Der Bus fuhr an die Schleuse heran, ein durchsichtiges Rohr, das sich von oben herabneigte. Zu sechst pressten wir uns mit Mühe in den kleinen Fahrstuhl. Ich wurde gegen den Kapitän gequetscht.
»Entschuldigung, Kapitän«, sagte ich.
Er schwieg. Der Älteste tippte auf meine Schulter und belehrte mich eisig: »Gestatten Sie eine Äußerung, Kapitän…«
»Gestatten Sie eine Äußerung, Kapitän«, wiederholte ich.
»Ich gestatte.«
»Wo sind denn die anderen Mitglieder des Rechenzentrums? Sind sie früher zurückgekommen?«
Mir wurde auf einmal ganz seltsam zumute. Ich dachte, dass sie überhaupt keine anderen Module hätten und deshalb mein Gehirn ununterbrochen arbeiten müsste.
»Sie haben das Raumschiff nicht verlassen«, antwortete der Kapitän.
Ich stellte keine weiteren Fragen.
Aus der Schleusenkammer heraus verteilten sich sofort alle entsprechend ihren Aufgaben. Die Schleusenkammer selbst war ziemlich groß, mit Raumanzügen in verglasten Nischen und einer in den Boden eingelassenen Flugkapsel.
Der Kapitän sagte, ohne jemanden konkret anzusprechen: »Start in fünfzig Minuten, Onlineregime für alle in vierzig Minuten.«
Ich stand da, sperrte den Mund auf und verstand nur Bahnhof.
Und wohin musste ich?
Die Finger des Arztes bohrten sich in meine Schulter. »Komm mit!«
Wir nahmen den Fahrstuhl nach oben und gingen durch einen Flur. Der Arzt schwieg, er wirkte ernst und konzentriert.
»Verzeihen Sie, aber was muss ich jetzt machen?«, begann ich.
»Für deine Arbeit musst du überhaupt nichts wissen«, unterbrach mich der Arzt, »du bist ein ›Gehirn in der Flasche‹, kapiert? Tritt ein!«
Er stieß mich nach vorn und ich ging als Erster in einen großen Saal. Hier gab es einen Tisch, eine große Videowand und gemütliche, tiefe Sessel. In den Sesseln saßen Menschen — die restlichen Module. Es waren fünf — drei ältere, einer in den mittleren Jahren und ein Junge von vielleicht siebzehn.
»Guten Tag, Recheneinheit«, sagte der Arzt.
Alle fünf fingen an sich zu bewegen. Die Älteren nickten. Der Mann mittleren Alters brummte etwas vor sich hin. Der Junge grüßte: »Hallo, Doc.«
Sie sahen überhaupt nicht debil aus. Eher wie Leute, die vom Film auf dem Bildschirm fasziniert waren. Irgendetwas Abenteuer- und Actionmäßiges, eine junge Frau bewies gerade jemandem, dass sie den Zeitsprung aushält, da man ihr extra dafür ein Y-Chromosom implantiert hatte. So ein Unsinn, wie kann man denn ein Chromosom in jede einzelne Zelle implantieren?
»Das ist euer neuer Freund«, stellte mich der Doktor vor. »Er heißt Tikkirej… falls das jemanden interessieren sollte.«
»Grüß dich, Tikkirej«, erwiderte der junge Mann, »ich heiße Keol.«
Er lächelte sogar dabei.
»Hast du das Raumschiff verlassen?«, fragte der Doc.
Keol verzog sein Gesicht.
»Nein. Ich mag diesen Planeten nicht.«
»Du wolltest aber doch…«, der Arzt winkte ab, »egal. Jeder an seinen Platz! Start in vierzig Minuten.«
Sofort erhoben sich alle. Der Bildschirm wurde dunkel. Aus den Nischen kamen einige Reinigungsschildkröten und krochen über den Boden. Ich bemerkte, dass überall Popcorn verstreut war und Schokoladenkrümel und andere Abfälle herumlagen.
»Soll ich dem Neuen helfen?«, wollte Keol wissen.
»Ich erkläre ihm alles selber. Achte auf die Alten.«
»Gut, Doc«, erwiderte Keol.
»Er ist von allen am besten erhalten«, äußerte der Arzt, ohne die Stimme zu senken. Keol reagierte nicht. Der Arzt sah mich an.
Ich schwieg und mich überkam ein leichtes Zittern.
