Dreißig Meilen hatten sie zurückgelegt, um das zu vollbringen: dreißig Meilen Sumpf und unvorstellbarer Strapazen. Doch nur einmal wäre die Moral beinahe zusammengebrochen. Er beobachtete die humpelnden Verwundeten und die anderen, die noch aufrecht stehen und kämpfen konnten. Aber das waren nur noch sehr wenige.

Quince fügte hinzu:»Mr. Fox meldet, daß die Schaluppe Dasher vor der Landzunge ankert und Boote zu Wasser läßt, um uns aufzunehmen.»

«Sehr gut. «Selbst sprechen war schon zuviel.»Lassen Sie die Verwundeten an den Strand bringen, sobald das letzte Geschütz in den Abgrund gestürzt ist. «Er drehte sich um, um zu beobachten, wie die schwere Kanone über den Rand der Klippe geschoben wurde und mitten zwischen treibenden Leichen im tiefen Wasser versank.

Als Quince zurückkam, stand Bolitho allein am Rand und blickte auf die Schiffe in der Bucht hinunter.

Der Leutnant sagte:»Die Hermes hat Boote ausgesetzt. Ich nehme an, daß sie ein Kommando an Land bringen, um den Franzosen zusätzlich einzuheizen.»

Das nächstgelegene französische Schiff leistete keinen Widerstand mehr. Es lag bereits auf der Seite, und seine unteren Stückpforten wurden schon vom Wasser überspült. Das zweite stand so hoch in Flammen, daß Bolitho befürchtete, Inch hätte sein Schiff zu nahe an das wild lodernde Feuer gebracht. Doch als sich die Marssegel der Hyperion auf ihrem neuen Kurs wieder füllten, sah er die Funken weit hinter ihrem Heck vorbeifliegen.

Von den beiden anderen französischen Schiffen war keine Spur mehr zu sehen. Er nahm an, daß es ihnen gelungen war, rechtzeitig Anker zu lichten und um die Landzunge zu entkommen, während das angreifende Geschwader auf der gegenüberliegenden Seite in die Bucht einlief. Er sah Pascoe bei der verlassenen Esse stehen, den Dolch noch in der Hand.»Komm mit, Junge. Heute hast du für zehn Männer genug gesehen und getan.»

Pascoe sah ihn ernst an.»Danke, Sir«, war alles, was er antwortete. Der Leutnant, der die Boote der Schaluppe befehligte, sah den blutbedeckten und zerlumpten Überlebenden von Bolithos Kampfgruppe mit kaum verhehltem Entsetzen entgegen.»Wo sind die anderen?«Er konnte nicht einmal einen Offizier unter den erschöpften Gestalten erkennen, die zu den Booten wateten oder getragen wurden.

Bolitho wartete, bis der letzte Mann an Bord war, ehe er folgte. Kalt wiederholte er:»Ja, wo sind die andern?«Schweigend saß er da und betrachtete sein Kommando, das kaum noch zwei Boote füllte, aber nicht mehr die vier, die er weit hinten zurückgelassen hatte.

Er sah die Telamon über Stag gehen. Ihre Rah hing voll wehender Signalflaggen, während sie vor der frischen Landbrise herlief. Von cer Indomitable war nichts zu sehen, aber Bolitho war zu erschöpft, um sich darüber Gedanken zu machen.

«Hier kommt der Befehl zum Rückzug, Sir«, sagte Quince.»Der Kommodore muß an Bord des Holländers sein.»

Bolitho blickte auf, unfähig, seine Erbitterung länger zu unterdrücken.»Dann kann ich im Interesse seiner eigenen Sicherheit nur hoffen, daß er auch dort bleibt.»

Dann sah er wieder seine Leute an. Lang stöhnte leise vor sich hin, und die anderen waren zu erschöpft und ausgelaugt, um den Männern zu antworten, die ihnen von der verankerten Schaluppe her zujubelten. Sie hatten getan, was von ihnen verlangt worden war, und mehr, doch mit dem letzten Schuß war der Funke in ihnen erloschen. Überlebenswille und Hilfe hatten den Wahnsinn und die verzweifelte Kampfbereitschaft vertrieben. Jetzt lagen oder saßen sie wie seelenlose Wesen herum, den Blick nach innen gekehrt, hatten vielleicht benommen noch die letzten Bilder vor Augen, an die sie sich im Lauf der Zeit mit Stolz oder Entsetzen erinnern würden, trauernd um die Zurückgebliebenen oder dankbar dafür, daß sie verschont worden waren.

Der junge Kommandant der Schaluppe begrüßte Bolitho aufgeregt.»Willkommen an Bord, Sir. Kann ich etwas für Sie tun, ehe ich Anker lichte?»

