Mittlerweile habe ich eine neue Pflegefamilie für Napirai gefunden. Es ist ein Ehepaar mit einem gleichaltrigen Mädchen. Obwohl die Kleine zu Beginn nicht sehr begeistert war, die Aufmerksamkeit ihrer Mutter mit jemand anderem teilen zu müssen, sind die beiden inzwischen dicke Freundinnen. Ich bewundere diese Mutter, mit welcher Geduld und Ausdauer sie mit den Kindern bastelt, malt, ihnen Geschichten erzählt oder im Garten mit ihnen Pflanzen eingräbt. Oft ist meine Tochter nur schwer aus dem Spiel zu reißen, wenn ich sie abhole. Aber schließlich möchte ich mein Kind selbst noch für ein paar Stunden genießen. Häufig warten auch die Nachbarsmädchen auf sie. Manchmal schlafen alle bei uns und ich begnüge mich damit, auf dem Sofa zu nächtigen. Ein Heidenspaß ist es, wenn alle in einer Wanne baden.

Auch Napirais Geburtstage sind sehr gefragt. Da treffen sich jedes Mal an die zwölf Kinder und einige Erwachsene auf unserer Terrasse und wir veranstalten eine Kinderparty. Natürlich wird alles schön dekoriert und ich organisiere verschiedene Spiele. Es wird gegrillt und mein Nudelsalat findet reißenden Absatz. An Napirais Geburtstag nehme ich mir jedes Mal frei, komme was wolle.

An diesem Tag erinnere ich mich immer an die aufregende Geburt im Missionsspital in Wamba. Meine Freundin Sophia, die gleichzeitig mit mir ihr erstes Kind erwartete, und ich waren die Sensation für die Einheimischen. Vor uns hatten in diesem Spital noch nie weiße Frauen Kinder zur Welt gebracht und natürlich wurden wir besonders neugierig beobachtet. Als dann meine Wehen begannen und ich im »Gebärsaal« lag, waren die Plätze an den scheibenlosen Fenstern bei den schwarzen Frauen sehr begehrt. Allerdings waren meine Wehen so stark, dass ich davon nicht viel mitbekam. Erst als mein Mädchen endlich geboren war, erlebte ich bewusst, wie Sophia hereinstürzte, um mir zu gratulieren, und dabei eine brennende Zigarette im Mund hatte, während ich noch im Gebärstuhl lag und ohne Betäubung genäht wurde. Ja, denke ich, das können sich die Frauen hier in der Schweiz nicht vorstellen, und wann immer ich davon berichte, staunen sie.

Im Übrigen fällt mir immer häufiger auf, dass die Frauen förmlich an meinen Lippen hängen, wenn ich von meiner ehemaligen Liebe und dem damit verbundenen Leben erzähle. Oft kommt es vor, dass wir einen geplanten Ausflug verschieben und zu Hause hängen bleiben, damit ich aus meinem Leben bei den Samburu erzählen kann.

Scheidung von Lketinga

Während eines erneuten Treffens in der Gruppe der allein Erziehenden erzählt eine Teilnehmerin von ihrer kürzlich überstandenen Scheidung, die sich Jahre hingeschleppt hatte. Ich frage nach, wie so etwas in die Wege geleitet wird, da ich keine Ahnung habe. Allmählich verspüre auch ich den Wunsch, »reinen Tisch« zu machen und mich um meine eigene Scheidung zu kümmern. Ich rufe, wie mir geraten wurde, den zuständigen Friedensrichter an und schildere meine Situation, wobei ich erwähne, dass ich meinen Mann bereits drei Jahre nicht mehr gesehen habe. Auf Grund meiner Erzählungen sowie der Tatsache, dass Lketinga irgendwo in Kenia lebt und wir keinen persönlichen Kontakt herstellen können, erübrigt sich das normale Ehegespräch. Er wird mir die Formulare zuschicken, damit ich die Scheidung einreichen kann. Zum Schluss fügt er hinzu, dass ihm solch eine Situation noch nie untergekommen sei und er sich erst informieren müsse, wie man das regeln kann. Als ich die Formulare Tage später studiere, bin ich erleichtert, wie einfach das Ganze zu sein scheint. Allerdings überrascht es mich, dass auch Auskunft über meine Jugendzeit, die Familie, ja sogar über meine Geschwister verlangt wird. Alle Schulen müssen aufgelistet und Angaben zum heutigen Arbeitsverhältnis gemacht werden. Dann sollen Auskünfte zur Beziehung erfolgen, unter anderem wo, wann und in welchem Alter man sich kennen gelernt habe. Na ja, da habe ich so einiges aufzuschreiben. Die Spalte, in der man die Geldforderungen für das Kind angeben soll, streiche ich durch und erkläre, dass ich auf jede Unterstützung verzichte. Wie sollte Lketinga Unterhalt zahlen, wenn ich doch seiner Familie von hier aus, wenn es möglich ist, etwas Geld zukommen lasse? Dann stecke ich alles in einen Briefumschlag und schicke ihn in gespannter Erwartung ab. Verlieren kann ich ja nicht viel, denke ich mir dabei.

