Zu dieser Zeit herrschte starker Sturm, und es war unmöglich zu wenden, ohne das Schiff zu entmasten. Es hätte auch keinen Sinn gehabt. Bis ein Boot vom Schiff freigekommen wäre, hätte keine Möglichkeit mehr bestanden, den Mann im wilden Seegang wiederzufinden. Aber der Vorfall beeindruckte das ganze Schiff tief, und selbst die Härte, mit der die älteren, erfahrenen Seeleute ihn hinnahmen, konnte die Wirkung nicht mildern.

Es war der erste Todesfall, seit das Schiff Plymouth verlassen hatte, und er schien wie eine finstere Drohung über den überfüllten Decks zu hängen, je länger das Schiff unter dem anhaltenden Druck des Wetters auf sich selbst gestellt war. Eine ganz ähnliche Stimmung hatte nach dem ersten Auspeitschen geherrscht. Irgendwie war es einem Matrosen gelungen, Zugang zu den Schnapsvorräten zu finden, und ohne einem Kameraden etwas zu sagen, hatte er sich einen stillen Winkel gesucht und sich sinnlos betrunken.

Während der ersten Wache war er splitternackt aufgetaucht und hatte sich auf dem verdunkelten Deck wie ein Wahnsinniger aufgeführt, hatte jedem, der ihn zu packen versuchte, wilde Verwünschungen und Flüche entgegengebrüllt. Es war ihm sogar gelungen, einen Unteroffizier niederzuschlagen, ehe er überwältigt werden konnte.

Am nächsten Tag, als das Schiff schwer in einer Regenbö kämpfte, hatte Bolitho die Besatzung antreten lassen, damit sie an der Bestrafung teilnahm. Nachdem er die Kriegsartikel verlesen hatte, befahl er den Bootsmannmaaten, die Strafe von dreißig Peitschenhieben zu vollstrecken. Das war in Anbetracht der sehr strengen Disziplinarvorschriften bei der Marine eine milde Strafe. In das Getränkelager einzubrechen, war schlimm, aber einen Unteroffizier niederzuschlagen, darauf standen eigentlich Kriegsgericht und der Galgen, wie jeder nur zu gut wußte.

Bolitho hatte keinen Trost darin gefunden, daß er nur die Mindeststrafe verhängte. Selbst die Tatsache, daß der Unteroffizier damit einverstanden war, auszusagen, er sei gar nicht geschlagen worden, war für das Auspeitschen kein Ausgleich. Zu jeder anderen Zeit war eine Bestrafung notwendig, doch als er mit den Offizieren an der Reling des Achterdecks stand und der Trommeljunge zwischen jedem Schlag der neunschwänzigen Katze einen langsamen Wirbel schlug, hatte es ihm geschienen, daß das ganze Schiff auch ohne dieses zusätzliche Leiden genug zu ertragen hatte. Irgendwie war es durch den Regen noch schlimmer gewesen. Der Kälte wegen hatte die Mannschaft sich eng zusammengedrängt, wie die scharlachrote Reihe der Marinesoldaten mit dem ungleichmäßigen Rollen des Schiffs geschwankt, wie die zuckende, mit gespreizten Gliedern auf den Rost gefesselte Gestalt, keuchend und schluchzend, während die Peitsche im Takt mit den Trommelschlägen sich hob und fiel.

Gelegentlich erschien eine Schaluppe bei dem kleinen Geschwader, mit Depeschen von der Flotte oder Vorräten aus Vigo. Und wenn das Wetter es zuließ, befahl der Kommodore seine Kapitäne an Bord des Flaggschiffs, um ihnen seine formellen Berichte vorzulesen, ehe er sie in ihrer Gegenwart unterzeichnete, und dann, zu Bolithos Erstaunen, jeden einzelnen der drei Kommandanten der Reihe nach aufforderte, ebenfalls zu unterschreiben.

Er hatte von diesem Brauch noch nie gehört, konnte aber den hölzernen Gesichtern seiner beiden Kameraden entnehmen, daß sie an diese seltsame Laune von Pelham-Martin gewöhnt waren. Es wurde in zunehmendem Maß offensichtlich, daß der Kommodore nicht beabsichtigte, auch nur im geringsten von seinem Plan abzuweichen, der Kritik oder der möglichen Unzufriedenheit des Vizeadmirals dadurch zuvorzukommen, daß er bei allem, was er tat, seine drei Kommandanten mitverantwortlich machte. Bisher hatte er selbstverständlich nichts anderes getan, außer seine Befehle buchstabengetreu zu befolgen: Patrouille und Blockade, sonst nichts.

