Ich schloss die Tür auf, sprang aus dem Cottage und rannte zu Kapitän Stasj. Rannte dorthin in der vollen Überzeugung, dass der falsche Ritter vom Avalon ebenfalls auf dem Boden liegen, Speichel aus seinem Mund laufen und er stumpfsinnig ins Nichts starren würde. Kapitän Stasj verbrannte seine Sachen. Aus seiner ausgestreckten Hand entsprang eine dampfende Schnur, tanzte im Zimmer umher wie eine Feuerschlange und hüllte die Computerblöcke, Taschen und Köfferchen ein. Die Flamme schaffte es nicht aufzulodern — alles zerfiel augenblicklich in Asche. Die Rauchmelder hatte er abgeschaltet, denn eine Sirene war nicht zu hören.

»Kapitän Stasj!«, rief ich. Der Ritter wandte sich um, das Feuer erstarb. Ich konnte gerade noch sehen, dass etwas Wendiges, von silbrigen Schuppen Bedecktes im Ärmel seiner Jacke verschwand. Aber das interessierte mich jetzt nicht.

»Dort, dort ist was passiert! Lion schläft und seine ganze Familie schläft und sie wachen nicht auf…«

»Ich weiß.« Stasj nahm die einzige Tasche, die er nicht verbrannt hatte, vom Boden. »Der Taxidienst reagiert nicht. Die Invasion des Inej hat begonnen, Tikkirej.«

»Stasj…«

»Gehen wir, Tikkirej. Wir werden versuchen, uns zum Kosmodrom durchzuschlagen.«

Ich schüttelte den Kopf. Der tote Spion des Inej hing unverändert an der Wand, aber er erschreckte mich nicht mehr.

»Kapitän Stasj, dort sind doch Lion und seine Eltern! Helfen Sie ihnen!«

»Tikkirej!«, erwiderte Stasj betont. »Ich werde dir heraushelfen, da du schon so tief in alles hereingeschlittert bist. Aber ich habe nicht vor, jemand anderen zu retten. Weder Kinder noch Frauen noch alte Leute. Auf diesem Planeten gibt es 700 Millionen Menschen, sie alle benötigen Hilfe. Allen muss geholfen werden, nicht nur deinem Freund.«

»Aber, Kapitän…«

»Keine Diskussionen! Kommst du mit?«

Ich trat zur Tür zurück. Ich hatte Angst, fürchterliche Angst. Und Kapitän Stasj, der Phag vom Avalon, war mein einziger Schutz auf dem wunderbaren Planeten Neu-Kuweit, der innerhalb eines Augenblicks in einen Alptraum gesunken war.

»Sie haben so überzeugend gesprochen, Kapitän Stasj«, flüsterte ich, »davon, dass wir alle logisch handeln würden… und das wäre schlecht. Ich habe Ihnen geglaubt. Wirklich.«

Kapitän Stasj schwieg.

»Verzeihen Sie«, sagte ich.

»Wo wohnt dein Freund?«, fragte Stasj.

»Es ist gleich hier, nicht weit weg!«, rief ich aus. »Kommen Sie, es dauert nur eine Minute!«

Im Wirklichkeit hatte man rund fünf Minuten zu gehen. Mir kam es aber vor, als ob wir eine Viertelstunde bräuchten. Stasj schritt weit aus, ich lief nebenher und hielt mit Müh und Not Schritt. Stasj hielt die ganze Zeit die rechte Hand etwas entfernt vom Körper, und ich war davon überzeugt, dass jederzeit ein Feuerball explodieren könnte.

»Und das ist trotzdem ein Schlangenschwert…«, meinte ich schnell atmend.

»Wie oft soll ich dir noch sagen, dass es kein Schwert ist«, wies mich Stasj zurecht, »eine Plasmapeitsche ist entschieden universeller.«

Die Cottagetür stand noch offen. Stasj schaute schnell ins Schlafzimmer von Lions Eltern, fühlte ihnen den Puls, führte die Handfläche über das Gesicht und schaute dann traurig. Ohne etwas zu sagen, ging er ins Kinderschlafzimmer.

»Ist das dein Freund?«

»Ja!«

»Wir haben noch niemanden in der Phase der Wiedergeburt beobachtet«, meinte Stasj. »Ich hätte den kleineren Jungen bevorzugt, er ist leichter zu tragen. Aber wenn du willst, nehmen wir deinen Freund. Und… und versuchen ihm zu helfen. Es gibt keine Erfolgsgarantien, das verstehst du hoffentlich.«

Ich verstand, dass es zwecklos war, wegen Lions Eltern nachzufragen. Und wegen seines stillen, schweigsamen Schwesterchens und seines unruhigen Brüderchens auch.

Trotzdem fragte ich:

»Und wenn wir noch…«

»Auf diesem Planeten«, wiederholte Stasj müde, »gibt es Millionen von Kindern, die dieses Leid getroffen hat. Man kann allem oder keinem helfen. Ich habe mich schon bereit erklärt, deinen Freund mitzunehmen, Tikkirej.«

»Ich werde ihn selber tragen«, sagte ich mutig.

