»Er weiß nicht mehr als wir alle, James«, antwortete Hillenkoetter kühl. Aber auch nicht weniger, fügte sein Blick hinzu: unausgesprochen, aber unübersehbar. Bach fragte sich überrascht, warum Hillenkoetter so offen seine Partei ergriff. Soviel er wusste, waren Forrestal und der Admiral langjährige Freunde.
Er war aber zugleich auch klug genug, nicht weiter auf das Thema einzugehen. Offenbar waren Forrestal und er nicht die Einzigen hier, die nervöser waren, als sie zugeben wollten, und vielleicht anders reagierten, als sie es gewöhnlich taten. Er sah wieder in den Himmel hinauf, unterdrückte nur mit Mühe den Impuls, schon wieder auf die Armbanduhr zu sehen, und ließ seinen Blick zum vermutlich hundertstenmal über das abgesperrte Areal gleiten. Die zahllosen Scheinwerfer und Signalfeuer machten es nur scheinbar zufällig unmöglich mehr als vage Schatten und verschwommene Umrisse zu erkennen. In Wahrheit war dieser Effekt beabsichtigt. Selbst Bach fiel es schwer, zwischen den abgestellten Lastwagen, Zelten, Instrumentenpulten und Funkmasten die Zwillingsläufe des halben Dutzend Flugabwehrkanonen zu identifizieren, obwohl er ganz genau wusste, wo sie sich befanden. Vor einer Stunde war ein Flugzeug tief über das Lager hinweggeflogen und der Pilot hatte ihm versichert, dass die Geschütze aus der Luft heraus vollkommen unsichtbar blieben.
Für ihre Augen...
Es fiel Bach immer schwerer, seine wirklichen Gefühle zu unterdrücken. Er war nicht nur nervös. Er war in großer Sorge. Und er hatte Angst. In einem Punkt stimmte er voll und ganz mit Forrestal überein: Diese ganze Geschichte gefiel ihm nicht. Ganz und gar nicht.
Irgendetwas geschah.
Bach konnte es spüren, noch bevor sich die Geräuschkulisse hinter ihm änderte. Ein spürbarer Unterton hektischer Aktivität lag plötzlich darin, dann schrie eine zitternde, fast hysterische Stimme: »Da kommt was. Unglaublich schnell! Ich habe eine Ortung bei null acht fünf!«
Bach spannte sich. Seine Augen suchten den Himmel in der angegebenen Richtung ab. Inmitten des funkelnden Sternendiadems hatte ein grellweißes Licht zu pulsieren begonnen. Diesmal war er sicher, es sich nicht nur einzubilden.
»Das... das ist völlig unmöglich!«, fuhr die Stimme des Soldaten fort. Sie klang jetzt nicht mehr aufgeregt, sondern eindeutig hysterisch. »Es ist weg!«
»Was soll das heißen?«, schnappte Bach; laut, aber ohne den Blick von dem pulsierenden Licht am Himmel zu wenden. Der strahlende Fleck begann in drei kleinere, stechend weiße Lichter zu zerfallen. Es kam unglaublich schnell näher.
»Es ist vom Radarschirm verschwunden! Hier spielt alles verrückt!«
Andere Stimmen mischten sich ein und bestätigten die Worte. Bach achtete nicht auf Einzelheiten, aber ihm wurde in Sekundenschnelle klar, dass offensichtlich ihre gesamte mitgebrachte Technik verrückt spielte. Er war kein bisschen überrascht.
»Es ist so weit, Frank«, murmelte Hillenkoetter. »Holen Sie Truman.«
Bach zögerte noch eine halbe Sekunde, gebannt von dem pulsierenden Dreigestirn aus weißblauem Licht, das vom Himmel auf sie herabstürzte. Ein seltsames Gefühl hatte ihn ergriffen; eine Mischung aus Furcht und... noch etwas, das er nicht genau definieren konnte. Vielleicht tatsächlich Ergriffenheit. Es war ein historischer Moment, ganz egal, wie man es betrachtete. Er wusste nur nicht, ob es zum größten Tag in der Geschichte der Menschheit werden würde oder zum schwärzesten...
Er verscheuchte den Gedanken, riss sich vom Anblick der heranrasenden Lichter los und eilte mit wenigen energischen Schritten zu dem hinter ihm liegenden Zelt. Rasch schlug er die Plane zurück und rief, ohne einen Blick in das Halbdunkel dahinter zu werfen: »Mister President? Es ist so weit.«
Die Schatten im Inneren des Zeltes wurden lebendig. Bach trat einen Schritt zurück und zugleich zur Seite, um dem halben Dutzend hochrangiger Generäle und Berater Platz zu machen, das in Begleitung Harry Trumans das Zelt verließ. Erneut spürte Bach ein kurzes, eisiges Schaudern. Es wurde ihm schlagartig klar, wie wahnsinnig dieses Unternehmen war, auf das sie sich eingelassen hatten. Hier war nicht nur der Präsident der Vereinigten Staaten, sondern praktisch die gesamte militärische Führungsspitze zusammengekommen. Er unterdrückte den Impuls, zum Himmel hinaufzusehen, aber er dachte: Wenn sie in feindlicher Absicht kommen, sind wir erledigt. Er kam sich klein vor, unwichtig. Und sehr allein.
