Doch obwohl Rodriguez de Fonseca sich so weit wie möglich an das erfolgreiche Vorbild der portugiesischen Casa de Guinea anzulehnen gedachte, nahmen seine grandiosen Fehlentscheidungen geradezu historisch fatale Ausmaße an.

Schon die Bestimmung seiner Heimatstadt zum Sitz der Casa war ein kapitaler Mißgriff. Das landeinwärts gelegene Sevilla war in jeder Hinsicht mit der Abwicklung des Schiffsverkehrs überfordert, den die Entwicklung eines so großen Kontinents mit sich brachte. Die meisten schweren Galeonen mußten bei den Sandbänken der Flußmündung des Guadalquivir vor Anker gehen. Dort schaffte man die Ladung auf riesige Flöße, die dann in endlosen Konvois flußaufwärts zogen, wobei man Unmengen Ware, Zeit und Geld verlor.

Obwohl jedes Kind die Absurdität dieser Fehlentscheidung hätte erkennen können, ließ sich die Casa sage und schreibe 217 Jahre Zeit, um diesen Unfug zu korrigieren und ihren Sitz in den benachbarten und perfekten Naturhafen Cádiz zu verlegen.

Der zweite und wahrscheinlich noch schlimmere Irrtum des Kanonikers Fonseca war sein frommer Glaube, unter den Legionen von Gesandten, Richtern, Ratgebern, Inspektoren und Unterinspektoren, die im Laufe der Zeit den unübersichtlichen Verwaltungsapparat der Casa aufblähten, würde es niemals einen korrupten Beamten geben. Dabei hatte doch die Geschichte schon gelehrt, daß man in Wahrheit unter den Tausenden, die unter Freunden und Verwandten ausgewählt worden waren, wohl schwerlich eine einzige absolut ehrliche Haut finden konnte.

Die logische Folge war, daß nur wenige Jahre später ein Kolonist in Peru, Mexiko oder Santo Domingo, der einen Antrag auf Gründung einer Zuckermühle oder Betreiben einer Silbermine stellte, sechs bis zehn Jahre lang warten mußte, bis man ihm die entsprechende Genehmigung erteilte und das erforderliche Werkzeug zur Verfügung stellte.

Da man, um besagte Genehmigung zu erhalten, vorher unzählige Leute schmieren, außerdem das Werkzeug im voraus bestellen und in Gold aufwiegen mußte, ist leicht zu verstehen, warum die Träume der meisten »Unternehmer« des neuen Kontinents nur Schäume blieben.

Den Bewohnern von Margarita ging es von nun an auch nicht anders. Bald saßen die Perlentaucher nur noch am Strand und blickten müßig auf den ruhigen unerschöpflichen Ozean hinaus, in dessen Tiefen märchenhafte Schätze schlummerten.

Als die Perlentaucher geschlagene drei Monate lang die Hände in den Schoß gelegt hatten, traf Don Hernando Pedrárias eine folgenschwere Entscheidung, die seinem Charakter und seinem Gerechtigkeitssinn voll entsprach: Wenn die Fischer die Perlen nicht freiwillig suchen wollten, dann mußte man sie eben dazu zwingen. Flugs unterzeichnete Don Hernando den Erlaß, der jede Stadt und jedes Dorf, ja jede Hütte an der Küste dazu verpflichtete, eine Steuer zu bezahlen, und zwar in Perlen. Säumigen Zahlern würde die Casa de Contratación das Land konfiszieren. Dieses gehörte letzten Endes ja der Krone, und deren Besitz verwaltete nun einmal niemand anderer als die Casa selbst.

Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Empörung auf der Insel. Und selbst Hauptmann Sancho Mendana, Festungskommandant von La Galera, den ansonsten nichts aus der Ruhe bringen konnte, geriet in Rage und schwor, diesem kapitalen »Hurensohn« irgendwann die Ohren abzuschneiden, der die Laster der verfluchten Casa geradezu zu verkörpern schien, dieser »Casa de Castración«, wie man in ganz Westindien die allmächtige Behörde beschimpfte, die sich vom Schweiß und dem Blut so vieler ausgebeuteter Kolonisten ernährte.

Tatsächlich hatten viele Soldaten, die meisten Dorfpfarrer und so gut wie alle Siedler die Nase gestrichen voll, daß sich wahre Heerscharen unfähiger Beamte ständig in alle nur denkbaren Angelegenheiten einmischten. Da die Casa de Contratación jedoch schon immer alle Briefe aus der Neuen Welt öffnete, las und zensieren durfte, wenn sie in ihnen »aufrührerischen Inhalt« vermutete, gab es nur wenige, die ihr Mißfallen offen zum Ausdruck brachten. Schließlich konnte der Zensor unbequeme Briefeschreiber mit einem einzigen Federstrich ins hungrige Europa zurückschicken.

