McCormack wußte, wie wenig ihm das nutzen würde. Styper würde selbst dann das Feuer auf ihn eröffnen, wenn seine eigene Mutter in der Schußbahn stand. Er hatte seit seinem Eintritt in die Air-Force nur für den Moment gelebt, in dem er die Waffen dieser Kampfmaschine endlich einmal benutzen durfte.
Der Chopper stieß jetzt in immer steilerem Winkel auf das Kloster herab; noch ein paar Grad mehr, und aus seinem Sturzflug würde ein echter Sturz. McCormack sah zwei winzige Gestalten, die unter dem großen Torbogen standen und plötzlich herumfuhren, um davonzustürzen.
Styper feuerte. McCormack sah, daß der Chopper getroffen und zur Seite geschleudert wurde. Glassplitter explodierten aus seiner Kanzel, und McCormack glaubte etwas Großes, Dunkles aus der Maschine und in den Fluß stürzen zu sehen. Ganz plötzlich spürte er einen stechenden Schmerz in beiden Beinen. Er wußte, daß das unmöglich war, aber der Schmerz war da, ergriff seinen ganzen Körper und wurde immer schlimmer und schlimmer. McCormacks letzter Gedanke war, daß an all den Geschichten vom Fegefeuer und der ewigen Verdammnis vielleicht doch etwas dran sein konnte.
Styper feuerte aus allernächster Nähe eine Maverick auf den Chopper. Sie verfehlte ihr Ziel und verschwand auf einem lodernden Feuerstrahl im Inneren desTorgewölbes.
Aber da war McCormack bereits tot.
Brenner spürte nur einen Schlag. Er war so hart, daß er ihn nach vorne riß und nach einem letzten, taumelnden Schritt zu Boden schleuderte, tat aber nicht wirklich weh. Eine Art prickelnder Lähmung breitete sich in seiner Schulter und einemTeil des rechten Armes aus, und etwas Warmes und
Klebriges rann an seinem Rücken herab. Aber kein Schmerz. Was weh tat, war der Sturz. Brenner schürfte sich beide Handflächen und die rechte Wange auf, und in seinem Mund war plötzlich der bittere Kupfergeschmack von Blut. Aus den Augenwinkeln sah er, daß Astrid zusammen mit ihm vielleicht – hoffentlich! – von ihm – zu Boden gerissen worden war, dann schlitterte er wuchtig gegen die Wand des Torgewölbes und sah für einen Moment nur bunte Lichtpunkte und – blitze. Eine weitere Sekunde lang lag er reglos und mit angehaltenem Atem da und wartete auf denTod.
Er kam nicht, aber als Brenner die Augen öffnete und zurücksah, sah er ihn.
Er raste in eine flammende Lohe aus Glut gehüllt heran, ein weißglühendes, brüllendes Ungeheuer, das das Gewölbe mit einem Chaos aus Licht, Hitze und unvorstellbarem Lärm überflutete wie ein Höllenhund, der sich von seiner Kette losgerissen hatte. Es war –
Eine Rakete!
Brenners Begreifen und die verzweifelte Bewegung, mit der er sich herumwarf und schützend die Arme über das Gesicht riß, kamen praktisch im gleichen Moment; aber für eine Sekunde war er trotzdem nicht sicher, ob es nicht zu spät war. Eine Woge grausamer Hitze fegte über ihn hinweg, zu rasch, um ihn wirklich zu verletzen, aber heiß genug, jeden einzelnen Nerv in seinem Körper zum Kreischen zu bringen. Er schrie auf und hörte auch Astrids Schrei durch das Heulen des vorüberjagenden Geschosses, dann war der Dämon vorbei, raste weiter und plötzlich ein winziges Stück nach oben – und Brenner wußte, wo er einschlagen würde, eine Sekunde, bevor es wirklich geschah.
Die Rakete kippte plötzlich in einem Winkel von gut dreißig Grad nach oben und jagte so präzise auf ein Fenster im ersten Stockwerk zu, als wäre sie gezielt. Brenner zog instinktiv den Kopf ein, als das Geschoß die Fensterscheibe zertrümmerte.
Genaugenommen waren es zwei Explosionen, die im Abstand von vier oder fünf Sekunden erfolgten; vielleicht eine Funktionsstörung der Waffe, vielleicht auch die vorzeitige Explosion des Treibstoffes, der die Detonation des Sprengkopfes verspätet folgte. Der erste, fast weiße Blitz ließ sämtliche Fensterscheiben zerbersten und drückte einen Teil der Mauern nach außen; zusammen mit einer fast formlosen Gestalt, verkohlt schon vom ersten Flammenblitz der Explosion und von einer fast mannslangen Glasscheibe regelrecht gepfählt, aber noch immer am Leben, denn sie schlug mit Armen und Beinen um sich und schrie in einer schrillen, fast unmenschlichenTonart, während sie in hohem Bogen auf den Hof hinausgeschleudert wurde.
