Ein leichtes Klopfen an der Lamellentür kündigte Keen an, dem beim Eintreten Bolithos unberührter Teller nicht entging.

«Die amerikanischen Fregatten gehen ankerauf, Sir.»

Bolitho nickte.»Ja. Nur die Franzosen bleiben noch hier.»

Keen zögerte.»Meiner Ansicht nach, Sir«, sagte er dann,»sollte uns ein weiteres Kurierschiff zur Verfügung gestellt werden.»

«Sie machen sich also auch Gedanken wegen Sparrowhawk

Keen zog die Schultern hoch.»Ja, allerdings. Da wir nicht einmal über eine kleine Brigg verfügen, sind wir taub und blind für alles, was sich außerhalb dieses Hafens abspielt.»

Yovell, der Sekretär, stand unschlüssig im Türrahmen.»Verzeihung, Sir, aber diese Papiere benötigen Ihre Unterschrift.»

Bolitho mußte plötzlich an seinen Neffen denken. Adam hatte um Erlaubnis ersucht, Chases Nichte Robina nach Newburyport begleiten zu dürfen. Jetzt beneidete er ihn um seine Freiheit; Adam wenigstens blieben dieses endlose Warten und die nagende Ungewißheit erspart. In den letzten Tagen hatten er wie auch Allday unter Bolithos Gereiztheit zu leiden gehabt.

Schnell überflog er, was Yovell geschrieben hatte, und setzte seine Unterschrift darunter. Kein Wunder, daß über den Papierberg in der Admiralität bittere Witze gerissen wurden. Wer konnte diese Flut von Berichten auch jemals lesen?

Bolitho faßte einen Entschluß.»Ich unternehme noch einen letzten Versuch, die Angelegenheit San Felipe mit den Amerikanern zu besprechen. Danach brechen wir auf und segeln zu der Insel, ob die Sparrowhawk nun eingetroffen ist oder nicht. Falls Sie den Kapitän eines Handelsschiffes überreden können, senden Sie bitte diskret mit ihm Nachricht nach Antigua. Dort sollte der Admiral von English Harbour über unser Vorhaben unterrichtet werden. Und wenn ich Ihrer Depesche ein, zwei Sätze hinzufüge, schaffen wir es vielleicht, ihm eine Brigg abzuluchsen.»

Ozzard trat ein und räumte wortlos das Tablett ab; nur ein vorwurfsvoller Blick verriet, was er über diese Verschwendung dachte.

«Erwarten Sie etwa, daß uns die Amerikaner einen Strich durch die Rechnung machen, Sir?«fragte Keen.

Bolitho schüttelte den Kopf.»Sie meinen, mit diesen Fregatten? Nein, das wäre unklug. Sie werden Mißbilligung äußern, sich aber mit der Zuschauerrolle begnügen.»

Der Erste Offizier trat mit eingezogenem Kopf über die Schwelle.»Bitte um Vergebung wegen der Störung, Sir, aber Mr. Chases Barkasse hält auf uns zu. Er hat auch den anderen Gentleman dabei.»

Bolitho und Keen wechselten Blicke.

Dann sagte Bolitho leise:»Endlich beehrt uns Mr. Fane, der Gesandte des Präsidenten, in eigener Person. Nun können wir vielleicht reinen Tisch machen.»

Grinsend griff Keen nach seinem Hut.»Ehrenwache vollzählig antreten lassen, Mr. Quantock! Wenn es Zunder gibt, dann soll's nicht an uns liegen.»

Allday kam aus dem Nebenraum getrottet und warf einen Blick zum Schott, wo Bolithos Säbel hingen. Nach kurzem Zögern nahm er die goldglänzende Prunkwaffe herunter, die Bolitho nach der Schlacht bei Abukir verliehen worden war. Dem alten, abgewetzten Familiensäbel gab er einen liebevollen Klaps und murmelte:»Du kommst auch noch dran — später.»

Bolitho hob die Arme, damit Allday den glitzernden Ehrensäbel an seinen Gürtel schnallen konnte. Allday hatte recht. Der alte Säbel war für die Schlacht, das Prunkstück fürs Repräsentieren.

Rund zwölfhundert Meilen südlich der Stelle, wo Bolitho mit mühsam beherrschter Ungeduld Mr. Samuel Fanes Besuch erwartete, lag Seiner Britannischen Majestät Fregatte Sparrowhawk reglos unter der blendenden Sonne. Vor ihrem Bug mühten sich zwei ihrer Boote lustlos ab, das Mutterschiff an Schleppleinen in Fahrt zu bringen, damit wenigstens Ruderwirkung erhalten blieb, wenn sie schon jede Hoffnung auf Wind verloren hatten.

Seit drei Tagen lagen sie in einer Totenflaute, die sie festhielt, nachdem sie San Felipe verlassen hatten. Ihr Auftrag dort war nur zum Teil erfüllt.

