Denn diese Schiffe könnten Avalon, Edem, Erde und Karijer überfallen…

»Tikkirej, gefällt dir irgendetwas nicht?«, wollte Natascha wissen.

Wir saßen jetzt ganz dicht beieinander und unterhielten uns flüsternd. Daher war uns… war uns ganz eigenartig zumute, als ob wir nicht über den Krieg, sondern über Geheimnisse sprechen würden.

»Ja. Sie hat mich zu meinem Einverständnis gezwungen. Verstehst du das? Nicht ich habe die Entscheidung getroffen, sie hat für mich den Entschluss gefasst.«

»Sie ist doch deine Vorgesetzte.«

»Das glaubst du! Ich bin übrigens nicht in der Armee.«

»Ich denke, es geht um etwas ganz anderes.«

»Und um was?«

»Darum, dass sie ein Mädchen ist.«

Im Hellen wäre ich jetzt rot geworden. Aber wenn du weißt, dass dich sowieso niemand sieht, wird es nichts mit dem Erröten.

»Überhaupt nicht! Wenn schon ein Mädchen, dann hätte sie höflicher auftreten sollen.«

»Das ist sexistisch. Sag nur noch ›Gepäckstück‹ zu ihr!«, giftete Natascha.

»Es steht Mädchen nicht, zu kommandieren!«

»Und was steht ihnen außerdem nicht? Vielleicht sollten wir auch nicht kämpfen? Aber wir kämpfen wenigstens, während andere feige sind! Denk nur, sie können im Zeittunnel fliegen!«

Natascha rückte sogar von mir ab, obwohl wir uns vorher aneinandergepresst hatten, um uns zu wärmen. Ich hatte große Lust, ihr etwas Gemeines und Fieses zu entgegnen. Zum Beispiel, dass ihr ganzer Partisanenkrieg die Menschen nur erboste, dass sie es geschafft hatten, Schulen mit ihren Raketen zu zerbomben.

Ich sagte stattdessen etwas anderes:

»Natürlich können wir im Zeittunnel fliegen. Ich persönlich bin als Modul geflogen.«

»Oh!«, staunte Natascha. Und schwieg.

»Und überhaupt geht es nicht darum, dass sie ein Mädchen ist«, fuhr ich fort. »Wenn du kommandierst, werde ich nicht widersprechen. Denn du hast Kampferfahrung und ich noch nicht. Aber über Elli weiß ich gar nichts. Na gut, vielleicht wurde sie von den Phagen geschickt. Vielleicht ist sie eine wichtige Person. Aber warum muss sie dann solchen Druck ausüben?«

»Hat sie etwa Druck auf dich ausgeübt?«, wunderte sich Natascha.

»Sie sagte, dass man Stasj bestrafen würde. Und er ist mein Freund, mein bester Freund… nein, das ist es nicht. Das ist etwas anderes. Jedenfalls möchte ich nicht, dass er entlassen wird und stirbt. Lieber sterbe ich selber.«

»Aber dieser Stasj ist doch ein Erwachsener, oder? Das heißt doch, du musst dir um ihn keine Sorgen machen!«, erwiderte Natascha hitzig. »Er muss die richtige Entscheidung treffen, und wenn er sich geirrt hat, ist er selber schuld und verpflichtet, die Bestrafung hinzunehmen! Das ist doch allgemein bekannt. Erwachsene müssen sich um Kinder kümmern, sie schützen und die richtigen Entscheidungen treffen! Sie haben doch viel mehr Lebenserfahrung! Also hat alles seine Richtigkeit!«

Ich schaute auf Natascha und fand die Situation lustig. Als ich noch auf Karijer gelebt hatte, wäre ich fraglos ihrer Meinung gewesen. Es ist ja wahr, die gesamte Natur war so eingerichtet und der Mensch war ein Teil der Natur. Im Naturkundeunterricht hatten wir erfahren, wie sich eine Katze aufregt, wenn man ihr die Jungen wegnimmt. Uns wurde erklärt, dass es sich dabei um uralte nützliche Instinkte handelte, dass sich deshalb unsere Eltern um uns kümmern und alle Erwachsenen die Kinder schützen.

Nur dass dies nicht die ganze Wahrheit ist.

Wenn ein Mensch dein Freund ist, dann hast du ebenfalls die Verpflichtung, dich um ihn zu kümmern. Auch wenn er entschieden stärker und klüger ist als du. Sogar wenn er sich geirrt hat. Früher verstand ich das nicht. Vor langer Zeit. Vor drei Monaten. Auf Karijer, als meine Eltern sich für den Tod entschieden. Wir hätten alle zusammenbleiben und notfalls auch die Kuppel verlassen müssen. Zumindest wäre ich verpflichtet gewesen, das zu wollen, und hätte nicht den Eltern zustimmen dürfen.

Aber wie sollte ich das erklären?

