Er unterbrach sich und sah zum Fenster. »Ich war jünger damals... offensichtlich.« Er lachte wieder. »Optimistisch. Roswell war ein anderer Ort geworden, nachdem sie uns die Bomben gebracht hatten, aber es hieß, dass sie bald wieder abtransportiert werden sollten – vielleicht auch wegen der Ereignisse, die uns da wohl schon angekündigt gewesen waren – und ich glaubte an das, was ich tat... was immer es eigentlich war. Manchmal kann ich mich kaum noch daran erinnern, was mir... vorher... so wichtig erschienen ist.«

Marcel atmete tief ein und sein Blick fokussierte sich wieder auf mich, auf die Gegenwart. »Truman war dort«, fuhr er fort. »Ich sah ihn erst in dieser Nacht, aber wir alle wussten es. Er kam erst aus dem Zelt, als das UFO schon über dem Landeplatz hing. Was immer man von ihm halten mochte, er war ein mutiger Bastard oder dümmer, als ich es mir vorstellen kann.«

»Was geschah dann?«

»Ich weiß es nicht. Was immer es war, es leuchtete den Boden wie mit einem großen Scheinwerfer aus, ein Schlauch aus Licht, der uns blendete, und als wir wieder sehen konnten, stand dort im Lichtkreis etwas... Jemand.«

»Ein Grauer.«

»Ja, so nennt man sie jetzt wohl.« Marcel bewegte die Schultern, wie um sich zu entkrampfen. »Aus der Nähe wirkte die Kreatur fast Furcht einflößend, mit ihren großen, dunklen Augen und der lederartigen, harten Haut, aber damals empfand ich etwas, das so klein und zerbrechlich wirkte, nicht als Bedrohung. Im Gegenteil, wie es so zwischen all den Soldaten im Licht stand, wirkte es fast wie ein vom Himmel herabgestiegener Engel. Ich bin sicher, die anderen empfanden es genauso. Die Soldaten machten den Weg frei, ohne dass jemand einen Befehl dazu gegeben hätte. Es ging direkt auf Truman zu.«

Ich schüttelte stumm den Kopf. Bach hatte nicht viel über den Roswell-Zwischenfall verlauten lassen. Streng genommen hatte er nie viel mehr getan, als meinen Worten nicht zu widersprechen, und ich hatte meine Erkenntnisse größtenteils aus dem Umfeld von Blue Book gezogen. Majestic war wie eine Zwiebel und ich war nie über die ersten beiden Schalen hinaus vorgedrungen.

»Truman und das ganze Lametta sind dann zusammen mit dem Abgesandten im Zelt verschwunden«, fuhr Marcel fort. »Keiner von der Army wurde dazu eingeladen. Wie ich sagte, es war eine Veranstaltung der Navy und wir stellten die Kofferträger. Nun, auf jeden Fall war ich dabei, als das Feuerwerk begann...« Er verstummte. »Es muss wohl fast eine Stunde gedauert haben. Wir standen an unseren Posten und warteten und jeder hing so seinen Gedanken nach. Ich dachte damals, sie seien nach Roswell gekommen, um uns davor zu warnen, jemals wieder Atombomben einzusetzen. Ich meine, es konnte kein Zufall sein, dass sie ausgerechnet dort Kontakt herstellten, und niemand von uns hätte sie dorthin eingeladen.« Er schüttelte den Kopf. »Einige Jahre lang habe ich mich allerdings gefragt, ob eine der Bomben aus unseren Bunkern in dieser Nacht nicht auf einem der Lastwagen war oder vielleicht sogar im Boden vergraben lag, genau dort, wo sich die Scheinwerfer kreuzten.«

»Glauben Sie das wirklich?«

»Mein Sohn, nach all diesen Jahren weiß ich nicht mehr, was ich glauben soll. Alles, was ich weiß, ist, dass sie zu uns kamen und Kontakt herstellten. Dann kam dieser Admiral und wies uns an, das Areal zu evakuieren. Direkter Befehl des Präsidenten, hieß es. Wir gehorchten. Wir waren noch keine hundert Schritt weit gekommen, als das Geräusch des UFOs über uns plötzlich wieder lauter wurde und sich auch das Licht veränderte. Wir blieben stehen. Ich habe den Abgesandten nicht mehr gesehen, aber ob er nun das Zelt jemals verlassen hat oder nicht, das Raumschiff setzte sich plötzlich in Bewegung. Es beschleunigte verdammt schnell, aber die Geschütze waren schneller. Sie haben es erwischt, während es noch über den Hügeln war, und der dritte oder vierte Treffer schickte es auf eine Bahn nach unten.«

Mir stockte der Atem. »Sie haben es abgeschossen?«, flüsterte ich ungläubig.

»Es ist in den Hügeln heruntergekommen. Es gab einen hellen Blitz, aber die direkte Sicht war uns versperrt.« Seine Stimme war jetzt ohne Betonung. Marcel hatte ein paar Illusionen verloren in dieser Nacht, soviel war offensichtlich, und vielleicht sogar die eine oder andere aufrichtige Hoffnung. »In den nächsten Tagen waren wir wieder in Navy-Diensten, nur dass wir diesmal aufräumten und Spuren verwischten. Da habe ich auch das Wrack gesehen oder besser gesagt das, was davon noch herumlag, nachdem die Navy ihr Team wieder abgezogen hatte.«

»So hat es also angefangen«, stellte ich beklommen fest.