»Wohl kaum«, meinte Stasj und ließ seine Tasche fallen, »kriegst du sie weg?«

Ich hob sie an. Sie war schwer, aber entschieden leichter als Lion. Das war offensichtlich.

»Ja. Natürlich.«

Mit wenigen Bewegungen wickelte Stasj Lion in eine Decke und warf ihn sich über die Schulter. Schweigend ging er hinaus.

»Verzeiht«, sagte ich zu dem kleinen Jungen und dem kleinen Mädchen, die in ihren Betten einen seltsamen, nicht menschlichen Schlaf schliefen, »verzeiht uns, bitte.«

Mein Köfferchen stand auf der Schwelle, ich schnappte es mir ebenfalls. Gebückt unter der Last folgte ich Stasj. Wir gingen an einigen Autos vorüber, ehe Stasj auf einen bescheidenen Jeep zuging. Er öffnete die Tür — das Schloss gab keinen Piepser von sich, machte sich eine Sekunde lang an der Kontrolleinheit zu schaffen und die Blockade erlosch. Lion legte er auf den Rücksitz und nickte mir zu: »Steig ein!«

Ich setzte mich neben Lion und legte seinen Kopf auf meine Knie, damit er nicht so wackelte. Er befand sich nach wie vor in einem tiefen Schlaf.

»Was ist mit ihm, Kapitän Stasj?«

Das Auto heulte auf und fuhr auf den Weg, der durch das gesamte Motel führte.

»Er ist im Stadium der Wiedergeburt, Tikkirej«, antwortete Stasj lustlos. »Nach unseren Informationen erfasst dieser fünfzehn Stunden dauernde Schlaf die gesamte… fast die gesamte Bevölkerung der von Inej angegriffenen Planeten. Danach schließen sie sich freiwillig Inej an.«

»Kann man ihm helfen?«

»Ich weiß es nicht.«

Das Auto erreichte die Straße, aber zu meiner Überraschung fuhr Stasj nicht zum Kosmodrom, sondern Richtung Stadt.

»Warum fahren wir dorthin?«, fragte ich erschrocken. Ich wollte nur weg, meinetwegen zurück zum Karijer, aber weit weg von Neu-Kuweit.

»Ich möchte einen Blick auf den Sultanspalast werfen. Gestern wurde auf meinen Rat hin die Schutzfeldkuppel eingeschalten. Vielleicht konnte sich die Regierung retten. Dann besteht eine Chance, die Flotte zu Hilfe zu rufen.«

»Sie kennen den Sultan persönlich?«, fragte ich verwundert.

»Ja.«

»Kapitän Stasj, heißt das, Sie hätten einfach darum bitten können, dass man mir die hiesige Staatsbürgerschaft gibt?«

»Ich beschäftige mich nicht mit der Klärung unwichtiger Probleme kleiner Jungs«, erwiderte Stasj müde. »Wenn du glaubst, dass ich während meiner Unterredung mit dem Sultan an deine Existenz gedacht hätte, dann machst du dir etwas vor.«

Ich schwieg, umarmte Lion und hielt ihn fest. Die Straße war hervorragend und Stasj ein guter Fahrer, aber er fuhr mit so hoher Geschwindigkeit, dass wir trotzdem von einer Ecke in die andere geschleudert wurden.

»Es gibt da ein Buch, ›Don Quichotte‹«, meinte Stasj plötzlich. »Dessen Held hielt es für nötig, alle Ungerechtigkeiten, die er auf seinem Weg antraf, zu beseitigen. So schlägt zum Beispiel ein böser Meister den kleinen Jungen, der bei ihm in Dienst stand. Also muss Don Quichotte diesen Herrn bestrafen und danach fährt er weiter. An das, was passieren wird, wenn der Meister wieder mit dem Kind allein ist, daran dachte der naive Ritter nicht. Ist die Analogie verständlich?«

»Ist der Sultan etwa so bösartig?«

»Nein, aber seine Geheimdienste sind argwöhnisch. Da sie mein Vorstoß überraschte und verwunderte, bedachten sie mich mit einer so großen Aufmerksamkeit, dass auch du irgendwann vor Verzweiflung die Wände hochgegangen wärst! Und zweitens, ich beschäftige mich nicht…«

»… mit der Klärung unwichtiger Probleme«, beendete ich. »Danke, Kapitän Stasj.«

Wir fuhren in die Stadt. Wohngebiete mit niedrigen, vielleicht zehn- bis zwölfgeschossigen Häusern zogen sich dahin. Scheinbar war hier alles beim Alten — die Straßenlaternen und Reklametafeln leuchteten, fast alle Fenster waren hell erleuchtet.

Laut rief ich: »Sehen Sie nur, Stasj, hier ist alles in Ordnung!«


Перейти на страницу:
Изменить размер шрифта: