„Ich kann nicht in die Badeanstalt. Ich hab' Kopfschmerzen.“ „Mein Kreuz tut mir weh.“
„Ich hab' Reißen im Arm.“
„Lassen Sie die Kranken doch in Frieden. Wir gehen nicht!“ Aber das zog nicht. Die Stimme des Neuen donnerte so eindringlich, daß sogar der vorübergehende Vikniksor beeindruckt dachte: Das wird ein guter Erzieher! Die Schkider fügten sich. Brummend zogen sie in die Kleiderkammer, holten sich frische Wäsche, stellten sich dann still und brav im Saal auf und warteten auf den Erzieher.
Dieser nahm inzwischen in der Vorratskammer seine monatliche Lebensmittelzuteilung als Vorschuß in Empfang. Vikniksor stand wartend bei den Jungen. Er wollte den energischen Neuen noch einmal bewundern. Endlich kam der Erzieher, den Sack mit den Lebensmitteln auf dem Rücken. „Angetreten!“ kommandierte er mit schallender Stimme. Dann trat er etwas verlegen zu Vikniksor. „Viktor Nikolajewitsch“, sagte er halblaut. „Sehen Sie, ich wußte nicht, daß die Schüler heute in die Badeanstalt gehen, und deshalb habe ich keine frische Wäsche bei mir.“
„Na, und?“
„Ja, sehen Sie, und deshalb wollte ich fragen, ob ich vielleicht für einen Tag Anstaltswäsche bekommen könnte. Ich bringe sie selbstverständlich sofort zurück, nachdem ich sie gewechselt habe.“ Das wurde sonst nicht gestattet, aber der Erzieher war so sympathisch, er gefiel Vikniksor so gut, daß er nachgab.
Die Wäsche wurde sogleich herbeigeschafft, und die Schar setzte sich in Marsch. Alles ging glatt.
Gesittet zogen die Schüler paarweise durch die Straßen. Selbst die eingefleischten Radaumacher versagten es sich diesmal, Straßenbahnen und Passanten mit Steinen oder Mist zu bewerten. Lärmend zogen sich die Jungen in der Badeanstalt aus. Dann gingen sie in den Waschraum.
Der Erzieher kletterte als erster auf eine Schwitzbank. Er schien in die Reinigungsprozedur so vertieft zu sein, daß er seine Zöglinge vollständig vergaß.
Die Jungen kleideten sich hernach wieder an, schimpften mit dem Bademeister, bettelten den anderen Besuchern Zigaretten ab und merkten dabei gar nicht, daß der Erzieher weg war. Als es ihnen schließlich auffiel, begannen sie, ihn zu suchen. Sie durchstöberten eifrig die ganze Badeanstalt, aber vergebens. Nachdem sie noch eine halbe Stunde gewartet hatten, gingen sie allein zurück.
Die regellose Horde, die in die Schule einzog, machte Vikniksor wütend. Er war entschlossen, dem neuen Erzieher einen Verweis zu geben. Doch der Neue war nicht da. Auch am nächsten Tage kam er nicht. Vikniksor schüttelte ausgiebig den Kopf.
„So ein primitiver Gauner“, seufzte er niedergeschmettert. „Und dabei sah er doch so sympathisch und anständig aus! Schanzt sich einmal Wäsche zu, holt sich Lebensmittel für einen Monat, badet auf Staatskosten und verschwinde!..“
Aber es war eine nützliche Lektion. Von nun ab sah man den neuen Lehrern genauer auf die Finger.
Die Serie der hoffnungslosen Erzieher war mit diesen beiden nicht zu Ende. Es kamen noch mehr.
Sie gaben einander die Klinke in die Hand und hatten samt und sonders nur ein Ziel: etwas zu verdienen. Der eine schlug sich zu den Lehrern, um sich in der Schule halten zu können, der andere zu den Zöglingen. Der junge Pädagoge Pal Wanytsch, ein Riese mit Pferdemähne und schmaler Nase, zeigte hierbei besonders großes Talent. Vom ersten Tag ab hielt er es mit den Schülern. „Na, wir werden schon klarkommen“, sagte er forsch mit einem aufmunternden Lächeln, als ihm die obere Klasse vorgestellt wurde. „Tatsache, das werden wir“, bestätigten die Jungen. Das „Klarkommen“ begann schon in der ersten Unterrichtsstunde. Gleich nach seinem Eintritt in die Klasse fragte der Erzieher die Jungen, die ihn aufmerksam musterten, nach ihrem Leben. Das Gespräch wollte nicht in Fluß kommen. Die älteren Jungen waren sehr vorsichtig. Um eine Brücke zu schlagen, beschloß Pal Wanytsch, etwas zu riskieren.
„Eure Pädagogen gefallen mir nicht. Sie sind verdammt streng zu den Zöglingen. Keinerlei Kameradschaftlichkeit.“
Die Klasse beschränkte sich auf stummes Erstaunen. Nur Brotkanten knurrte so etwas wie: „Oho!“
Mit der Unterhaltung klappte es noch immer nicht. Alle Jungen hielten den Mund. Der Erzieher ging im Zimmer auf und ab. „Ich bin übrigens ein guter Sänger“, sagte er plötzlich.
„So?“ forschte Zigeuner verwundert.
„Ja. Arien singe ich einigermaßen. Ich bin sogar schon in Laienkonzerten aufgetreten.“
„Ach nee!“ rief Jankel entzückt.
„Singen Sie uns doch etwas vor!“ empfahl Japs.
„Wahrhaftig, tun Sie das!“ unterstützten ihn die anderen.
Pal Wanytsch grinste.
„Ich soll singen? Hm… und der Unterricht?“ „Den machen wir hinterher. Der läuft uns nicht weg“, meinte Mamachen beruhigend. Er schätzte die Schulstunden sowieso nicht besonders.
„Na gut, meinetwegen“, gab der Erzieher nach. Er wischte sich die Stirn. „Aber was soll ich singen?“ forschte er mit gerunzelter Stirn.
„Egal! Was aus einer Oper!“ drängten ungeduldige Stimmen. „Eine Arie!“
„Eine Arie! Eine Arie!“
„Gut. Dann singe ich die Lenski-Arie aus der Oper 'Eugen Onegin'“.
„Einverstanden?“
„Los!“
„Immer ran!“
Pal Wanytsch räusperte sich und fing halblaut an:
Er sang nicht schlecht. Seine weiche Stimme brachte die Melodie klar heraus, und als die letzten Töne verklungen waren, spendete die Klasse stürmischen Applaus.
Nur Mamachen war mit der Arie nicht zufrieden.
„Lieber Pal Wanytsch! Schmettern Sie mal was Lustigeres.“
„Ja, Pal Wanytsch! Ein Liedchen!“
Der Lehrer versuchte zu protestieren, aber es blieb ihm nichts anderes übrig als nachzugeben.
„Was soll ich mit euch machen, ihr Banditen! Na schön. Ich will euch ein Studentenlied aus meiner Universitätszeit vorsingen.“ Er räusperte sich wieder, schlug mit dem Fuß den Takt und trällerte nach einer ausgelassenen Melodie:
Die Klasse wieherte vor Vergnügen.
„Das ist prima!“ jauchzte Mamachen begeistert. „Runde Rüben!“ Der feurige Rhythmus des Liedes riß die Zöglinge mit. Brotkanten sprang auf und wirbelte in einem russischen Tanz durch die Klasse. Pal Wanytsch fuhr fort:
Die Jungen waren außer Rand und Band. Sie klatschten in die Hände, trommelten auf den Bänken den Takt und pfiffen gellend. Dröhnend fielen sie in den Refrain ein:
Plötzlich schrillte die Klingel. Das Lied brach ab. Der Unterricht war beendet.
Im Triumph wurde Pal Wanytsch aus der Klasse geleitet. „Das ist eine Sache! Das ist unser Mann!“ Hingerissen stellte sich Jankel auf die Zehenspitzen und klopfte dem Lehrer freundschaftlich auf die Schulter.
„Ihre Unterrichtsstunden sollten wir häufiger haben.“ „Wir mögen Sie gerne leiden, Pal Wanytsch!“ machte Japs seinen Gefühlen Luft. „Jetzt sind Sie unser Freund. Unser Blutsbruder, kann man schon sagen.“
Durch diesen Erfolg ermutigt, lächelte Pal Wanytsch herablassend. „Wir werden unser Leben jetzt genießen, Jungens. Ich gehe auch mit euch ins Theater.“