SCHKID. Die republik der strolche i_016.png

Es war ein großartiges Erholungsheim.

Es war ein großartiges Erholungsheim, fast unberührt von der Zeit, vom Zerfall der vergangenen Jahre. Die Ortseinwohner hatten die Villa, die einem Grafen oder Fürsten gehört haben mochte, offensichtlich zwar mehrfach heimgesucht, sich dabei aber mit einigen ausgehängten Türen und Fenstern sowie abgeschraubten Kupferklinken begnügt. Alles andere war erhalten geblieben — sogar ein verstaubtes, verstimmtes Klavier stand noch in einem Zimmer.

Schnell gewöhnten sich die Schkider an ihr neues Heim. Es stand auf einer Anhöhe. Auf der einen Seite führten die Schienen der Oranienbaumer Straßenbahn vorbei. An den anderen Seiten wurde das Grundstück von einem Park begrenzt und von einem Wald, der sich bis ins Tal hinabzog.

In der Nähe lag ein Teich — ein Hauptanziehungspunkt im Sommer. Die Schkider badeten vom Morgen bis zum späten Abend, zuweilen sogar nachts, wenn ihnen die Hitze besonders zugesetzt hatte. Dann schlichen sie heimlich, auf Zehenspitzen, zum Teich und tauchten in das warme, aber erfrischende Wasser.

Auch hier versuchte Vikniksor, ein bestimmtes System einzuführen. Gleich in den ersten Tagen stellte er einen Plan auf: morgens Gymnastik im Freien, dann Unterricht bis zum Mittagessen, danach Baden, Freizeit und abends noch einmal Gymnastik.

Doch der Plan scheiterte an der Gymnastik. Die Schkider durften aus Sparsamkeitsgründen im Sommer keine Stiefel tragen und weigerten sich, barfuß Gymnastik zu machen, weil überall Glassplitter herumlagen.

Der Unterricht fand zwar statt, aber die Lehrer wurden dauernd mit Bitten bestürmt, wie: „Darf ich austreten?“ — „Ich kann das Stillsitzen nicht mehr aushalten!“

Wurde der Betreffende weggelassen, dann rannte er zum Teich, zog sich unterwegs Hemd und Hose aus und badete stundenlang, alles um sich her vergessend.

Wie die Blätter eines Abreißkalenders flogen die schönen Sommertage davon.

Eines Tages, als die Mittagssonne Körper und Gesicht versengte, holten Jankel, Japs und Spatz einen Eimer Wasser und stiegen auf den Dachboden, um sich gegenseitig zu begießen. Auf dem Boden war es stickig. Die Jungen kletterten zum Dach hinauf. Dort lag Elanljum und nahm ein Sonnenbad. „Was meint ihr, Leute, wollen wir Elanljums Methode nicht auch einmal versuchen?“ schlug Jankel vor. „Ja, los!“

Entzückt von dem Einfall, zogen sich die Jungen aus und legten sich in die Sonne.

„Herrlich ist das“, murmelte Spatz und rekelte sich faul. „Ja, wirklich“, bestätigten die anderen.

Die übrigen Jungen folgten ihrem Beispiel, und bald wurde das Sonnenbad auf dem Dach die Lieblingsbeschäftigung der Schkider. Allmählich zog die Langeweile bei ihnen ein. Sie verloren die Lust, mit Kamel durch die Felder zu streifen und seine begeisterten Vorträge über das Vergißmeinnicht anzuhören, Frösche oder Würmer zu fangen und im Heim herumzuschlendern. Selbst das Baden machte ihnen keinen Spaß mehr.

Die Jüngsten kletterten zwar noch immer mit Vergnügen auf die Bäume, fuhren mit der Straßenbahn oder jagten mit Pfeil und Bogen Krähen. Aber die Großen hatten jegliches Interesse daran verloren. Sie dürsteten nach neuen Taten.

Im Winter, als sie in der Stadt ihre Aufgaben büffeln mußten, hatten sie sich nach dem warmen Sommer gesehnt. Doch nun wußten sie nicht, wie sie die Zeit totschlagen sollten. Unterdessen lächelte die Sonne weiterhin fröhlich vom strahlenden Himmel herab, durchglühte das Eisendach und brachte Schwüle und gelangweilte Faulheit in das still gewordene Erholungsheim. „Zu langweiligl“ murrte Japs niedergeschlagen. Der Tag neigte sich zum Abend. Graue Wolkenfetzen schoben sich vor die rote Sonnenscheibe. Es dämmerte. Vom Wald zog feuchte Kälte heran. Die Schkider saßen schweigend auf dem Dach, fröstelten im Wind und lauschten gebannt Schielauges Berichten über seine Studentenzeit.