Ehe sie auf dem Boden aufschlug und ihre furchtbaren Schreie endlich aufhörten, erfolgte die zweite Explosion.
Sie war unvergleichlich stärker als die erste. Die Mauern wölbten sich nach außen, als wäre das gesamte Gebäude nichts als ein bemalter Luftballon, der im Bruchteil einer Sekunde bis zum Zerreißen aufgeblasen wurde. Die Detonation mußte Fußboden und Decke des Raumes zerschmettert haben, denn plötzlich schossen auch aus den Fenstern der darunter liegenden Etage Flammen. Die Schieferplatten des Daches wurden davongewirbelt wie Papierschnipsel, die in einem Aschenbecher verkohlten.
Dann brach die gesamte Vorderfront des Gebäudes zusammen. Die Steine verloren ihren Halt und flogen in alle Richtungen davon, begleitet und gefolgt von einem Schwall lodernder Flammen und einem ungeheuren Tosen und Poltern. Trümmer und Glut prasselten wie apokalyptischer Steinregen auf den Hof herab.
Dort, wo der Gebetsraum gewesen war, erhob sich ein Ball aus orangeroten, wabernden Flammen, und in seinem Zentrum tobte ein noch helleres, gleißendes Licht, ein höllisches Fanal von der Form eines fünf oder sechs Meter großen Kreuzes, das Flammen in alle Richtungen spie und die erlöschende Glut immer wieder neu anzufachen schien. Eine zweite, noch schlimmere Hitzewelle schlug über Brenner zusammen und ließ ihn aufschreien. Voller Entsetzen starrte er seine Hände an, von denen sich die Haut in großen, nassen Blasen abzuschälen begann, und er spürte, daß die Hitze dasselbe seinem Gesicht antat.
Plötzlich fühlte er sich gepackt und hochgerissen. Blindlings schlug er um sich, spürte, daß er etwas traf, und begriff erst, als er Astrids Schrei hörte, daß sie es war, die ihn in die Höhe gezerrt hatte.
Aber bevor er auch nur einen halbwegs klaren Gedanken fassen konnte, erbebte das Kloster unter einem dritten Donnerschlag. Astrid stieß ihn vor sich her, während hinter ihnen rote Glut durch denTorbogen hereinschoß.
Das Wasser hatte dem Sturz seine tödliche Gewalt genommen, aber es war so kalt, daß es ihn allein dadurch beinahe umgebracht hätte. Die dünne Eisdecke, die er mit einem Finger hätte eindrücken können, verwandelte sich in eine Glasscheibe, durch die er mit furchtbarer Wucht hindurchgeprügelt wurde. Die Kälte traf ihn wie ein elektrischer Schlag, der ihn lähmte und zugleich eine glühende Nadel durch sein Herz bohrte.
Salid sank bis auf den Grund des kleinen Flusses. Er versuchte automatisch, sich zu bewegen, Schwimmbewegungen zu machen oder sich wenigstens herumzudrehen, um auf irgendeine Weise wieder an die Oberfläche zu gelangen. Es ging nicht. Er war wie gelähmt. Seine Lungen brannten. Seit er aus dem Cockpit des Hubschraubers geschleudert worden war, waren vielleicht zwei Sekunden vergangen, aber er hatte keine Zeit mehr gehabt, Luft zu holen, und die Atemnot wurde bereits jetzt unerträglich. Die Kälte lähmte ihn. Seine Glieder weigerten sich noch immer, ihm zu gehorchen, und seine Kleider sogen sich rasch voll Wasser und zerrten ihn mit ihrem Gewicht zusätzlich in dieTiefe.
Trotzdem konnte er sehen, was über ihm vorging. Das Wasser des kleinen Flusses war glasklar. Er sah den verschwommenen Umriß des Helikopters, der unter den Einschlägen der Geschosse zur Seite getaumelt war wie ein Boxer unter den Hieben eines unsichtbaren Gegners, den winzigen, lodernden Stern, der auf ihn zuraste, ihn verfehlte und statt dessen in der Toröffnung verschwand und den Umriß des zweiten Kampfhubschraubers, der immer näher kam, als wolle sein Pilot nun wirklich in den Nahkampf übergehen. Eine Sekunde später explodierte die fehlgeleitete Rakete irgendwo im Inneren des Klosters. Salid sah grelles Feuer hinter der Toröffnung flackern, und er mußte flüchtig an die beiden Gestalten denken, die er gesehen hatte. Sie hatten keine Chance gehabt.