Allday flüsterte:»Bei Gott, ich hoffe, daß es etwas zu sehen gibt.»

Bolitho rührte sich nicht; als ob er, wenn er den Jungen ablenkte, sie um ihre letzte Chance bringen könnte.»Nichts voraus, Sir.»

Einige der Matrosen waren aufgestanden und starrten zu der schlanken Gestalt über ihnen auf. Sie ließen die Arme schlaff hängen wie zum Tod verurteilte Gefangene.

«Aber an Backbord, Sir. «Pascoe rutschte ab und klammerte sich mit den Beinen fester.» Eine Anhöhe. Etwa zwei Meilen entfernt.»

Bolitho senkte den Blick auf den Kompaß. An Backbord. Etwa nordwestlich von der Stelle, an der sie lagen.

«Ist sie spitz und hat einen Steilhang auf einer Seite?»

«Ja, Sir. «Die Stimme des Jungen klang plötzlich fest.»Ja, Sir. Ich kann es gerade erkennen.»

Bolitho sah Allday an und schloß den Kompaß mit einem Schnappen.»Dann haben wir's geschafft.»

Pascoe rutschte am Riemen herab und ging mit unsicheren Schritten zwischen den krächzend jubelnden Matrosen nach achtern. Die Männer klopften ihm auf die mageren Schultern und nannten ihm beim Namen, als er an ihnen vorbeikam, als hätte er allein sie vor einer Katastrophe bewahrt. Als er das Heck erreichte, fragte er benommen:»War' s so in Ordnung, Sir?»

Bolitho sah ihn ernst an.»Ja, Mr. Pascoe. «Freude trat in das schmutzbedeckte Gesicht des Jungen.»Es ist alles in Ordnung.»

Wie ein Blinder tastend, schob sich Bolitho auf den abgeflachten Felsblock hinauf, wartete, bis er wieder zu Atem kam, und lauschte in die Dunkelheit hinaus. Der weite Sternenhimmel über ihm wurde bereits blasser, und als er sich der leichten Brise zuwendete, glaubte er, die Morgendämmerung riechen zu können. Es war sehr kalt, und unter dem offenen Hemd fühlte seine Haut sich kühl und klamm an.

Er studierte die welligen Hügel am fernen Horizont und fand Zeit, sich darüber zu wundern, daß seine kleine Streitmacht überlebt hatte, um sie sehen zu können. Im Augenblick schien es ihm, als ob er der einzige lebende Mensch in dieser gottverlassenen

Gegend wäre. Doch hinter ihm, am Fuß des Steilhanges, waren die anderen bereits wach und bereiteten sich auf den Weitermarsch vor, tasteten nach ihren Waffen und warteten auf neue Befehle, gleichgültig, wie unüberwindlich die Hindernisse und wie vergeblich ihre Anstrengungen sein mochten.

Bolitho reckte die Arme und spürte, wie seine Muskeln gegen die plötzliche Bewegung protestierten. Unwillkürlich mußte er an seine Leute denken, wie sie am vergangenen Abend aus dem Sumpf getaumelt waren: verdreckt und dem Zusammenbruch nahe, mit Augen, die fast dankbar leuchteten, weil sie wieder festen Boden unter den Füßen hatten. Viele hatten seit Monaten keinen Fuß mehr an Land gesetzt, und nach der mörderischen Fahrt durch den Sumpf waren sie beinahe nicht mehr fähig zu stehen, so daß sie wie Betrunkene geschwankt oder sich gegenseitig gestützt hatten. Er biß sich auf die Lippen und verfluchte den Zeitmangel. Vielleicht waren sie noch zu erschöpft, zu benommen, um die Aufgabe zu erfüllen, für die sie von so weit hergekommen waren. Und vielleicht hatte Pelham-Martin seine Pläne geändert und würde nicht einmal einen weiteren Angriff unternehmen, wie er versprochen hatte.

Beinahe wild schüttelte er die nagenden Zweifel ab und stieg den Abhang wieder hinunter, wo Leutnant Lang auf ihn wartete.

«Alle Leute sind verpflegt, Sir. Ich habe ihnen doppelte Rationen Wasser gegeben, wie befohlen.»

Bolitho nickte.»Gut. Niemand kann von ihnen erwarten, daß sie den Sumpf noch einmal überqueren, also sollen sie lieber mit vollem Magen zum Kampf antreten.»

Lang erwiderte nichts, und Bolitho konnte sich vorstellen, daß er wahrscheinlich an die einzige Alternative dachte: daß die Leute für die nächste Verpflegung kämpfen und gewinnen mußten. Oder sich ergeben.

Bolitho war unruhig.»Mr. Quince sollte inzwischen zurück sein. Wir müssen sofort abmarschieren, wenn wir unsere Position rechtzeitig einnehmen wollen.»