»Stasj hat mich gerettet«, begann ich. »Obwohl er das gar nicht hätte tun sollen. Sag mir, wenn deinem Großvater ein Unglück zustieße, würdest du ihn retten?«

»Er ist doch mein Opa…«

»Na und? Dafür ist er alt und invalide. Du bist viel wertvoller für die Gesellschaft, warum solltest du wegen des Großvaters ein Risiko eingehen und dir Sorgen machen?«

»Aber ich mache mir keine Sorgen um ihn!«

»Ach! Aber heute Morgen hast du angerufen, um Neuigkeiten zu erfahren.«

Natascha verstummte. Dann sagte sie: »Aber das ist doch nicht richtig. Dass ich mir um Opa Sorgen mache und du dir um Stasj.«

»Weißt du, ich glaube, gerade das ist richtig«, erwiderte ich.

Natascha nahm meine Hand und meinte: »Du bist ziemlich eigenartig, Tikkirej. Sei nicht beleidigt. Manchmal scheint mir, dass du lediglich ein dummer und feiger Junge bist, der zufällig mit gefährlichen Dingen in Berührung gekommen ist. Und dann wieder denke ich, dass du im Gegenteil viel klüger und mutiger bist als wir alle zusammen.«

»Und was glaubst du jetzt?«, erkundigte ich mich neugierig.

»Dass uns kalt ist und wir uns erkälten werden!« Natascha sprang auf und zog mich von der Bank. »Komm! Lion denkt bestimmt schon sonst was!« Lionwundertesichübergarnichts.Im Gemeinschaftsschlafsaal konnten wir uns natürlich nicht unterhalten, deshalb weckte ich ihn in der Nacht und wir gingen zu den Sanitäranlagen. Das ist so eine Mischung aus Dusche und Toilette — ein riesiger Raum, in dem sich an einer Wand die Toilettenboxen, an der zweiten die Waschbecken und an der dritten die Duschköpfe aufreihten. Mir war unklar, warum alles zusammen installiert war, ganz wie auf einem alten Kriegsschiff. Frühmorgens gab es hier ein fürchterliches Gedränge.

Schnell überprüfte ich die Kabinen, niemand war hier. Wir gingen zum Fenster und ich berichtete Lion vom Besuch Ellis und von unserer Aufgabe.

»Das habe ich mir gedacht«, äußerte Lion sofort. »Noch auf dem Avalon.«

»Was hast du dir gedacht?«

»Warum wohl haben uns die Phagen nach Neu-Kuweit geschickt? Das ist teuer und überhaupt… welchen Nutzen versprechen sie sich von uns?«

»Aber sie haben uns hierhergeschickt.«

»Eben deswegen haben sie uns hergeschickt. Wir sind austauschbare Agenten.«

»Wie das?«, erkundigte ich mich vorsichtig.

»Ich habe im Traum davon erfahren. Ein austauschbarer Agent ist ein normaler Mensch, der ein wenig vorbereitet wird und einen besonders gefährlichen Auftrag erhält. Einen, von dem man nicht zurückkehrt. Die Phagen wussten, dass jemand daran glauben muss… genau dafür sind wir da.«

Lion war sehr ernst. Er saß auf dem Fensterbrett und hielt seinen Vortrag, ich stand vor ihm und hörte zu.

»Warum gerade wir? Wieso?«

»Ha! Das versteht doch jedes Kind! Wir sind von hier, aus Neu-Kuweit! Niemand kann auf die Idee kommen, dass wir Agenten des Imperiums wären. Es gibt keine Beweise.«

»Die Peitsche«, widersprach ich unsicher.

»Wohl kaum… vielleicht hast du sie von Stasj genommen.«

»Stasj hätte es nicht zugelassen, dass wir in den sicheren Tod geschickt werden«, konstatierte ich. »Niemals!«

Lion zuckte mit den Schultern:

»Vielleicht. Aber woher willst du wissen, dass er die ganze Wahrheit kannte? Er ist ein Phag. Das ist strenger als Armee oder Polizei. Das bedeutet nicht einfach Disziplin, sein Gehirn ist darauf ausgerichtet, dass er verpflichtet ist, Befehlen zu gehorchen. Sogar wenn Stasj etwas Verdächtiges bemerkt hätte, was hätte es geändert?«

Ich erinnerte mich daran, wie sich Stasj von uns verabschiedet hatte. Traurigkeit überwältigte mich.

Er hatte wirklich etwas geahnt. Es passte ihm nicht, dass wir nach Neu-Kuweit geschickt wurden. Es gefiel ihm nicht, aber er konnte mit dem Rat der Phagen nicht darüber diskutieren.

»Was sollen wir denn nun machen?«, fragte ich. Lion hatte wirklich alles äußerst schlüssig dargelegt.

»Den Auftrag ausführen«, meinte Lion.


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