Es wurde zögernd an die Tür geklopft, und als Bolitho sich auf seinem Sessel umdrehte, sah er den neuen Midshipman unsicher auf der anderen Seite der Kajüte stehen.

«Treten Sie näher, damit ich Sie sehen kann. «Bolitho hatte kaum die Zeit, den Neuling zu begrüßen, aber aus eigener bitterer Erfahrung wußte er, wie es war, neu auf ein Schiff zu kommen, ohne ein vertrautes Gesicht, das die ersten Knüffe und Reibungen milderte.

Der Junge kam näher und blieb kurz vor dem Schreibtisch stehen. Für sein Alter war er groß, schlank, mit dunklen Augen und ebenso schwarzem Haar wie dem Bolithos. Er wirkte wild und ruhelos und erinnerte Bolitho an ein noch nicht eingerittenes Fohlen.

Wortlos nahm er den dicken Umschlag aus der Hand des Mids-hipman entgegen und schlitzte ihn auf; vom Hafenadmiral in Ply-mouth kommend, bestätigte er in dürren Worten die Abkommandierung auf die Hyperion. Der Name des Jungen war Adam Pascoe.

Bolitho blickte lächelnd auf.»Ein Landsmann aus Cornwall, also. Wie alt sind Sie, Mr. Pascoe?»

«Vierzehn, Sir. «Es klang angespannt und wachsam.

Bolitho betrachtete ihn. Pascoe hatte etwas Seltsames an sich, aber er vermochte es nicht einzuordnen. Er bemerkte die billige Qualität seiner Uniform, die minderwertige Vergoldung an seinem

Dolch.

Pascoe verriet unter dem prüfenden Blick keine Unsicherheit, sondern griff in seine Innentasche und zog einen weiteren Brief heraus. Schnell sagte er:»Dieser Brief ist für Sie, Sir. Mir wurde gesagt, ich soll ihn niemand anderem geben.»

Bolitho schlitzte ihn auf und wendete sich etwas ab. Es war durchaus üblich, unter diesen Umständen einen privaten Brief zu erhalten: Ein unerwünschter Sohn wurde zur See geschickt, um bevorzugte Behandlung wurde gebeten oder auch nur die eindringliche Bitte einer besorgten Mutter geäußert, über ihren Sohn zu wachen.

Das Papier knisterte zwischen seinen Fingern, als er es plötzlich fester packte. Denn der Brief kam von seinem Schwager Lewis Roxby, Grundherr und Friedensrichter in Falmouth und Ehemann von Bolithos jüngerer Schwester. Die ausladende Handschrift schien zu verschwimmen, als er den mittleren Absatz zum zweiten Mal las:

Als der Junge zu mir kam und um meine Unterstützung bat, war es natürlich notwendig, den Wert der Dokumente, die er mitbrachte, zu überprüfen. Es besteht kein Zweifel, daß die Forderungen, die seinethalben gestellt werden, berechtigt sind. Er ist der Sohn Deines verstorbenen Bruders Hugh. Es gibt Briefe von ihm an die Mutter des Jungen, die er anscheinend zu heiraten beabsichtigte, ehe er England verließ. Selbstverständlich hat der Junge seinen Vater nie gesehen und lebte bis vor kurzem bei seiner Mutter, die im Grunde kaum etwas anderes als eine gewöhnliche Hure gewesen ist.

In dem Brief stand noch sehr viel mehr, doch waren das alles Ausflüchte und Gründe, weshalb Roxby den Jungen unverzüglich von Falmouth fortschaffen wollte.

Bolitho schluckte schwer. Er konnte sich die peinliche Bestürzung, die das plötzliche Auftauchen des Jungen verursacht haben mußte, gut vorstellen. Zwar mochte er Roxby nicht besonders gut leiden und hatte seine Schwester nie recht verstanden, daß sie sich ihn zum Ehemann gewählt hatte. Roxby liebte ein gutes, üppiges Leben und kannte nichts anderes, als seine Tage mit Schießen und Hetzjagden in Gesellschaft anderer, die er wohl als seinesgleichen ansah, auszufüllen. Der Gedanke, in einen örtlichen Skandal hineingezogen zu werden, war für ihn Grund genug gewesen, diesen Brief zu schreiben und den Jungen stehenden Fußes zur See zu schicken.

Bolitho drehte sich wieder um und sah den jungen Midshipman an, beweiskräftige Dokumente hatte Roxby geschrieben. Doch ein einziger Blick auf den Jungen hätte genügen müssen. Kein Wunder, daß er ihm merkwürdig erschienen war: Es war, als ob er eine jüngere Ausgabe seiner selbst sehe.

Pascoe hielt dem Blick mit einer Mischung aus Trotz und Beklemmung stand.

Bolitho fragte leise:»Was weißt du von deinem Vater, mein Junge?»