Lang hob die Schultern.»Merkwürdig, wenn man sich vorstellt, daß direkt hinter diesen Bergen die See liegt. Hier kommt man sich vor wie in einer Einöde.»

Eine Stimme rief rauh:»Hier kommt Mr. Quince, Sir.»

Die große Gestalt des Leutnants tauchte wie ein Gespenst aus der

Finsternis auf. Sein zerfetztes Hemd wehte in der Brise, als er mit den drei Matrosen, die er als Kundschafter mitgenommen hatte, den Abhang herunterkam.

«Nun?«Bolitho konnte seine Unruhe kaum unterdrücken.

Quince setzte eine Flasche an die Lippen und trank gierig. Unbeachtet rann ihm Wasser über die Brust.

Er sagte:»Genau, wie Sie gedacht haben, Sir. Auf der anderen Seite liegen die Geschütze in Stellung. «Er rülpste laut.»Da ist ein Sattel zwischen den Hügeln, deshalb war die Batterie von See her nicht auszumachen.»

Bolitho schauderte leicht.»Wie viele Geschütze?»

Quince rieb sich das Kinn.»Sieben oder acht Feldgeschütze, Sir. Bei der Stellung selbst stehen Posten, und weitere wachen rechts von uns. Es ist eine Art Straße da, die an der Bucht entlang zur Stadt führt, und an ihrer schmälsten Stelle haben wir eine Laterne gesehen. »

«Ich verstehe. «Bolitho spürte, wie die Erregung ihn packte.»Und zwischen diesen beiden Posten sind keine Wachen?»

«Keine«, versicherte Quince nachdrücklich.»Warum auch? Mit dem Sumpf im Rücken und der Bucht vor sich, müssen sie sich wirklich völlig sicher fühlen.»

«Dann wollen wir aufbrechen.»

Bolitho drehte sich um, um den Abhang hinunterzugehen, blieb aber stehen, als Quince hinzufügte:»Die Froschfresser fühlen sich so sicher, daß sie sich nicht einmal verstecken, Sir. Bei den Geschützen stehen ein paar Zelte, aber ich vermute, daß das Gros der Artilleristen in der Stadt untergebracht ist. Schließlich werden unsere Schiffe Stunden brauchen, um sich zu einem neuen Angriff zu formieren. Die Franzosen haben soviel Zeit wie sie wollen. «Er fiel neben Bolitho in Gleichschritt und meinte:»Das beweist auch, daß Las Mercedes sich in feindlicher Hand befindet.»

«Zum Glück ist das nicht unsere Sorge. Für uns zählen nur die Schiffe.»

Quince lachte vor sich hin.»Wir werden ihnen schon einheizen. In einem schnellen Ansturm sollte es zu schaffen sein. Dann die Kanonen über die Klippen gestürzt, und wir können uns in den Sumpf zurückziehen und warten, bis das Geschwader uns abholt.»

Bolitho gab keine Antwort; er mußte sich gewaltsam auf die unmittelbar bevorstehende Aufgabe konzentrieren, seine Leute in der Dunkelheit einzuteilen. Quince hatte einen neuen Gedankengang in ihm ausgelöst. Die Franzosen waren zuversichtlich, denn auch ohne Unterstützung der versteckten Batterie konnten sie dem angreifenden Geschwader noch großen Schaden zufügen. Dieser Angriff bot nicht des Rätsels Lösung. Keines der französischen Schiffe zeigte Lequillers Kommandoflagge. Er war noch irgendwo draußen, frei und unbehindert, während Pelham-Martins kleine Streitmacht abgelenkt wurde.

Er erreichte die schattenhaften Gestalten am Fuß des Abhangs und wunderte sich, wie sehr sie sich verändert hatten. Sogar in dem kümmerlichen Licht konnte er wahrnehmen, wie selbstsicher und geduldig sie mit ihren Musketen warteten. Ihre Gesichter hoben sich blaß von Gestrüpp und dichtem Laub ab, das jetzt den Sumpf verbarg.

Fox, der Feuerwerksmaat, berührte grüßend seine Stirn.»Alles geladen, Sir. Ich habe jede Muskete selbst überprüft.»

Bolitho hob die Stimme.»Alles herhören! Wir werden gleich in drei getrennten Gruppen diesen Abhang hinaufsteigen. Drängt euch nicht zusammen und vergewissert euch, daß keiner ausrutscht. Wenn auch nur eine Muskete aus Versehen losgeht, sind wir alle verloren. Wir müssen die Anhöhe ungesehen erreichen, ehe die Dämmerung einsetzt.»

Mit fester Stimme setzte er hinzu:»Hinter der Anhöhe erwartet uns die Bucht, und unter den Klippen liegen die Überreste der Abdiel und ihrer gesamten Besatzung. Erinnert euch an ihr Schicksal, wenn es soweit ist, und gebt euer Bestes.»


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