Inch sagte:»Die Indomitable setzt Bramsegel, Sir.»

«Sehr gut. Tun Sie das gleiche, Mr. Inch. «Bolitho schwankte etwas, als sich das Deck leicht unter ihm hob. Genau wie er schien das Schiff froh zu sein, das Land hinter sich zu lassen.

Er blickte nach oben, um zu sehen, wie die Segel von den Rahen fielen und die winzigen Silhouetten der Toppsgasten um die Wette aufenterten, um die Befehle vom Deck zu befolgen. Er sah Pascoe im Großmast, der geschickt dem Rollen des Schiffes folgte. Den Kopf in den Nacken geworfen, sah er den bezopften Matrosen nach, die an ihm vorbeischwärmten, während weitere Leinwand ausgeschüttelt wurde und sich an den Rahen blähte. Sein Hemd stand bis zum Gürtel offen, und Bolitho konnte erkennen, daß seine Haut schon gebräunt war und seine Rippen weniger vorstanden als damals, als er an Bord gekommen war. Pascoe lernte schnell und gut, doch aus dem, was Bolitho in St. Kruis von ihm gesehen und gehört hatte, wußte er, daß der Junge sich von den anderen Mids-hipmen fernhielt und seinen Kummer wie eine latente Krankheit nährte.

Gossett sang aus:»Kurs West zu Süd, Sir.»

«Sehr gut. «Bolitho ging nach Luv hinüber, um die Landzunge vorbeiziehen zu sehen. Winzige Gestalten liefen am Rand der brüchigen Felsen entlang, wo das französische Landekommando im Schutz der Dunkelheit gegen die Batteriestellung vorgegangen war.

In weiter Ferne konnte er Backbord voraus einen winzigen weißen Splitter am Horizont ausmachen: eine der Schaluppen, die vorausgeschickt worden waren, um mit einem Minimum an Verzögerung Kontakt mit den Fregatten aufzunehmen und ihnen PelhamMartins Befehle zu überbringen.

Zu Inch sagte er ruhig:»Setzen Sie vorläufig nicht mehr Segel. Ich fürchte, daß wir mit unserem sauberen Kupferbeschlag sonst die Hermes überholen.»

Inch grinste.»Aye, Aye, Sir.»

Erst jetzt wurde es Bolitho bewußt, daß Inch ohne den geringsten Fehler das Schiff in Fahrt gebracht hatte, während er so in seine Gedanken vertieft gewesen war, daß er kaum darauf geachtet hatte.

Er sah seinen Leutnant ernst an.»Aus Ihnen werden wir noch einmal einen Kommandanten machen, Mr. Inch.»

Er ließ einen noch breiter grinsenden Inch zurück und ging nach achtern in seine Kajüte, wo er sich seinen Gedanken überlassen konnte.

IX Rückzug

Der dritte Tag nach dem Auslaufen von St. Kruis dämmerte hell und klar. Der Himmel war wolkenlos und eisblau. Die See wurde von einem ungestümen Nordost gepeitscht und erstreckte sich als ein endloses Muster aus kleinen Schaumkronen, von der Sonne gelb überhaucht, bis zum fernen Horizont.

Während der Nacht hatten die Schiffe sich trotz der eindringlichen Signale von Pelham-Martin zerstreut, und es brauchte viele nervenstrapazierende Stunden, bis die Formation zu seiner Zufriedenheit wiederhergestellt war. Jetzt liefen die Schiffe mit halbem Wind und in der steifer werdenden Brise stark nach Steuerbord krängend nach Südosten der schattenhaften Küste entgegen, wo nur die tiefer landeinwärts gelegenen, hochragenden Berge von der Sonne erreicht wurden. Die Bucht von Lac Mercedes lag noch im Dunst verborgen.

Bolitho stand auf dem Achterdeck und hielt sich mit einer Hand an den Netzen. Trotz der schon herrschenden Wärme war ihm kalt, und die Augen schmerzten ihn vom angestrengten Beobachten des Landes, das aus dem Schatten auftauchte und mit dem anbrechenden neuen Tag Umriß und Gestalt gewann. Seit sie Anker gelichtet hatten und ausgelaufen waren, hatte er kaum an etwas anderes gedacht als an diesen Augenblick. Während die Schiffe nach Westen segelten, ehe sie im Schutz der Dunkelheit nach Süden abdrehten und einen Kurs auf das Land zu einschlugen, hatte er darüber nachgedacht, was Pelham-Martin tun würde, falls die Franzosen die Bucht bereits geräumt hatten und meilenweit entfernt waren, so wenig faßbar wie bisher. Oder, schlimmer noch, falls de Blocks Schoner falsch informiert worden war und Lequiller sich nie in dieser Gegend aufgehalten hatte.

