Keen lauschte dieser Frauenstimme, die in seiner Männerwelt so fremd und kostbar klang.

«Ich habe mehrere Male unter ihm gedient und war bei ihm, als er fast am Fieber starb.»

Sie studierte sein Gesicht, als wolle sie es sich einprägen.»Starb damals die Frau, die Sie liebten?»

«Ja.»

Sie nickte Ozzard, der den Teller abräumte, zu.»Sie haben so viel erlebt«, seufzte sie.»Warum müssen Sie so leben?»

Keen schaute sich in der Kajüte um.»Ich kenne es nicht anders. Das ist mein Beruf.»

«Und die Heimat vermissen Sie nie?«Ihr Blick war jetzt wieder verschleiert.

«Manchmal. Wenn ich an Land bin, vermisse ich mein Schiff. Und auf See sehne ich mich nach Feldern und grünen Bäumen. Meine beiden Brüder haben Höfe in Hampshire. Hin und wieder beneide ich sie. «Er zögerte; darüber hatte er noch mit niemandem gesprochen.

«Keine Sorge«, meinte sie.»Ihre Worte sind bei mir gut aufgehoben.»

Oben stampften Füße über die nassen Planken. Am Skylight lachte ein Mann und wurde von einem anderen barsch zurechtgewiesen.

«Sie lieben dieses Schiff, nicht wahr?«sagte sie.»Ihre Männer folgen Ihnen, wohin Sie sie auch führen.»

Er langte über den Tisch, an dem er mit den anderen Kapitänen gesessen hatte.»Geben Sie mir Ihre Hand.»

Sie streckte sie aus; der Tisch war so breit, daß sie einander kaum berühren konnten.

«Eines Tages gehen wir gemeinsam an Land«, sagte er.»Ich weiß noch nicht wann und wo, aber ich verspreche es Ihnen ganz fest.»

Sie strich sich eine Haarsträhne aus den Augen und lachte, aber ihr Blick war traurig.»In meinem Aufzug? Ich bin eine schöne Begleiterin für einen Offizier des Königs.»

«Ich war kürzlich an Bord eines Frachtschiffes aus Genua«, bemerkte Keen,»und habe Ihnen ein Kleid gekauft. Ozzard wird es Ihnen nachher bringen. «Er kam sich wie ein Tolpatsch vor.»Mag sein, daß es Ihnen nicht paßt oder gefällt…»

«Sie sind ein herzensguter Mann«, sagte sie leise.»An so etwas zu denken, obwohl Sie alle Hände voll zu tun haben. Es wird mir bestimmt gefallen.»

«Ich habe nämlich zwei Schwestern, müssen Sie wissen«, schloß Keen lahm und schwieg. Ein Ruf des Wachtpostens vor der Tür hatte ihn aus dem Konzept gebracht.

«Der Schiffsarzt, Sir!»

Keen gab Zenorias Hand frei.»Herein!»

Tuson trat ein und musterte sie ausdruckslos. Seine Hände waren rot, als hätte er sie geschrubbt.

«Frühstück?«Keen wies auf einen Stuhl.

Der Arzt lächelte schief.»Nein, danke, Sir. Aber einen starken Kaffee könnte ich schon brauchen. «Er schaute das Mädchen an.»Wie geht es Ihnen heute?»

Sie senkte den Blick.»Gut, Sir.»

Tuson nahm von Ozzard einen Becher Kaffee entgegen.»Das kann man von Ihrer Zofe Millie nicht behaupten. Ich glaube, sie würde sich eher dem Fieber in Gibraltar aussetzen, als jemals wieder eine solche Sturmnacht mitzumachen.»

Keen schaute zum Skylight auf, als ein Ruf des Ausguckpostens erklang.

«Hört sich an, als wäre ein Schiff gesichtet worden«, meinte Tuson.»Freund oder Feind?»

Keen mußte sich beherrschen, um nicht aufzustehen und das Skylight zu öffnen. Man würde zu ihm kommen, wenn er gebraucht wurde. Auch das hatte er von Bolitho gelernt.

«Unsere beiden anderen Schiffe wurden schon vor einer Stunde gemeldet«, erwiderte er.»Es könnte ein Feind sein.»

Tuson spitzte die Ohren, zähmte aber seine Neugier.

«Der Erste Offizier, Sir!«rief der Posten.

Paget trat mit durchnäßtem Rock ein.»Der Ausguck hat im Südwesten Segel gesichtet. «Er war bemüht, das Mädchen am Tisch nicht anzusehen, was aber sein Interesse noch offenkundiger machte.

«Im Südwesten?«fragte Keen. Ohne erst auf die Seekarte zu schauen, konnte er sich die Positionen der anderen Schiffe vorstellen. Icarus lief fast drei Meilen querab, und Rapid, kaum mehr als ein Schatten am trüben Horizont, war ihnen weit voraus.

«Ich bin selbst aufgeentert, Sir«, fügte Paget hinzu.»Es ist ein Franzose, ganz sicher.»