«Er war Offizier und wurde in Amerika von einem durchgehenden Pferd getötet. Mutter hat ihn mir oft beschrieben. «Er zögerte, ehe er hinzufügte:»Als sie starb, sagte sie, ich solle nach Falmouth gehen und Ihre Familie aufsuchen, Sir. Ich — ich wußte, daß meine

Mutter nicht mit ihm verheiratet gewesen war, Sir, habe es immer gewußt, aber…«Er verstummte.

Bolitho nickte.»Ich verstehe. «So vieles blieb ungesagt: Wie es der Mutter gelungen war, dem Jungen Unterhalt und Kleidung zu beschaffen, ihn vor der Wahrheit zu bewahren, daß sein Vater von der Marine desertiert war und gegen sein eigenes Land gekämpft hatte. Es veranlaßte Bolitho zu sagen:»Wie du wissen mußt, war dein Vater mein Bruder. «Er blickte zur Seite und fuhr schnell fort:»Und du hast in Penzance gewohnt?»

«Ja, Sir. Meine Mutter arbeitete manchmal als Haushälterin beim Squire. Als sie starb, bin ich nach Falmouth gewandert.»

Bolitho studierte nachdenklich das Gesicht des Jungen. Zwanzig Meilen weit zu Fuß, allein und ohne zu wissen, was in der fremden Stadt auf ihn wartete.

Plötzlich sagte der Junge:»Tante Nancy war sehr großzügig zu mir, Sir. Sie hat gut für mich gesorgt. «Er senkte den Blick.»Als sie alles nachgeprüft hatten.»

«Ja, das war von ihr zu erwarten. «Plötzlich sah Bolitho seine Schwester deutlich vor sich, wie sie ihn selbst gepflegt und bemuttert hatte, als er nach seiner Rückkehr aus der Südsee fast am Fieber gestorben wäre. Sie wird für den Jungen besser gesorgt haben als jeder andere, dachte er.

Merkwürdig, sich vorzustellen, daß der Junge all diese Jahre knapp zwanzig Meilen von Falmouth und Bolithos Haus entfernt gelebt hatte, das eines Tages sein Eigentum geworden wäre, wenn das Schicksal nicht diese grausame Wendung genommen hätte.

Pascoe sagte leise:»Als ich in Falmouth war, Sir, bin ich in die Kirche gegangen und sah dort die Gedenkplatte für meinen Vater. Neben all den anderen. «Er schluckte schwer.»Das hat mir gefallen, Sir.»

Es klopfte, und Midshipman Gascoigne trat behutsam ein. Gas-coigne war siebzehn und der dienstälteste Fähnrich auf dem Schiff. Als Inhaber des begehrten Postens des Signalfähnrichs war er als nächster an der Reihe, zum diensttuenden Leutnant ernannt zu werden. Er war auch der einzige, der schon vorher auf einem Kriegsschiff auf See gedient hatte.

Förmlich meldete er:»Empfehlung von Mr. Inch, Sir, und das Boot mit dem Kommodore an Bord legt von der Indomitable ab.»

Sein Blick schweifte zu dem neuen Midshipman hinüber, aber er zuckte mit keiner Wimper.

Bolitho stand auf und griff nach seinem Säbel.»Gut, ich komme. «Schärfer fügte er hinzu:»Mr. Gascoigne, ich unterstelle Mr. Pascoe Ihrer Obhut. Sorgen Sie dafür, daß er einer Station zugewiesen wird, und überwachen Sie sorgfältig seine Fortschritte.»

«Sir?«Gascoignes Gesicht war undurchdringlich.

Bolitho haßte Begünstigungen jeder Art und verabscheute alle, die Beziehungen aktiv oder passiv nutzten, um dadurch Beförderung oder eine besondere Behandlung zu erreichen. Doch das schien im Augenblick ohne Belang zu sein. Dieser arme, beklagenswerte Junge, der für die Chance, sich zu bewähren, dankbar und völlig unschuldig an seinem Schicksal war, das ihm einen Vater und sogar seinen richtigen Namen vorenthalten hatte, befand sich jetzt auf seinem Schiff; und laut Roxbys Brief gab es auch keinen anderen Platz auf der Welt, wohin er gehen konnte.

Ruhig sagte er:»Mr. Pascoe ist mein Neffe.»

Als er dem Jungen wieder in die Augen sah, wußte er, daß er richtig gehandelt hatte. Unfähig, die Qual in den dunklen Augen auch nur einen Augenblick länger zu ertragen, fügte er schroff hinzu:»Und nun fort mit Ihnen! Wir haben mehr als genug zu tun.»

Wenige Minuten später, als Bolitho bei der Schanzpforte stand, um den Kommodore zu empfangen, überraschte er sich bei dem Gedanken, was die Ankunft des Jungen noch alles bedeuten mochte. Flüchtig streifte er seine Offiziere mit einem Blick und fragte sich, wieviel sie wußten und was sie von dem Makel in der Familiengeschichte ihres Kommandanten hielten.


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