Falls das eine oder andere zutraf, konnte kaum jemand wissen, wo die Spur wiederaufgenommen werden sollte. Zwei Geschwader zum Gefecht zusammenzuführen, hing mehr vom Glück als von der Planung ab; auch konnte Lequiller sich entschlossen haben, nach Frankreich zurückzukehren oder andere Pläne am anderen Ende der Welt zu verfolgen.

Um sich herum und unter sich spürte Bolitho das Beben und Knarren des Rumpfs, während das Schiff unter gekürzten Segeln den anderen auf die Bank von blassem Dunst folgte. Sobald es hell genug zum Signalisieren gewesen war, hatte Pelham-Martin ihnen Gefechtsbereitschaft befohlen, und jetzt wartete die Besatzung der Hyperion wie die der anderen Schiffe in fast völliger Stille bei ihren Kanonen oder hoch über Deck, oder wie Trudgeon, der Schiffsarzt, tief unten im Rumpf.

Mehrere Teleskope hoben sich gleichzeitig wie auf einen lautlosen Befehl, und Bolitho sah das blasse Rechteck eines Segels Steuerbord weit voraus. Es war die Fregatte Abdiel, der Pelham-Martin befohlen hatte, sich von der entgegengesetzten Seite der Bucht zu nähern und jedes Lebenszeichen zwischen ihren schützenden Landarmen zu melden.

Leutnant Roth stand neben seinen Neunpfündern auf dem Achterdeck und meinte laut:»Jetzt werden wir's ja bald wissen, wie?«Aber er verstummte sofort unter Bolithos finsterem Blick.

Midshipman Gascoigne war mit seinem Teleskop bereits in den Luvwanten und nagte konzentriert an seiner Unterlippe. Wahrscheinlich war ihm die lebenswichtige Bedeutung des ersten Signals schon bewußt.

Stahl klirrte gegen Stahl, fast so laut wie ein Schuß. Als Bolitho den Kopf drehte, sah er Allday auf sich zukommen, der seinen alten Säbel wie einen Talisman vor sich hertrug.

Trotz seiner Befürchtungen gelang es Bolitho zu lächeln, als All-day ihm den Säbel umgürtete. Er zumindest schien keinen Zweifel daran zu haben, was der Tag bringen würde.

«Die Abdiel signalisiert, Sir!«Gascoignes Stimme krächzte vor Aufregung.»An Indomitable: Vier feindliche Schiffe vor Anker in der Bucht. «Lautlos bewegte er die Lippen, während er weiter ablas.

Dann schrie er:»Vier Linienschiffe!»

Inch stieß einen tiefen Seufzer aus.»Bei Gott, wir haben sie!»

Bolitho preßte die Lippen zusammen und zwang sich, zweimal von der einen Seite des Schiffs auf die andere zu gehen. Vier Schiffe… Das war nur die Hälfte von Lequillers Streitmacht. Wo waren die anderen?

Hinter ihm knurrte Gossett:»Der Nebel wird sich bald heben. Dann sehen wir die Schufte vielleicht.»

Wie üblich hatte er recht, und als der Dunst sich verzog, hob Bo-litho sein Glas, um die verankerten Schiffe zu studieren. Im Licht der Sonne, die erst knapp über den Bergen stand, wirkten die vier schwarz und so solide, als ob sie nie und nimmer sich von ihrem Ankergrund lösen könnten; als mehr Licht den dünner werdenden Dunst durchdrang, erkannte er auch den Grund dafür: Sie lagen an der schmälsten Stelle der Einfahrt, an Bug und Heck verankert. Nach Art und Weise, wie sich das Wasser zwischen den beiden nächsten hob und senkte, erkannte er, daß weitere verborgene Taue sie miteinander verbanden, so daß sie eine mächtige Barriere bildeten. Auf allen Schiffen waren die Stückpforten geschlossen und die Segel sauber festgemacht, doch als mehr Licht auf Rahen und Wanten fiel, sah er winzige Gestalten auf jeder Hütte und flatternde Trikoloren an jeder Gaffel. Es bestand kein Zweifel mehr: Ob die Franzosen die spanische Garnison nun überwunden und unterworfen oder sie nur zu ohnmächtigem Schweigen gezwungen hatten, das Ergebnis war in beiden Fällen gleich. Sie waren kampfbereit und — noch entscheidender — mußten gewußt haben, daß Pelham-

Martins Geschwader unterwegs zu ihnen war. Es mußte viel Mühe und Überlegung gekostet haben, die schweren Zweidecker in dieser Weise festzumachen; der französische Befehlshaber hatte beides bestimmt nicht nur auf gut Glück getan.


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