Um die Wahrheit zu sagen, aus der Organisation des seligen Kanonikers Rodriguez de Fonseca war ein feines Spinnennetz geworden, in dem keiner wagte, einen Mucks zu machen, um nur ja keinen Blutsauger anzulocken. In gewissem Sinne hatte sich die Casa de Contratación zu einer weltlichen Inquisition entwickelt.

Drei Wochen nach Verkündigung des ungerechten Erlasses beschloß Don Hernando Pedrárias Gotarredona, Juan Griego ohne Vorwarnung höchstpersönlich mit seinem Besuch zu beehren, um die Steuer einzufordern, die er nach eigenem Gutdünken für die Einwohner festgelegt hatte.

An einem heißen Nachmittag rollte seine prunkvolle vergoldete Kutsche, von zwei stolzen Hengsten gezogen, in Juan Griego ein. Angesichts der vielen bewaffneten Reiter, die Don Hernando bewachten, hätte man glauben können, statt eines einfachen Handelsgesandten der Casa den Vizekönig höchstpersönlich vor sich zu haben.

Sechs Stunden zuvor waren schon zwei schwer beladene Kutschen nach Juan Griego gekommen. Eine Heerschar von Lakaien hatte ein riesiges Zelt abgeladen und am Strand unter den Palmen aufgebaut: mit Tischen, Stühlen und einem luxuriösen Himmelbett. Sprachlos schauten die Dorfbewohner dieser verschwenderischen Demonstration von Reichtum zu, die einen arabischen Scheich vor Neid hätte erblassen lassen.

Sebastián Heredia Matamoros, der sich an die Hand seines Vaters klammerte, wollte seinen Augen nicht trauen. Endgültig die Fassung verlor er, als er entdeckte, daß sogar ein schlichtes Handwaschbecken aus Silber gefertigt war.

»Wie kann jemand nur so reich sein?« wollte er wissen.

»Er raubt es sich zusammen«, entgegnete sein Vater bitter, drehte sich um und verschwand am Horizont des Strandes. Ein gemurmeltes »Verdammter Hurensohn« war das letzte, was man von ihm hören konnte.

Bei Anbruch der Nacht ließ sich Don Pedrárias Gotarredona, ein blonder Mann von kräftiger, untersetzter Statur, mit strengen, sehr grünen Augen, in einem ausladenden Sessel nieder, um den berühmten Sonnenuntergang von Juan Griego zu genießen. Anschließend nahm er im flackernden Schein der Fak-keln sein Abendessen auf goldenen Tabletts ein und lauschte abwesend bis gleichgültig einem kurzen Konzert, das ihm die drei einzigen einheimischen »Musiker« darbrachten.

Schließlich zog er sich zur Nachtruhe zurück, denn bei Sonnenaufgang hatten sich alle Einwohner des Dorfes vor seinem Zelt zu versammeln, Kinder, Alte und Kranke eingeschlossen. Nur Schwerkranke waren von diesem Befehl ausgenommen.

Alle fanden sich zur festgelegten Stunde ein.

Alle außer Don Hernando, der in aller Seelenruhe weiterschlief – oder zumindest so tat –, während die Geladenen am Strand oder im Schatten der Palmen warteten und Hauptmann Sancho Mendana auf- und abmarschierte und sich in den Schnurrbart biß. Denn eigentlich hatte er große Lust, auf die höchste Zinne seiner Festung zu klettern, die Kanonen um 180 Grad drehen zu lassen und das provozierende Symbol einer so schreienden menschlichen Ungerechtigkeit in Schutt und Asche zu legen.

»Und dafür habe ich mein Leben im Kampf gegen die Piraten riskiert«, grollte er immer wieder vor sich hin. »Verfluchter Hurensohn!«

Nachdem Don Hernando dann schließlich doch aufgestanden war, gefrühstückt und mit gesammelter Inbrunst seine Morgengebete verrichtet hatte, nahm er im großen Thronsessel Platz und ließ sich vor seinem Tisch schweigend jede einzelne Familie von Juan Griego vorführen.

Er musterte sie alle mit strengem Blick und blätterte immer wieder im Bericht, den ihm ein Gehilfe reichte. Wenn sich die Dinge nicht binnen eines Monats bessern würden, schärfte er allen, die nicht auf der Insel geboren waren, mit ernster Stimme ein, sähe er sich gezwungen, ihre Aufenthaltsgenehmigung für die Kolonien zu widerrufen und sie mit dem nächsten Schiff zurück nach Zamora, Sevilla oder Badajoz zu schicken.


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