Japs verzog schmerzhaft das Gesicht, stampfte aber unverdrossen weiter.

„Verdammt! Eine Viertelstunde drehen wir uns schon auf dem gleichen Fleck!“ stellte er verblüfft fest.

Der Walzer wurde von einem Foxtrott abgelöst, der Foxtrott von einem Tango.

Allmählich brandete die Fröhlichkeit über die kühlen, weißen Saaltüren hinaus.

Gerade als die Schkider in fessellosem Feuer einen Krakowiak mit den durchlöcherten Staatsstiefeln aufs Parkett hämmerten, tat sich die Tür auf, und Vikniksor stand auf der Schwelle. „Jungens!“

Erschrocken jaulte der Flügel auf und verstummte mitten im Akkord. Die Paare stutzten, hörten auf zu stampfen und machten halt. Der Direktor machte ein merkwürdig feierliches Gesicht. „Jungens!“ wiederholte Vikniksor, nachdem es vollkommen still geworden war. „Kommt sofort alle in den Eßraum. Wir wollen eine allgemeine Schulversammlung abhalten.“

Aufgeregt summten die Stimmen in dem halbdunklen Eßraum. Es roch nach Seehundstran.

Die kahlrasierten Köpfe drehten sich eifrig hin und her, und auf allen Gesichtern stand die Frage: Was ist geschehen? Eine Schulversammlung war für die Schkider etwas Neues. Das erlebten sie zum erstenmal. Alle warteten ungeduldig auf Vikniksor. Was würde er sagen? Endlich trat der Direktor ein. Minutenlang betrachtete er die Kinder, dann winkte er einen Erzieher heran.

„Sergej Iwanowitsch!“ sagte er laut. „Sie sind heute Schriftführer. Die Jungen wissen mit der Selbstverwaltung noch nicht Bescheid.“ Schweigend nahm der Erzieher Platz, legte ein Blatt Papier vor sich hin und wartete ab. Vikniksor kratzte sich nachdenklich hinter dem Ohr. Dann richtete er sich auf.

„Kinder!“ begann er. „Bisher herrschte in unserer Schule noch kein richtiges Leben…“ Er unterbrach sich. „Moment, ich hab' den Anfang vergessen. Also, hiermit erkläre ich die erste allgemeine Schul-versammlung für eröffnet. Heute werde ich den Vorsitz führen, und Sergej Iwanowitsch schreibt das Protokoll. Auf der Tagesordnung steht mein Vortrag über die Selbstverwaltung der Schule. Ich beginne.“ Die Schkider schwiegen argwöhnisch. Sie warteten ab, was ihr Steuermann ihnen zu sagen hatte.

„Ich bitte um Aufmerksamkeit. Was ist unsere Schule? Sie ist eine kleine Republik.“

„Wohl eher eine Monarchie“, flüsterte Japs ironisch dazwischen. „Unsere Schule ist eine Republik, aber in einer Republik hat das Volk immer die Macht in der Hand. Bei uns war das bisher noch nicht der Fall. Einerseits hatten wir die Zöglinge, andererseits die Erzieher, die ich leitete. Dadurch wurde unsere Verfassung gewissermaßen gestört.“

„Richtig!“ rief eine unterdrückte Stimme aus dem Rudel der Schkider. Vikniksor runzelte drohend die Stirn, beherrschte sich aber.

„Jetzt wird das anders“, fuhr er fort. „Ich möchte euch meinen Plan auseinandersetzen. Die Schule muß mit dem Leben Schritt halten, und darum wollen wir in unserem Kollektiv die Selbstverwaltung einführen.“

„Oho!“

„Prima!“

Die Schkider waren verblüfft.

„Ja, die Selbstverwaltung. Ist euch dieses Wort etwa unbekannt? Ich will euch das System der Selbstverwaltung erläutern. Heute wählen wir die Ältesten aus für die Klassen, die Schlafräume, die Küche und die Garderobe. Sie sind verpflichtet, die Diensthabenden zu bestimmen, und zwar für einen Tag. Heute hat der erste Dienst, morgen der zweite, übermorgen der dritte und so weiter. Auf diese Weise werdet ihr im Laufe der Zeit alle in das gesellschaftliche Leben der Schule einbezogen. Verstanden?“

„Natürlich!“

„Gut. Die Ältesten wählen wir für einen Monat oder für zwei Wochen. Aber damit ist es noch nicht getan. Die Küchen- und Garderobenältesten müssen kontrolliert werden. Hierzu wählen wir drei Revisoren, deren Arbeit ich kontrollieren werde. Einverstanden?“

„Klar! Einverstanden!“ klang es zurück.