Jedesmal, wenn Bolitho an Bord der Indomitable gerufen wurde, stellte er fest, daß Pelham-Martin ein freigebiger Gastgeber war. Die Schaluppen, die nach Vigo segelten und zurückkamen, versorgten ihn dem Anschein nach reichlich mit erlesenen Weinen und stellten, Bolithos Ansicht nach noch wichtiger, eine gewisse Verbindung zur Außenwelt her.

Zum letztenmal besuchte Bolitho das Flaggschiff am Weihnachtstag. Seltsamerweise hatte sich das Wetter beruhigt; es wehte ein mäßiger Nordwest, und an die Stelle der anlaufenden, brechenden Wellen war eine lange flache Dünung getreten. Das Oberdeck der Hyperion war dicht von Gestalten bedeckt, die auf das graue, wogende Wasser und die anderen Schiffe starrten, als sähen sie sie zum erstenmal. Das konnte durchaus so sein, denn während der vergangenen acht Wochen, seit sie zu Pelham-Martins Geschwader gestoßen waren, hatte das Wetter sich nie länger als für eine Stunde beruhigt.

Bolitho ärgerte sich darüber, daß er das Flaggschiff besuchen mußte. Unter den herrschenden Verhältnissen würde Weihnachten für seine Besatzung kärglich genug ausfallen, auch ohne daß er von Bord ging, scheinbar um die Freuden der reich gedeckten Tafel des Kommodore zu genießen. Die Vorräte an frischen Lebensmitteln waren auf der Hyperion schon lange aufgebraucht, und das Weihnachtsessen für die Mannschaft war ein befremdliches Gemisch aus warmem, mit Rum kräftig gewürzten Rinderhaschee und einem Brei von zweifelhaftem Geschmack, von dem Gilpin, der einarmige, bösartig aussehende Koch Bolitho versicherte, daß es» ihre Herzen in Flammen setzen «würde.

Bolitho wußte jedoch, daß es bei seinem Besuch auf dem Flaggschiff nicht nur um ein Festmahl ging. Beim ersten Tageslicht war eine Korvette aufgetaucht und hatte die leichte Brise genutzt, um über die langsamen Zweidecker wie ein Terrier über drei gemächliche Ochsen herzufallen. Es war keine von Pelham-Martins Schaluppen, sondern sie kam von dem Hauptgeschwader vor Lorient, und als Bolitho seinen Paraderock übergeworfen und sein Boot befohlen hatte, sah er die Gig der Korvette schon längsseit am Flaggschiff liegen.

Bei der Ankunft an Bord der Indomitable traf er Pelham-Martin in sehr gehobener Laune an. Winstanley dagegen erschien völlig ausdruckslos und Kapitän Fitzmaurice von der Hermes war unverhohlen bestürzt.

Die Nachrichten von Lorient waren beunruhigend. Vizeadmiral Cavendish hatte zwei Fregatten beauftragt, dicht unter der Küste zu patrouillieren und nachzuforschen, ob irgendwelche Anzeichen für Veränderungen oder Bewegungen bei den im Hafen ankernden Schiffen festzustellen waren. Es war eine Routineaufgabe und eine, die den beiden Kommandanten der Fregatten wohlvertraut war.

Doch als sie dicht an die Küste kamen, hatten die Ausgucks die überraschende Beobachtung gemeldet, daß, statt des gewohnten Anblicks, die französischen Linienschiffe die Rahen vierkant gebraßt hatten und allem Anschein nach weniger geworden waren.

Einige mußten also die Blockadekette durchbrochen haben und entkommen sein.

Der Kommandant der Korvette war nicht bereit gewesen, zu diesen Nachrichten viel hinzuzufügen, bis Pelham-Martin darauf bestand, er solle sich mit etwas Brandy stärken. Die Zunge des jungen Offiziers wurde dadurch gelockert, und er berichtete dem Kommodore, daß darüber hinaus die beiden Fregatten gerade noch dem Schicksal entgangen waren, von vier französischen Schiffen überwältigt zu werden, die anscheinend im Schutz von Belle Ile gelauert hatten und die beiden Aufklärer beinahe vor einer Leeküste gestellt hätten.

In Pelham-Martins Augen glänzten Tränen. Lachend sagte er:»Sehen Sie, Bolitho! Ich habe Ihnen doch gesagt, daß das passieren würde. Die Überraschungsvorstöße haben keinen Wert bei einer Blockade. Geduld und die Demonstration unserer Stärke ist alles, was wir brauchen.»

Bolitho fragte ruhig:»Hat die Korvette neue Befehle gebracht, Sir?»

Pelham-Martin lachte immer noch vor sich hin. Es schien, als hätte es ihm keine größere Freude machen können, wenn die Flotte einen großen Sieg errungen hätte. Statt dessen hatte sein alter Feind jedoch zugelassen, daß französische Schiffe unbemerkt die offene See erreichten.


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