Truman und die versammelte Führungsspitze der Vereinigten Staaten gesellten sich wortlos zu Forrestal und dem Admiral. Alle Gesichter waren zum Himmel gewandt. In dem immer greller werdenden, pulsierenden Licht wirkten sie unnatürlich blass, die Schatten noch tiefer als sie sein sollten und auf eine fast unheimliche Weise lebendig – als spürten sie die gleiche Gefahr, die auch Bach fühlte, und versuchten davor zu fliehen.
Bachs Herz klopfte hart. Die Stimmen der Techniker im Hintergrund wurden lauter. Bach achtete nicht auf Einzelheiten, aber er hätte schon taub sein müssen, um nicht mitzubekommen, dass ihr gesamtes technisches Equipment offensichtlich der Reihe nach verrückt spielte oder ausfiel.
Ein Mann in der khakifarbenen Uniform der Army kam mit nervösen Schritten näher. »Da stimmt etwas nicht, Mister President«, sagte er. Seine Hände bewegten sich unruhig. »Vielleicht sollten wir... die Geschütze scharf machen... Sir.«
Truman sah ihn nachdenklich an, dann warf er einen fragenden Blick in Forrestals Richtung. Forrestal deutete ein Kopfschütteln an.
»Noch nicht«, antwortete Truman. »Wir dürfen jetzt... keinen Fehler machen.«
Dem Offizier blieb nichts anderes übrig als diese Entscheidung zu akzeptieren, aber er sah dabei nicht begeistert aus. Bachs Herz schlug schneller, während er den Blick wieder nach oben wandte. Die Lichter waren näher gekommen, bewegten sich aber jetzt nicht mehr mit so unfassbarer Geschwindigkeit wie zuvor. Sie bildeten ein perfektes Dreieck, über dem Bach einen verschwommenen Umriss zu erkennen glaubte. Er machte eine knappe, deutende Geste und einer der riesigen Scheinwerfer schwenkte herum. Ein meterdicker Lichtstrahl glitt wie ein tastender Finger über den Himmel.
Bach fühlte ein sonderbares, elektrisches Kribbeln auf der Haut, ein Gefühl, als ob in seiner unmittelbaren Nähe ein schweres Gewitter tobte. Im gleichen Moment fiel im gesamten Lager der Strom aus. Die Dunkelheit schien für einen Moment total und für einen noch kürzeren Moment schien sogar die Zeit stehen zu bleiben, wie um diesen einen Augenblick für alle Ewigkeiten festzuhalten. Bach wartete mit angehaltenem Atem auf die Panik, die nun unweigerlich ausbrechen musste, auf Schreie, Schritte, die Geräusche flüchtender Männer, vielleicht Schüsse. Doch nichts geschah. Vielleicht war er nicht der Einzige, den die vollkommene Finsternis lähmte. Vielleicht hatte irgendetwas dort oben nicht nur die Technik innerhalb des Lagers ausgeschaltet.
Zwei, drei Sekunden vergingen wie zähe Ewigkeiten, dann, ganz plötzlich, erschien ein neues, blauweißes Licht am Himmel, begleitet von einem dumpfen, vibrierenden Summen, wie elektrischer Herzschlag, der aus allen Richtungen zugleich zu kommen schien. Bach kniff die Augen zusammen und zwang sich, weiter in das mittlerweile schmerzhaft grelle Licht zu blicken. Über dem blauen Glosen schwebte ein gewaltiger Umriss, eine riesige, dreieckige Scheibe, die sich in beständiger, zitternder Bewegung zu befinden schien, obwohl sie gleichzeitig stillstand. Das Schiff war nicht so gigantisch, wie er im ersten Moment angenommen hatte, aber es war trotzdem riesig.
»Was zur Hölle...«, murmelte Truman.
Das Schiff sank langsam tiefer und kam fünfzehn oder zwanzig Meter über dem Lager zum Stillstand. Sein elektrischer Herzschlag wurde lauter. Bach spürte, wie sich die feinen Härchen auf seinem Handrücken und in seinem Nacken aufstellten. Der Sand unter seinen Füßen begann zu wispern. Dann, ganz langsam, öffnete sich in der Mitte der drei Lichter ein weiteres, funkelndes Auge. Eine Tür.