Endlich gelang es ihm, seine Glieder zu einer einzigen, matten Schwimmbewegung zu zwingen. Die Wasseroberfläche und die Umrisse der beiden Helikopter kamen immer näher, und Salid raffte noch einmal jedes bißchen Energie, das er in sich fand, zusammen, um sich weiter nach oben zu kämpfen, bis er endlich die Wasseroberfläche durchstieß und verzweifelt nach Luft schnappen konnte.

Salids Lungen füllten sich mit köstlichem, süßem Sauerstoff, und der stählerne Ring, der seine Brust zu zerquetschen begonnen hatte, zerbrach.

Der Chopper wurde von einer zweiten Salve der Gatlin-Gun des Apache getroffen und regelrecht zersägt. Die zerborstene Kanzel stürzte wie ein Stein zwanzig Meter neben Salid in den Fluß, das Heck prallte gegen die Mauer und explodierte.

Salid wurde von der neuerlichen Druck-und Hitzewelle erneut unter Wasser gedrückt, aber diesmal hatte er das Unheil kommen sehen und tief eingeatmet. Er kämpfte nicht gegen die unsichtbare Faust an, die ihn in den Schlamm des Flußgrundes pressen wollte, sondern machte im Gegenteil kräftige, schnelle Schwimmbewegungen, die ihn tief unter Wasser beförderten, weg von dem grausamen, tötenden Licht und den gefährlichen Trümmern, die den Fluß über ihm wie eine MG-Salve zerrissen. Salid wurde herumgewirbelt wie ein StückTreibholz, das einen Wasserfall hinunterschoß, aber er schwamm mit verbissener Kraft weiter, bis seine Lungen erneut nach Luft schrien und er einfach nicht mehr konnte.

Der Fluß, aus dem er emportauchte, dampfte wie eine Thermalquelle. Salid atmete keuchend ein und spürte, daß die Luft heiß war – und als er den Blick wandte, wußte er auch, warum.

Mit der Strömung trieb eine Lache aus brennendem Öl oder Treibstoff heran, um nachzuholen, was der ersten, großen Explosion mißlungen war.

Salid überschlug blitzschnell seine Chancen, ihr zu entgehen, atmete tief ein und tauchte, so rasch und so tief er konnte. Das Wasser über ihm fing Feuer, und Salid registrierte voller Schrecken, daß die Lache viel größer war, als er angenommen hatte. Aber er gestattete sich nicht, Furcht zu empfinden, die seine Reaktionen vielleicht um den entscheidenden Moment verlangsamt hätte, sondern schwamm rasch und so weit, bis er glaubte, seine Lungen müßten platzen; und auch dann noch ein Stück weiter.

Flammen versengten sein Gesicht, als er auftauchte, aber das brennende Öl war eine Handbreit von ihm entfernt. Salid stöhnte vor Schmerz, als seiner Haut binnen einer Sekunde jede Feuchtigkeit entzogen wurde und sie aufplatzte. Um seine Augen zu schützen, preßte er die Lider aufeinander. Er warf den Kopf zurück, tauchte wieder unter und entfernte sich mit panischen Schwimmbewegungen ein kleines Stück von dem brennenden Benzin. Diesmal reichte sein Atem nicht, ihn sehr weit kommen zu lassen.

Ein schrilles Heulen drang an sein Ohr. Salid sah hoch und erblickte den Apache, der noch immer über den brennenden Trümmern des Chopper kreiste, wie ein Raubvogel, der sich mißtrauisch davon zu überzeugen trachtete, daß sein geschlagenes Opfer auch wirklich tot war. Im ersten Moment kam ihm der Anblick fast absurd vor; erst dann begriff er, daß trotz allem erst wenige Sekundenverstrichen sein konnten, seit er in den Fluß gestürzt und der Chopper explodiert war. Und vielleicht war es noch nicht einmal vorbei. Die Männer dort oben mußten ihn einfach sehen.

Und wie auf ein Stichwort hin schwenkte der Apache in diesem Moment zur Seite und hielt genau auf ihn zu!

Aber irgend etwas stimmte nicht mit der Maschine. Ihr Flug war unregelmäßig und taumelnd, das Motorengeräusch wurde immer schriller. Die Turbine schien zu stottern. Aus dem wießen Rauch war schwarzer, öliger Qualm geworden, der aus einer klaffenden Wunde in ihrer Flanke drang, und die Maschine war Salid jetzt nahe genug, daß er die beiden Gestalten in ihrem Cockpit erkennen konnte. Eine von ihnen war leblos nach vorne gesunken. Also hatte ihr erster Angriff doch Erfolg gehabt. Salid begriff mit einer Mischung aus Trauer und trotziger Resignation, daß der junge Pilot recht gehabt hatte und er unrecht. Sie hätten den Apache abschießen können, hätte Salid ihn nicht daran gehindert, ein zweites Mal zu feuern. Der stählerne Vogel war bereits waidwund gewesen. Sie hatten ihn gerade lange genug am Leben gelassen, damit er ihnen folgen und sie töten konnte, ehe er selbst starb.