„Auf diese Weise haben wir die Möglichkeit, Diebstähle und sonstige Unredlichkeiten zu verhindern.“

„Aha! Richtig!“

Vikniksor fühlte sich äußerst wohl in seiner Haut. Es kam ihm vor, als hätte er eine richtige Heldentat, eine diplomatische Meisterleistung vollbracht. Es drängte ihn zu weiteren Verkündigungen. „Außerdem wird der Pädagogische Rat den Ältestenrat einberufen, damit die von euch gewählten Schülervertreter alle wesentlichen Maßnahmen für die Schule und ihre weitere Arbeit gemeinsam mit uns erörtern können.“

Die Schkider waren tief beeindruckt. Rufe und Antworten verschmolzen zu einem wilden Gebrüll. „Hurraaa!“

Vikniksor schritt bereits zum Wahlgang. Wie bei einer Versteigerung rief er die zu vergebenden Posten aus, und die Jungen antworteten in vielstimmigem Geschrei mit den Namen der Kandidaten. „Küchenältester. Wen schlagt ihr vor?“ rief Vikniksor. „Jankel!.. Zigeuner!“

„Jankel Tschornych!“

„Tschornych soll Ältester werden!“

„Wer ist für Tschornych? Gebt das Handzeichen! Wer ist dagegen? Niemand. Also einstimmig angenommen. Tschornych — du bist Küchenältester.“

Es hatte bereits zum Schlafengehen geklingelt, aber die Versammlung schlug weiter hohe Wellen der Erregung. Mitternacht war schon längst vorüber, als Vikniksor endlich aufstand. „Alle Posten sind vergeben“, erklärte er. „Es ist schon lange Schlafenszeit.“ Er ging zur Tür, aber da fiel ihm etwas ein, und er wandte sich noch einmal zurück. „Hiermit schließe ich die Versammlung. Übrigens habt ihr in der letzten Zeit reichlich viel Skandal gemacht, Kinder, und deshalb habe ich beschlossen, für die unverbesserlichen Sünder den Karzer einzuführen. Verstanden? Und jetzt marsch ins Bett.“

„Da habt ihr eure Verfassung!“ hetzte Japs hinter Vikniksor her. Doch der Direktor hörte ihn nicht mehr.

„Hoch Vikniksor! Er ist doch ein feiner Kerl!“ meinte Jankel begeistert. Er witterte allerhand Annehmlichkeiten in seinem Amt als Küchenältester. „Ja, großartig!“

„Jetzt sind wir gleichberechtigte Bürger.“

„He, Bürger Vikniksor, Platz gemachtl Ein Bürger der Schkid kommt!“ Japs blieb bei seiner Skepsis.

Vikniksors neues Gesetz wurde überall diskutiert — im Schlafraum, in den Klassenzimmern, in der Toilette.

Vergebens rackerte sich der arme Alnikpop ab, um seine aufgeregten Zöglinge zu beruhigen und ins Bett zu expedieren. Die Schkider jubelten. Nur Japs spuckte Gift und Galle.

„Ihr Dummköpfe!“ schrie er mit dem beleidigten Gesicht eines verkannten Wahrsagers. „Ihr laßt euch übers Ohr hauen! Ja, ein Parlament habt ihr bekommen, aber gleichzeitig auch das Zuchthaus!“ Er meinte die Ältesten und den Karzer.

„Stänker doch nicht immer!“ widersprachen seine Kameraden empört, aber Japs ließ sich nicht beirren.

„Oh, großes Volk der Schkider!“ Mit dramatischer Geste hob er die Arme. „Du bist verblendet! Man hat dich verhext! Ich beschwöre euch, ihr Schkider, traut Vikniksors Worten nicht, denn auch er kann euch betrügen!“

Japs hatte bisher gegen jeden neuen Einfall Vikniksors opponiert und war stets ein erbitterter Gegner aller Lehrer gewesen. Früher hatte er die meisten Jungen auf seiner Seite gehabt, aber jetzt hörte kaum jemand auf ihn. Die Schkider nahmen die Verfassung als beglückendes Geschenk.

DER GROSSE WUCHERER

Die Spinne * Toileftenklubs * Siebzehn-und-vier * Sklaverei in der Schkid * Die Opposition * Häkchen vor den Namen * Sawuschkas Tobsuchlsanfall * Tod dem Brolkönig!

Slajonow war ein kleiner, dicker Bursche mit einem glatten, fettglänzenden Gesicht'und einem genauso fettig wirkenden Lächeln. Er sah wie eine satte, zufriedene Spinne aus.

Niemand interessierte sich dafür, woher es ihn in die Schkid verschlagen hatte. Jedenfalls kroch er wie eine Spinne in die Schule — verstohlen, vorsichtig, von keinem bemerkt.

Er kam während des Mittagessens, setzte sich schnuppernd auf die Bank, musterte seine Nachbarn und verwickelte sie in ein Gespräch. „Bei euch gibt es wohl schlecht zu essen, was?“


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