„Manchmal veranstalteten wir abends Trinkgelage, daß es bis zum Himmel schallte. Ich weiß noch, daß wir zuerst Lieder schmetterten, dann auf die Straße gingen und…“

Schielauges Stimme klang heiser. Er hatte sich wohl in der Abendluft erkältet. Hingerissen verbreitete er sich über großartige Streiche, Liebesabenteuer und Zechereien. Die Schkider hörten atemlos zu. Nur selten unterbrachen sie den Redefluß ihres Lehrers mit begeisterten Ausrufen: „Donnerwetter!“ — „Tolle Burschen!“ Es wurde dunkel. Unten läutete die Glocke. „Verdammt, schon Schlafenszeit!“ brummte Spatz. Die Jungen suchten ihre Sachen zusammen. Schielauge stand widerstrebend auf. Er hatte heute Dienst und mußte die Jungen zu Bett bringen. Aber niemand war müde.

„Vielleicht bleiben wir noch ein Weilchen hier sitzen?“ schlug Jankel zögernd vor.

„Nein, nein, Jungens“, protestierte der Prophet. „Das geht nicht. Wenn Vikniksor etwas merkt, bekomme ich einen Anschnauzer. Gehen wir in den Schlaf räum. Gebt mir aber vorher noch was zu rauchen.“ Die Jungen holten Machorka hervor, und während sich Schielauge eine Zigarette drehte, kletterten sie nacheinander vom Dach. „Kommen Sie doch auf einen Plausch zu uns, wenn Sie die Kleinen ins Bett gebracht haben“, schlug Zigeuner vor. „Gut, mache ich.“

„Netter Kerl!“ sagten die Jungen, als sie sich im Schlafraum auszogen.

Seit einiger Zeit waren Schielauge und die Großen nahezu unzertrennlich. Sie rauchten zusammen, sie klatschten über den Direktor und seine Assistentin. Die Jungen sahen Schielauge vollständig als ihresgleichen an. Für sie war er nicht mehr der Lehrer. Trotz der späten Nachtstunde lagen die Jungen noch wach und plauderten leise miteinander. Schielauge hatte die Kleinen schnell zu Bett gebracht, saß seitdem rauchend bei den Großen auf dem Bett und erklärte ihnen, wie er sich die künftige Arbeit vorstellte. „Ihr werdet euren Spaß haben, Jungens. Wir wollen gemeinschaftlich arbeiten. Ich setze mich mit dem Observatorium in Verbindung, damit wir uns mit Astronomie befassen können.“

„Das sparen Sie sich ruhig“, wehrte Japs gelangweilt ab. „Was?“ Schielauge machte ein erstauntes Gesicht. „Das mit dem Observatorium.“

„Warum?“

„Weil Sie bloß davon quatschen. Bisher haben Sie nichts getan als Versprechungen gemacht.“

„Na, und? Was ich versprochen habe, halte ich auch. Ich bin kein Lügner. Wir gehen bestimmt dorthin. Das ist doch hochinteressant. Wir sehen uns den Sternhimmel durch ein Teleskop an…“ Jankel hatte bisher geschwiegen.

„Ich hab' Hunger“, sagte er jetzt seufzend und fragte Schielauge: „Sie auch?“

„Was?“

„Ob Sie Kohldampf haben!“

„Allerdings…“ Schielauge stockte. „Ziemlichen sogar, ehrlich gesagt. Warum fragst du danach?“ Jankel grinste.

„So ist das Leben!“ meinte er dann ausweichend. „Da möchte man seinen geliebten Lehrer mit einem nahrhaften Essen bewirten und darf es nicht.“

„Wieso nicht?“ erkundigte sich Schielauge interessiert. „Eigentlich ginge es nämlich, aber…“, murmelte Japs zögernd. „… aber dazu braucht man eine gewisse Fingerfertigkeit und so weiter“, ergänzte Jankel. Er blickte zur Decke empor. „Ach so!“ Schielauge begriff. „Wo ist es denn?“

„Was?“

„Das Essen.“

„In der Küche.“

Die Jungen kamen in Bewegung. Sie umdrängten Schielauge und weihten ihn eifrig in ihre Pläne ein.

„Wissen Sie, das übriggebliebene Essen wird von Marta immer im Bratofen verwahrt. Heute ist noch eine ganze Menge da. Wir könnten uns alle satt essen, Sie auch. Bis morgen wird das Essen sowieso sauer. Wir würden die Sache im Handumdrehen erledigen, Sie müßten nur an der Tür Schmiere stehen.“ Schielauge hörte mit furchtsamem Grinsen zu, brach dann in schallendes Gelächter aus und schlug Zigeuner auf die Schulter. „Gut, ihr Teufel! Ich mache mit.“

„Na bitte! Ich habe es doch schon immer gesagt!“ Jankel verschluckte sich beinahe vor Entzücken. „Sie sind gar kein Lehrer, Afanassi Wladimirowitsch, sondern ein ganz geriebener Kunde.“ Der Raubzug wurde genau organisiert. Zigeuner, Japs und Jankel schlichen auf Zehenspitzen in die Küche, während Schielauge einen Rundgang durch das Heim machte und bei seiner Rückkehr mit einem leisen Pfiff bekundete, daß alles ruhig sei.


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