»Wir haben es abgeschossen, Sohn«, sagte Marcel. »Sie kamen in Frieden, um zu reden, und wir haben das Feuer eröffnet. Bach und seine Leute haben keine Schiffbrüchigen aufgesammelt, sondern Kriegsgefangene. Oder Tote. Ich habe nie herausbekommen können, ob noch einer der anderen... der Grauen am Leben war.«

»Nun«, sagte ich, »einer ist definitiv tot. Ich habe ihn in einer Kühlkammer bei Majestic gesehen.«

Bevor Marcel etwas sagen konnte, klingelte das Telefon. Marcel runzelte überrascht die Stirn. Ich war mit einem einzigen Schritt beim Telefon und hob ab, bevor er Einwände erheben konnte. »Ja?«

»Ich habe einen von Bachs Männern gesehen«, sagte Kim übergangslos.

»Wann sind sie angekommen?«

»Keine Ahnung«, sagte sie drängend. »John, er kam aus dem Hotel, um zu rauchen. Sie müssen durch einen anderen Eingang rein sein. Ich weiß nicht, wie lange sie schon hier sind.«

»Wer war es?«

»Ich weiß nicht, wie er heißt. Kurze, helle Haare. Verschwindet, so schnell ihr könnt.« Sie hängte einfach ein.

Ich wandte mich wieder zu Marcel um. Auch er war mittlerweile aufgestanden und ich bemerkte ohne besondere Überraschung, dass er wieder so angespannt und sprungbereit war wie vorhin, als er mir die Tür aufgemacht hatte. »Was ist passiert?«, fragte er.

»Anscheinend ist mir doch jemand gefolgt«, antwortete ich. »Wir bekommen gleich Besuch.«

Marcel nahm seine Pistole vom Tisch, schob sie unter den Gürtel und schlüpfte in der gleichen Bewegung in sein Jackett. »Wir reden später weiter«, sagte er. »Raus jetzt. Schnell.« Er ging zur Tür, öffnete sie ohne das mindeste Zögern und winkte mir, ihm zu folgen.

»Wir nehmen die Treppe«, sagte er. Es war kein Vorschlag. Aus dem Bibelverkäufer war endgültig ein Soldat geworden, der ohne das leiseste Zögern das Kommando übernommen hatte, und ich gehorchte ihm ebenso automatisch. Gleichzeitig warf ich einen nervösen Blick zum Lift. Der grüne Leuchtpfeil über der Tür war noch dunkel, aber das würde bestimmt nicht mehr lange so bleiben. Seit Kims Anruf war eine knappe halbe Minute vergangen. Zeit genug für Bach und seine Begleiter, den Lift zu erreichen. Und wahrscheinlich auch das Treppenhaus.

Marcel blieb nach einem Schritt wieder stehen. »Mein Ticket.«

»Wie?«

»Ich habe mein Flugticket im Zimmer liegen gelassen«, antwortete er. »Wenn Bach es findet, weiß er Bescheid. Mein Name steht darauf.«

»Wenn er Sie dort drinnen erwischt, weiß er auch Bescheid«, sagte ich, aber Marcel wischte meinen Einwand mit einer Handbewegung zur Seite.

»Er wird mich nicht erwischen«, behauptete er. »Jetzt verschwinden Sie endlich. Wir bleiben über Kennedy in Kontakt.«

Offensichtlich zögerte ich immer noch zu lange, seiner Anweisung nachzukommen, denn Marcel ergriff mich kurzerhand bei den Schultern, drehte mich herum und versetzte mir einen Stoß, der mich auf die Tür zum Treppenhaus zustolpern ließ. Als ich sie öffnete, erscholl hinter mir ein heller Glockenton, der die Ankunft des Liftes verkündete. Ich widerstand der Versuchung, mich noch einmal herumzudrehen, zog die Tür stattdessen lautlos hinter mir zu, lief die Treppe hinunter und blieb auf dem nächsten Absatz wieder stehen.

Unter mir hörte ich Schritte die Treppe heraufkommen.

Für einen Moment drohte ich in Panik zu geraten. Ich saß in der Falle. Ich konnte weder zurück, noch die Treppe weiter hinuntergehen, und ich hatte eine Fifty-fifty-Chance, dass es Steel war, der mir da entgegenkam; im Klartext: eine immerhin fünfzigprozentige Chance, mir eine Kugel einzufangen. Mein erster Impuls war, die Treppe wieder hinaufzustürmen, aber dann öffnete ich die Tür neben mir so leise wie möglich, schlüpfte hindurch und lehnte mich mit klopfendem Herzen dagegen. Mein Puls raste. Ich presste die Hände mit aller Kraft gegen die Tür, um ihr Zittern zu unterdrücken, und für ein paar Sekunden war ich einfach nicht in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen. Ich war in Panik, ob ich es nun zugeben wollte oder nicht, und der Grund dafür war nicht einmal die unmittelbare Gefahr, in der ich mich zweifellos befand. Es war die vollkommene Ausweglosigkeit der Situation, in die Bach und seine perfide Organisation Kim und mich hineingezwungen hatten.


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