»Der Bus ist noch nicht weg«, meinte der Arzt, »ich habe den Fahrer gebeten, noch zwanzig Minuten zu warten. Wenn du willst, bringe ich dich zur Schleuse.«
Mein Mund war wie ausgetrocknet, aber ich bewegte mühsam die Zunge und sagte: »Nein.«
»Das war der letzte Versuch«, sagte der Arzt, »gehen wir also.«
Im Saal waren ungefähr zehn Türen, sieben davon waren breiter und wirkten massiv. Durch diese Türen gingen die Module. Der Arzt führte mich zur äußeren und hieß mich die Handfläche auf die Sensorplatte legen. Er erklärte: »Das ist jetzt deine Flasche.«
Der Raum erinnerte wirklich an eine liegende Flasche… Sogar Decke und Wände krümmten sich entsprechend. Innen war nichts außer einem eigenartigen Ding, das aussah wie ein Krankenbett für einen Schwerkranken. Die Oberfläche war elastisch, glänzend und flexibel. Fast in der Mitte befand sich ein Abfluss.
»Zieh dich aus«, sprach der Arzt, »alle Sachen. Die Kleidung hier rein.«
Ich entkleidete mich, packte die Sachen in den Wandschrank, der ebenfalls durch ein Sensorschloss verschlossen wurde. Legte mich schweigend auf das Bett. Es war recht weich und bequem.
»Also folgendermaßen«, begann der Arzt, »die schwierigsten Probleme für ein arbeitendes Modul… weißt du, welche das sind?«
»Weiß ich«, antwortete ich.
»Du kannst das Wasser nicht halten«, fuhr der Arzt fort, »dafür ist ein Bidet im Bett eingebaut, das sich automatisch einschaltet. Wenn bei dir die Darmtätigkeit gestört ist, beginnt der Shunt selbständig Kommandos an das periphere Nervensystem zu geben. Jede Stunde massiert dich das Bett. Einmal am Tag sendet der Shunt einen Befehl zum Zusammenziehen der Muskulatur aus, um Muskelschwund zu verhindern. Der Gesundheitszustand wird ständig kontrolliert, wenn etwas sein sollte, komme und helfe ich… So… Die Ernährung…«
Er fuhr mit seiner Hand unter das Bett und holte aus irgendeinem Behälter einen Schlauch mit einem verbreiterten Ende.
Der Arzt sah meine erschrockenen Augen und sagte: »Das ist nicht für die Ernährung, das ist der Urinschlauch. Leg ihn dir selbst an.«
Ich tat es.
Das Erniedrigende bestand gerade darin, dass der Doktor danebenstand, Ratschläge gab und alles kommentierte. Als ob er es auf mich besonders abgesehen hätte, weil ich unbeeindruckt ihre Ratschläge in den Wind geschlagen hatte und ins Raumschiff gekommen war.
Der zweite Schlauch, den er holte, war dann aber für die Ernährung. Der Arzt suchte mir schnell ein passendes Mundstück aus. Ich nahm es in den Mund.
»Flüssignahrung, wird in kleinen Portionen gleichzeitig mit der Stimulierung des Schluckreflexes verabreicht«, erklärte der Arzt, »willst du mal probieren?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Richtig so. Schmeckt nicht. Ist wirkungsvoll, leicht verdaulich und gibt ein Minimum an Endprodukten. Mehr aber auch nicht.«
Dann schnallte er mich mit vier breiten Riemen auf dem Bett an und fuhr fort: »Merke dir die Reihenfolge. In Zukunft wirst du das alles selber machen. Das ist wirklich bedienungsfreundlich, deine Hände bleiben frei bis zum Schluss. Dann steckst du sie in diese Schlingen, die sich automatisch zusammenziehen. Das System ist einfach, leicht zu handhaben und schon seit einem halben Jahrhundert unverändert. Möchtest du noch etwas sagen?«
Ich nickte und der Doktor nahm mir das Mundstück aus dem Mund.
»Wenn wir ankommen, werde ich dann ins Kosmodrom gehen dürfen? Spazieren gehen…«
»Natürlich!«, der Arzt war erstaunt. »Oder hältst du uns für Verbrecher, die Module mit Gewalt festhalten? Tikkirej, das Traurigste dabei ist, dass eben das gar nicht erforderlich ist. Ich versichere dir, Tikkirej, wenn es für die Eroberung des Kosmos notwendig gewesen wäre, den Menschen das Gehirn zu amputieren und wirklich in Flaschen zu füllen, hätten wir genau das gemacht. Die menschliche Moral ist wundersam dehnbar. Das war aber gar nicht nötig, denn das beste Glas ist dein eigener Körper. Ihm wird Nahrung zugeführt, die Endprodukte werden entsorgt und in den Shunt wird ein Kabel gesteckt. Das ist alles, Tikkirej. Und die Tatsache, dass es wirklich einige Module gibt, die nach Vertragsende aufhören, erlaubt es den Menschen, ein für allemal ihr Gewissen zu beruhigen. Hast du das verstanden?«
»Ja. Danke.« Ich lächelte ein schales Lächeln. »Ich… ich bin ein bisschen erschrocken. Dachte, dass man mich nicht aus dem Raumschiff lassen würde, bis ich genauso geworden bin… wie diese.«