Keen musterte ihn gespannt. Mit jedem Tag lernte er mehr über seinen Ersten.

Paget wartete und ließ dann geschickt den Knalleffekt folgen:»Er ist getakelt wie wir, Sir. Zweifellos ein Linienschiff.»

Keen war aufgesprungen und merkte nicht, daß die anderen ihn beobachteten, Paget voll Stolz über seine Entdek-kung, Tuson mit Neugier. Nur der Blick des Mädchens verriet Zärtlichkeit und Sorge.

«Er wird wissen wollen, was wir vorhaben. «Keen blieb an den Heckfenstern stehen und stellte sich das andere Schiff vor.»Er folgt uns, meldet unseren Kurs vielleicht weiter.»

«Er hat aber noch keine Signale gesetzt, Sir«, sagte Paget hartnäckig.»Ich habe Mr. Chaytor mit einem Fernrohr aufentern lassen. Er würde es mir sofort melden.»

Keen trat zögernd an die Seekarte und wünschte sich auf einmal, Bolitho wäre anwesend. Die Franzosen setzten eines ihrer schweren Schiffe zur Aufklärung ein, obwohl sie den Meldungen zufolge über Fregatten verfügten. Argonaute konnte wenden und seine Verfolgung aufnehmen. Aber das war möglicherweise ein hoffnungsloses Unterfangen.

«Signal an Icarus: auf Station bleiben«, befahl er. Vor seinem inneren Auge sah er nicht das Schiff, sondern das säuerliche Gesicht seines Kommandanten.»Dann signalisieren Sie Rapid, zum Flaggschiff aufzuschließen.»

Paget zögerte an der Tür.»Werden wir ihn jagen, Sir? Wenn der Wind ein wenig nachläßt, schnappen wir ihn vielleicht. Unser Schiff segelt alle in Grund und Boden!»

Keen lächelte grimmig. Bei Pagets Begeisterung wurde ihm warm ums Herz.»Übermitteln Sie die Signale, rufen Sie dann alle Mann an Deck und lassen Sie Bramsegel und Royals setzen.»

Paget warf einen Blick auf das lebhaft schäumende Kielwasser, das durchs salzverkrustete Glas verschwommen und unwirklich aussah. Für mehr Segel war es eigentlich noch zu stürmisch. Doch seinen Kommandanten schienen keine Zweifel zu plagen. Die Tür schloß sich hinter dem Ersten, und Augenblicke später verkündeten schrille Pfiffe und stampfende Füße, daß das Schiff sich rüstete.

«Der Franzose wird fliehen, Sir?«fragte Tuson.

Keens Gedanken kehrten wieder in die Kajüte zurück.»Bestimmt. «Er lächelte.»Aber ich bin ein schlechter Gastgeber. Weswegen sind Sie gekommen?»

Tuson stand auf und ging mit wiegenden Schritten übers schräge Deck.»Ich wollte Ihnen über die Ausfälle der vergangenen Nacht berichten, Sir. Zehn Verletzte insgesamt, meist Knochenbrüche. Es hätte viel schlimmer kommen können.»

«Nur für den armen Teufel nicht, der über Bord ging. Aber haben Sie vielen Dank. Sie wissen, wie sehr ich Ihre Hilfe zu schätzen weiß.»

Tuson ging zur Tür. In seinem schwarzen Rock und dem weißen Haar, das ihm ordentlich gekämmt über den Kragen hing, sah er eher wie ein Geistlicher aus. Im Gegensatz zu vielen anderen Schiffsärzten betrank er sich nie. Keen hatte seinen Abscheu gesehen, wenn die Gläser gefüllt wurden. Tuson mußte in der Vergangenheit ein entsetzliches Erlebnis gehabt haben.

Als die Tür sich geschlossen hatte, sagte er leise:»Ein guter Mann.»

Sie schauten einander über den Tisch hinweg an.

Zenoria sprach zuerst.»Ich gehe jetzt. «Sie stand auf und schaute auf ihre bloßen Füße nieder, die auf dem karierten Bodenbelag sehr klein wirkten.»Was soll bloß aus uns werden?»

Er wartete, bis sie ihn erreicht hatte, und sagte dann:»Ich werde Sie lehren, mich zu lieben.»

Wieder ein Ruf des Ausguckpostens. Das mußte Chaytor sein, der Zweite Offizier.

«Er setzt mehr Segel, Sir!«Das französische Schiff wollte also die Distanz halten.

Zenoria legte ihm eine Hand an die Wange. Als er Anstalten machte, sie zu ergreifen, zog sie sie rasch zurück. Aber ihr Blick ließ ihn nicht los, und was sie sah, schien sie zu ermutigen. Zufrieden mit dem, was sie entdeckt hatte, fragte sie:»Kann Ozzard mich begleiten?»

Keen nickte. Sein Mund war trocken.»Vergiß mich nicht.»

An der Tür wandte sie sich noch einmal um und schaute ihn an.»Das könnte ich niemals.»


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