite.

Hier dagegen kann man mit allen sprechen, wird verstanden und erhält meistens auch Hilfe. Man muss sich nur in Bewegung setzen. Nein, für mich ist das Leben, seitdem ich allein erziehende Mutter in der Schweiz bin, viel einfacher geworden und es wird noch leichter werden, sobald ich arbeiten kann, davon bin ich überzeugt. Einige Frauen warnen mich, ich solle nicht so euphorisch sein, denn Jobs für Frauen in unserer Situation gäbe es nicht so viele. Außerdem müsste ich eine Betreuung für Napirai organisieren. Dass ich sie mit ihren knapp zwei Jahren immer noch stille, finden einige Mütter anscheinend recht seltsam. Ich werde das alles schon sehen, wenn es so weit ist, denke ich und lasse mich nicht beunruhigen.

Eine Frau namens Madeleine setzt sich zu mir und erzählt, sie fliege Ende April nach Kenia, um sich endlich Urlaub zu gönnen und sich von der Scheidung zu erholen. Nachdem sie vorhat, an die Südküste zu reisen, vereinbaren wir, dass ich sie vorher zu Hause besuchen werde. Sie will einige Informationen über Kenia und ich werde ihr aufzeichnen, wo sich unser Shop befindet, damit sie vorbeischauen und sich eventuell mit Lketinga unterhalten kann. Sie macht auf mich einen positiven Eindruck, und auch zwei, drei andere Frauen, vor allem aber eine der Organisatorinnen, die später unsere gewählte Präsidentin wird und vor Energie strotzt, fallen mir auf. Mit ein paar wenigen komme ich überhaupt nicht ins Gespräch.

Die Zeit vergeht wie im Flug und schon packen alle mit an, um abzuspülen und das Geschirr wegzuräumen. Die Hütte wird geputzt und dann verabschieden wir uns bis zum nächsten Treffen in vier Wochen.

Auf dem Nachhauseweg gehen mir viele Gedanken und die verschiedenen Lebensgeschichten durch den Kopf. Auf jeden Fall hat mir dieses Treffen gut getan. Zum einen habe ich wirklich Interesse, mit einigen dieser Frauen auch außerhalb der Gruppe einen Kontakt aufzubauen. Zum anderen ist mir klar geworden, dass ich nicht so lange warten kann, bis ich völlig mittellos dastehe. Zum ersten Mal wurde ich mit den Problemen von allein erziehenden Frauen konfrontiert. Vor den Jahren in Afrika war ich eine erfolgreiche Geschäftsfrau ohne Kinderwunsch und in Kenia ist es normal, dass viele Frauen allein für ihre zahlreichen Kinder aufkommen müssen. Ich habe mir also bisher nie viele Gedanken über dieses Thema gemacht. Heute aber konnte ich sehen, dass nicht wenige Frauen sich wie gelähmt ihrem Schicksal ergeben. Das will ich auf keinen Fall!

Wieder zu Hause erzähle ich meiner Mutter von meinen Eindrücken und teile ihr mit, dass ich mich der Gruppe anschließen werde, zumal auch Napirai es genossen hat, mit den vielen Kindern herumzutoben. Morgen will ich bei der Fremdenpolizei nachhaken, was los ist, denn immerhin sind wir nun schon fünf Monate hier.

Als ich am nächsten Morgen anrufe, spüre ich mit jeder Faser meines Körpers, dass dies ein ganz wichtiger Moment ist. Meine Mutter sitzt mit Napirai auf dem Sofa und schaut mich angespannt an, während sie sicher betet.


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