Mit gerunzelter Stirn saß Kapitän Duncan an seinem Schreibtisch und fügte einen weiteren Absatz an seinen ohnehin schon langen Brief. Er schrieb an seine Frau — wie die meisten verheirateten Marineoffiziere mit ähnlicher Regelmäßigkeit, wie er sein persönliches

Logbuch führte. Er wußte weder, wann er diesen Brief beenden, noch welchem Schiff er ihn mitgeben würde.

Trotz seiner Schroffheit hing Duncan sehr an seiner Frau und ging zart mit ihr um. Sie waren jetzt zwei Jahre verheiratet, hatten aber insgesamt kaum einen Monat miteinander verbracht. Er haderte deshalb nicht mit dem Schicksal, denn solche Opfer mußte bringen, wer sich der Kriegsmarine verschrieb. Duncan war gerade erst 27 Jahre geworden und schon Fregattenkapitän. Und wenn er diesen Posten unter Bolitho behielt, konnte nichts — Friede hin oder her — seinen weiteren Aufstieg verhindern.

Wie viele seiner Zeitgenossen glaubte Duncan nicht an einen dauerhaften Frieden. Er hatte sich bereits in drei größeren Seeschlachten ausgezeichnet und war auch in kleineren Gefechten erfolgreich gewesen, im Kampf Schiff gegen Schiff, dem ureigensten Element jedes guten Fregattenkapitäns.

Bolitho galt seine uneingeschränkte Verehrung. Er bewunderte ihn nicht so sehr wegen seines Mutes und seiner Geschicklichkeit — beides hielt er eher für selbstverständlich — , sondern mehr noch für seine Anteilnahme am Schicksal der ihm Unterstellten. Obwohl er es nicht einmal sich selbst eingestand, versuchte Kapitän Duncan, Bolitho in allem nachzueifern.

Daher auch sein unzufriedenes Stirnrunzeln. Denn sein Besuch in San Felipe war kein Erfolg gewesen. Gouverneur Sir Humphrey Rivers hatte ihn abgefertigt wie einen grünen Rekruten, statt ihn zu behandeln, wie es einem Kriegsschiffkommandanten und Abgesandten Bolithos zukam.

Duncan verstand eben eine Menge von der Seefahrt, aber nichts von Männern wie Rivers.

Gleich bei ihrer ersten Begegnung hatte Rivers die Beherrschung verloren. Sie standen in seinem mitten in einer blühenden Plantage gelegenen Herrenhaus, und Rivers schrie Duncan an:»Da draußen neben dem Hafen liegt ein Friedhof, Kapitän! Er ist voller tapferer Männer, die ihr Leben für diese Insel gelassen haben! Ich denke nicht daran, ihr Andenken zu verraten und alles hier den Franzosen auszuliefern. Verdammt will ich sein, wenn ich das tue!»

Insgeheim pflichtete Duncan ihm ja bei, aber er war zu sehr daran gewöhnt, seinen Befehlen zu gehorchen. Außerdem war ihm der Mann zuwider, er hielt ihn für ein arrogantes Schwein.

Bolitho würde es nicht gerade freuen, daß er mit leeren Händen kam. Wenn Rivers sich weigerte, die zwischen England und Frankreich geschlossene Vereinbarung zu erfüllen, mochte er sich unversehens vor der Anklage des Hochverrats oder der Meuterei sehen — oder womit die Regierung sonst unbotmäßige Gouverneure zur Räson brachte. Mit einem erneuten Stirnrunzeln begann Duncan wieder zu schreiben.

Da hob sich das Deck unter seinen Füßen, und von einem Nebentisch fiel klappernd der Stechzirkel zu Boden.

Als Duncan aufsprang, spürte er, wie das Schiff unter ihm langsam wieder zum Leben erwachte.

Er eilte an Deck, wo sein Erster Offizier und der Segelmeister hoffnungsvoll zu den schlaffen Segeln emporstarrten, mit denen ein erstes zartes Lüftchen zu spielen begann.

Duncan wischte sich den Schweiß aus den Augen. Viel war das nicht, aber immerhin.

«Mr. Palmer! Rufen Sie die Boote zurück und lassen Sie sie wieder einsetzen. Und dann alle Mann an Deck zum Segelmanöver!«Er schlug dem Leutnant auf die Schulter und fügte hinzu:»Hol's der Teufel, Mr. Palmer, aber vielleicht haben wir jetzt die längste Zeit hier geschmort.»

Mit ein paar Schritten war Duncan am Schanzkleid und packte den sonnenwarmen Handlauf mit seinen mächtigen Pranken. Er sah zu, wie das erste Boot die Schleppleine loswarf und dankbar zum Schiff zurückpullte, obwohl die erschöpften Bootsgasten kaum noch die Riemen heben konnten.


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