Bolitho blickte an ihm vorbei auf das brennende Schiff. Nur wenige geschwärzte Planken und Balken leisteten dem Feuer noch Widerstand, hielten es über Wasser und gaben seinen Untergang neugierigen Blicken preis.

Er antwortete:»Bringen Sie mich auf mein Schiff. «Er versuchte, Herr seiner selbst zu werden und die bleierne Erschöpfung zu bezwingen, die ihn nahezu lahmte.»Und veranlassen Sie, daß diese Leute versorgt werden. Sie haben einen weiten Weg hinter sich und sollen nicht länger als nötig leiden.»

Der junge Offizier runzelte die Stirn. Er war nicht sicher, was Bolitho meinte. Dann eilte er davon, um seine Befehle zu geben, ganz erfüllt von dem Anblick, dessen Zeuge er geworden war, und von dem Gedanken, wie er ihn eines Tages schildern würde.

Als die Schiffe später die Bucht verließen und wieder ihre Formation einnahmen, wehte der Wind ihnen immer noch Rauch nach, Asche und den Geruch des Todes.

Leutnant Inch trat in die Kajüte und blinzelte in den grellen Widerschein des Wassers, der von der See unter den hohen Heckfenstern hereinfiel.»Sie haben mich rufen lassen, Sir?»

Bolitho saß bis zum Gürtel nackt am Schreibtisch und rasierte sich hastig vor dem Spiegel, der vor ihm stand.

«Ja. Sind von der Telamon noch keine Befehle gekommen?»

Inch sah Bolitho mit großen Augen zu, der sich heftig das Gesicht abwischte und dann ein frisches Hemd überstreifte. Bolitho war noch nicht einmal fünf Stunden wieder auf seinem Schiff, hatte sich kaum Zeit zum Essen genommen, gar nicht zu reden von einer Ruhepause.

«Nichts, Sir«, antwortete Inch.

Bolitho ging zu den Heckfenstern und starrte auf die in weiter Ferne liegende, verschwommene Küstenlinie hinaus. Auf Backbordbug liegend, kamen die Schiffe nur langsam vorwärts; als er nach der hinter ihnen segelnden Hermes ausblickte, sah er ihre schlappen, fast unbewegten Segel und ihren überm schwankenden Spiegelbild schimmernden Rumpf.

Er hatte erwartet, daß Pelham-Martin seine Kommandanten zu einer Besprechung auf die Telamon rufen oder einen Glückwunsch an das erschöpfte Landkommando schicken würde. Statt dessen war nur das Signal >Anker lichten< gehißt worden, und nach einer weiteren, an den Nerven zerrenden Verzögerung hatten von der Hermes Boote abgelegt. Sie waren bis zum Dollbord mit Menschen beladen und hatten sofort Kurs auf die Hyperion genommen.

Mit den Booten kam Leutnant Quince, der berichtete, daß das Landkommando der Hermes das Gefängnis in Las Mercedes gefunden und daraus über sechzig englische Seeleute befreit hatte. Kapitän Fitzmaurice schickte fünfzig dieser Leute zu Bolitho, um seine Besatzung zu ergänzen. Aber Quince war auch gekommen, um sich zu verabschieden. Pelham-Martin hatte ihn mit dem Kommando über die schwer beschädigte Indomitable betraut: er sollte sie nach dem rund sechshundert Meilen entfernten Antigua bringen. Die Werftanlagen dort genügten, um das Schiff soweit zu reparieren, daß es zu der dringend erforderlichen gründlichen Überholung nach England überführt werden konnte.

Bolitho war an Deck gegangen, um zu beobachten, wie das tiefliegende Schiff sich langsam vom Geschwader entfernte. Der mit Einschüssen übersäte Rumpf und das laute Klappern der Pumpen verrieten deutlich, welche Mühe es kostete, das Schiff über Wasser zu halten. Kein Wunder, daß es beim letzten Angriff auf Las Mercedes nicht mitgewirkt hatte. Bei der nächsten Breitseite wäre es wahrscheinlich gekentert und gesunken.

Gut zu wissen, daß Quince für seinen unermüdlichen Einsatz den verdienten Lohn erhalten hatte. Als Bolitho der Indomitable nachblickte, die mit ihren zerfetzten Segeln und zersplitterten Maststengen die Leiden und Todesqualen symbolisierte, die sich in ihrem Rumpf abgespielt hatten, mußte er unwillkürlich an Winstanley denken und wie glücklich es ihn gemacht hätte, sein Schiff in so guten Händen zu wissen. Jetzt aber segelten sie wieder nach Osten, ohne anscheinend einen Gedanken daran zu wenden, den beiden französischen Schiffen nachzujagen, die bei dem Angriff entkommen waren; und ohne den geringsten Hinweis darauf, was PelhamMartin als nächstes zu unternehmen beabsichtigte.


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