Später fahren wir mit einem überfüllten Matatu nach Ukunda, das nächste größere Dorf. Dort treffen wir auf weitere Massai, die in einem einheimischen Teehaus sitzen.

Es besteht aus ein paar Brettern, die notdürftig zusammengenagelt sind, einem Dach, einem langen Tisch, sowie ein paar Stühlen. Der Tee wird in einem großen Kübel über dem Feuer gekocht. Als wir uns setzen, werde ich teils neugierig, teils kritisch gemustert. Und wieder wird wild durcheinandergeredet. Es geht eindeutig um mich. Ich mustere al e und stel e fest, daß keiner so gut und so friedlich aussieht wie Lketinga.

Stundenlang sitzen wir da, und mir ist egal, daß ich nichts verstehe. Lketinga ist rührend besorgt um mich. Er bestellt ständig etwas zu trinken und später auch einen Tel er Fleisch. Es sind zerkleinerte Teile einer Ziege, die ich kaum herunterkriege, weil sie noch blutig und sehr zäh sind. Nach drei Stücken würgt es mich, und ich gebe Lketinga zu verstehen, er sol e es essen. Doch weder er noch die anderen Männer nehmen etwas von meinem Teller, obwohl deutlich zu sehen ist, daß sie hungrig sind.

Nach einer halben Stunde stehen sie auf, und Lketinga versucht, mir mit Händen und Füßen etwas zu erklären. Ich verstehe allerdings nur, daß al e essen gehen wollen, ich jedoch nicht mitgehen kann. Ich wil aber unbedingt mitgehen. „No, big problem! You wait here“,

höre ich. Dann sehe ich, wie sie hinter einer Wand verschwinden und kurz darauf auch Berge von Fleisch. Nach einiger Zeit kommt mein Massai zurück. Er scheint den Bauch voll zu haben. Ich begreife immer noch nicht, warum ich hierbleiben mußte, und er meint nur: „You wife, no lucky meat.“

Ich werde am Abend Priscilla danach fragen. Wir verlassen das Teehaus und fahren mit dem Matatu zum Strand zurück. Beim Africa-Sea-Lodge steigen wir aus und beschließen, Jel y und Eric zu besuchen. Am Eingang werden wir angehalten, doch als ich dem Wärter klarmache, daß wir nur meinen Bruder und seine Freundin besuchen, läßt er uns kommentarlos ein. An der Rezeption werde ich vom Manager lachend begrüßt: „So, you will now come back in the hotel?“

Ich verneine und erwähne, daß es mir sehr gut gefäl t im Busch. Er zuckt nur mit den Schultern und meint: „Mal sehen, wie lange noch!“

Wir finden die beiden am Pool. Aufgeregt kommt Eric zu mir: „Wird aber auch Zeit, daß du dich wieder einmal zeigst!“ Ob ich gut geschlafen habe. Über diese Besorgnis muß ich lachen und erwidere: „Sicher habe ich schon komfortabler genächtigt, aber ich bin glücklich!“ Lketinga steht da, lacht und fragt: „Eric, what's the problem?“

Einige badende Weiße starren uns an. Ein paar Frauen laufen auffäl ig langsam an meinem geschmückten und mit neuer Bemalung gefärbten, schönen Massai vorbei und bestaunen ihn unverhohlen. Er seinerseits verschenkt keinen Blick, da es ihn eher geniert, soviel Haut ansehen zu müssen.

Wir bleiben nicht lange, da ich einiges einkaufen möchte, Petroleum, WC-Papier und vor allem eine Taschenlampe. Letzte Nacht blieb es mir erspart, mitten in der Nacht das Busch-WC aufsuchen zu müssen, aber das wird nicht so bleiben. Das WC

befindet sich außerhalb des Dorfes. Man erreicht es über eine halsbrecherische Hühnerleiter etwa zwei Meter über dem Boden. Dort befindet sich aus geflochtenen Palmenblättern eine Art Häuschen mit zwei Fußbodenbrettern und einem größeren Loch in der Mitte.

Wir finden alles in einem kleinen Laden, wo anscheinend auch die Hotelangestel ten ihre Ware beziehen. Jetzt erst merke ich, wie preiswert hier al es ist. Für meine Verhältnisse kostet, außer den Taschenlampen-Batterien, der Einkauf fast nichts.

Ein paar Meter weiter befindet sich eine weitere Bruchbude, wo mit roter Farbe

„Meat“ angeschrieben ist. Lketinga zieht es dorthin. An der Decke hängt ein riesiger Fleischerhaken und daran eine gehäutete Ziege. Lketinga schaut mich fragend an und meint: „Very fresh! You take one kilo for you and Priscilla.“

Mich schüttelt es beim Gedanken, dieses Fleisch essen zu müssen. Trotzdem wil ige ich ein. Der Verkäufer nimmt eine Axt und schlägt dem Tier ein Hinterbein ab, um mit zwei, drei weiteren Schlägen unsere Portion abzutrennen. Der Rest wird wieder an den Haken gehängt. Alles wird in Zeitungspapier gewickelt, und wir ziehen in Richtung Dorf.