Die Freizeit während des Sommers verbringen wir mit verschiedenen Aktivitäten. Einmal kommt Madeleine mit einem Inserat zu uns, in dem eine Busfahrt nach Südtirol mit dreitägigem Aufenthalt in einem Hotel mit Schwimmbad angeboten wird. Da wir nicht viel Geld zur Verfügung haben und dieses Angebot sehr günstig ist, melden wir uns an. Hauptsache wir sind ein paar Tage weg. Schon beim Besteigen des Busses merken wir, dass wir mit Abstand die jüngsten Teilnehmer sind, von den Kindern ganz zu schweigen. Napirai fragt prompt in für alle hörbarer Lautstärke: »Mama, warum gehen nur Omas in die Ferien?« Ich erkläre ihr, dass ältere Menschen viel Zeit für Ferien haben, weil sie nicht mehr arbeiten müssen. Mir fällt nichts Besseres ein. Während der Fahrt tragen unsere Kinder zur Unterhaltung aller Reisenden bei. Vor allem Napirai sitzt mal hier, mal dort bei einer Oma und alle freuen sich. Es werden drei quirlige Tage, die nicht viel kosten, an denen die Kinder aber voll auf ihre Kosten kommen.

Ein anderes Mal besorge ich mir das uralte Zweierzelt meiner Mutter und fahre mit meiner Tochter zu dem nicht allzu weit entfernten Walensee zum Zelten. Es ist ein einfacher Campingplatz mitten im Wald. Wir haben das kleinste und lustigste Zelt und bauen es auf einer kleinen Anhöhe auf. Ich ziehe einen schmalen Graben außen herum, wie ich das in Kenia um die Manyatta tat, damit bei Regenfällen das Wasser einigermaßen ablaufen konnte. Die Mühe hat sich gelohnt. In der Nacht tobt ein heftiges Gewitter über den See. Napirai und ich liegen auf dem Bauch und schauen uns das Spektakel aus dem kleinen Zelt an, da an Schlafen bei dem Donner sowieso nicht zu denken ist. Die Blitze zucken lang gezogen über den See und erhellen für kurze Momente die ganze Umgebung. Wir sind fasziniert. Tags darauf ist es schwierig, trockenes Feuerholz für unsere Würstchen zu finden. Der Boden ist tropfnass und viele Zelte sind abgebrochen und verschwunden. Aber wir geben nicht auf und werden gegen Mittag mit den ersten Sonnenstrahlen belohnt. Später sammle ich dürre Äste von den Bäumen, da diese am schnellsten in der Luft getrocknet sind. Tatsächlich haben wir bald unser Feuer und kurz darauf das verspätete Mittagessen. Napirai freut sich sichtlich darüber, mit ihrer Mama so herumhängen zu können.

Als ich nach den Sommerferien wieder zur Arbeit komme, eröffnen mir meine Arbeitgeber, dass sie sich trennen und der Firmensitz verlegt wird. Für mich bedeutet das, dass ich nun für die Bestellungsbesprechungen nicht mehr schnell vorbeigehen kann, sondern einige Stunden Anfahrt in Kauf nehmen müsste. Ich bin nicht begeistert, weil mir dadurch viel Zeit mit Napirai verloren geht, und teile ihnen mit, dass ich unser Arbeitsverhältnis neu überdenken müsse.

Zu Hause suche ich die Visitenkarte des Außendienstchefs der Firma, die T-Shirts vertritt, und rufe dort an, allerdings ohne mir große Hoffnungen zu machen, dass er sich noch an mich erinnern kann. Er ist jedoch sehr erfreut und wir vereinbaren einen Termin in der Firma. Als ich einige Tage später das Gebäude betrete, bin ich beeindruckt, wie gepflegt und professionell alles aussieht. Die großen Maschinen, mit denen im Siebdruckverfahren die unterschiedlichen Motive auf die T-Shirts gedruckt werden, faszinieren mich. Auch die Stickerei-Abteilung ist interessant. Bei einer Tasse Kaffee sprechen wir natürlich auch über die Verdienstmöglichkeiten. Der Grundlohn bliebe in diesem Job in etwa gleich, aber ich bekäme eine höhere Provision und dazu noch pauschales Spesengeld. Alles in allem hätte ich einiges mehr als jetzt. Der Fall ist sofort klar und wir vereinbaren, dass ich so schnell wie möglich anfangen werde.


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