Der Apache kam immer näher. Salid war für einen Moment überzeugt davon, daß er direkt auf ihn herabfallen würde, um die Geschichte mit einem Paukenschlag fast biblischer Gerechtigkeit zum Abschluß zu bringen. Aber dann kippte die Maschine plötzlich zur Seite, jagte so dicht über den Fluß hinweg, daß ihre Rotoren fast das Wasser berührt hätten, und fand noch einmal in die Waagerechte zurück. Taumelnd näherte sie sich dem Ufer, schoß auf das Kloster zu und gewann dabei immer mehr an Höhe.

Beinahe hätte der Pilot es sogar geschafft.

Der Apache jagte in steilem Winkel an der Außenseite des Klosters in die Höhe. Seine Kufen streiften das Dach, rissen Schieferplatten und Holz los. Aus dem Riß in ihrer Flanke, aus dem bisher nur Rauch gequollen war, sprühten plötzlich Funken, dann Flammen. Die Maschine taumelte. Der Heckrotor fiel aus, und der Apache begann zu kreiseln. Seine Kufen berührten zum zweitenmal das Dach, zertrümmerten den First, und diesmal konnte Salid sehen, wie etwas von der Maschine abbrach. Dann kippte der Apache wie ein Reiter, der aus dem Sattel eines bockenden Pferdes stürzt, über den Dachfirst in die Tiefe.

Die Explosion erfolgte fast unmittelbar darauf. Der Blitz war so grell, daß er für einen Moment das Licht der Sonne einfach auszulöschen schien. Salid sah, wie sich das gesamte Gebäude ein Stück in die Höhe zu heben und dann mit einem berstenden Schlag wieder zurückzufallen schien, dann schossen Flammen und Licht wie aus dem Herzen eines explodierenden Vulkanes senkrecht nach oben und setzten den Himmel in Brand.

Salid tauchte, um der Druckwelle zu entgehen, drehte sich unter Wasser herum und raffte das letzte bißchen Kraft zusammen, das er noch in seinem geschundenen Körper fand, um auf das Ufer zuzuschwimmen, während über ihm die Welt inTrümmer ging.

Was er in diesem Moment am deutlichsten begriff – obwohl es im Grunde vollkommen aberwitzig war-, war dieTatsache, daß der Ausspruch: »Schlimmer konnte es nicht kommen«, eine glatte Lüge war. Ganz egal, was geschah, es konnte immer schlimmer kommen, und vielleicht gab es sogar eine Art Naturgesetz, nach dem es immer schlimmer kommen mußte. Brenners Universum war zerbrochen, in einer einzigen, rotglühenden Sekunde. Aus einem Leben, das aus Zahlen und Arbeit, aus Langeweile und nicht mehr Abwechslung als den geliehenen Abenteuern in einem Buch oder Film bestanden hatte, war ein Chaos aus Feuer und Lärm geworden, das ihn in einem sich immer schneller drehenden Strudel auf das Ende zuriß. Brenner verstand nicht mehr, was mit ihm geschah. Fast wünschte er sich zu sterben, nur damit es endlich vorbei war.

Ein harter Stoß in die Seite schleuderte ihn gegen die Wand und zugleich in die Wirklichkeit zurück. Plötzlich spürte er wieder die Hitze, fühlte das Beben des steinernen Bodens unter seinen Füßen, der sich aufbäumte und wie unter Schmerzen schrie, und hörte das schreckliche Mahlen und Bersten, mit dem sich die scheinbar so unerschütterlichen Wände rings um ihn herum bewegten wie Theaterkulissen aus dünnem Papier. Automatisch taumelte er weiter, drehte den Kopf und begriff erst in diesem Moment, wessen Hand ihn in die Höhe gezerrt hatte.

Astrids Anblick versetzte ihm einen Schock. Er erkannte sie kaum wieder. Der Großteil ihrer Haare war zu einer klumpigen Masse verkohlt; das, was er von ihrem Gesicht noch erkennen konnte, war voller Blut und Ruß. Ihre Jacke schwelte, und die Hände, mit denen sie ihn gepackt hatte, fühlten sich feucht und klebrig an. Instinktiv versuchte er vor dem schrecklichen Anblick zurückzuweichen, aber Astrid hielt ihn mit unerwarteter Kraft fest. Fast schon beiläufig registrierte er, daß der weiße Verband, den Sebastian ihr angelegt hatte, schwarz geworden war. Ihre Hand mußte gebrannt haben. Mit einem Male wurde ihm klar, daß es ihr Körper gewesen war, der ihn wie ein lebender Schutzschild vor dem Gluthauch der Rakete bewahrt hatte. »Lauf! « schrie sie. »Schnell! Es ist noch nicht vorbei! «


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