Priscilla freut sich riesig über das Fleischgeschenk. Sie kocht uns Chai und holt bei der Nachbarin einen zweiten Kocher. Dann wird das Fleisch zerkleinert, gewaschen und in Salzwasser zwei Stunden gekocht. Inzwischen haben wir unseren Tee getrunken, den ich langsam als angenehm empfinde. Priscilla und Lketinga reden pausenlos. Nach einiger Zeit steht Lketinga auf und sagt, er gehe weg, sei aber bald wieder da. Ich versuche herauszukriegen, was er vorhat, doch er meint nur: „No problem, Corinne, I come back“,

lacht mich an und verschwindet. Ich frage Priscil a, wo er hingeht. Sie meint, so genau wisse sie es nicht, denn einen Massai könne man das nicht fragen, das sei seine Sache, aber sie vermute, nach Ukunda. „Um Gottes willen, was will er denn in Ukunda, von dort kommen wir ja gerade!“ sage ich etwas empört. „Vielleicht wil er noch etwas essen“, erwidert Priscilla. Ich starre auf das siedende Fleisch in dem großen Blechtopf: „Für wen ist dann dies hier?“ „Das ist für uns Frauen“, belehrt sie mich, „Lketinga kann von diesem Fleisch nichts essen. Kein Massai-Krieger ißt jemals etwas, was eine Frau angefaßt oder angeschaut hat. Sie dürfen nicht in Gegenwart von Frauen essen, nur Tee trinken ist erlaubt.“

Mir kommt die merkwürdige Szene in Ukunda in den Sinn, und meine Frage an Priscil a, warum al e hinter der Mauer verschwunden sind, erübrigt sich. Lketinga darf also gar nicht mit mir essen gehen, und ich kann nie etwas für ihn kochen.

Komischerweise erschüttert mich diese Tatsache mehr als der Verzicht auf guten Sex. Als ich mich einigermaßen gefangen habe, wil ich mehr wissen. Wie das sei, wenn zwei verheiratet sind. Auch da enttäuscht mich ihre Antwort. Die Frau ist grundsätzlich bei den Kindern und der Mann in Gesel schaft von anderen Männern seines Standes, also Kriegern, von denen ihm mindestens einer beim Essen Gesellschaft leisten muß. Es gehört sich nicht, al ein eine Mahlzeit einzunehmen.

Ich bin sprachlos. Meine romantischen Phantasien vom gemeinsamen Kochen und Essen im Busch oder in der einfachen Hütte stürzen ein. Ich kann meine Tränen kaum zurückhalten, und Priscilla schaut mich erschrocken an. Dann bricht sie in Gelächter aus, was mich fast wütend macht. Plötzlich fühle ich mich einsam und merke, daß auch Priscil a eine mir fremde, in einer anderen Welt lebende Person ist.

Wo bleibt nur Lketinga? Es ist Nacht geworden, und Priscilla serviert auf zwei zerbeulten Aluminiumtel ern das Fleisch. Inzwischen bin ich richtig hungrig, probiere und bin überrascht, wie weich es ist. Der Geschmack ist allerdings sehr eigenartig und salzig wie Sudfleisch. Wir essen schweigend mit den Händen.

Spät verabschiede ich mich und ziehe mich in Priscil as ehemaliges Häuschen zurück. Ich bin müde, zünde die Petroleumlampe an und lege mich auf das Bett.

Draußen zirpen die Gril en. Meine Gedanken kehren in die Schweiz zurück, zu meiner Mutter, zu meinem Geschäft und dem Bieler Alltag. Wie anders ist hier die Welt! Trotz al er Einfachheit scheinen die Menschen glücklicher zu sein, vielleicht gerade weil sie mit weniger Aufwand leben können. Dies geht mir durch den Kopf, und sofort fühle ich mich wohler.

Plötzlich geht die Holztüre quietschend auf, und Lketinga steht lachend im Türrahmen. Er muß sich bücken, damit er überhaupt eintreten kann. Er schaut sich kurz um und setzt sich zu mir auf die Bettpritsche. „Hello, how are you? You have eat meat?“

fragt er, und so wie er mich fragend und gleichzeitig fürsorglich aushorcht, fühle ich mich gut und empfinde ein großes Verlangen nach ihm. Im Schein der Petroleumlampe sieht er wunderbar aus. Sein Schmuck glänzt, der Oberkörper ist nackt und nur mit den zwei Perlenschnüren verziert. Das Wissen, daß sich unter dem Hüftrock nichts außer Haut befindet, erregt mich sehr. Ich ergreife seine schlanke, kühle Hand und drücke sie fest an mein Gesicht. In diesem Moment fühle ich mich verbunden mit diesem mir im Grunde völlig fremden Menschen und weiß, daß ich ihn liebe. Ich ziehe ihn an mich und spüre sein Körpergewicht auf mir. Ich presse meinen Kopf seitlich an seinen und rieche den wilden Geruch seiner langen roten Haare.


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