Als sie mir anschließend vorhersagt, dass ich demnächst einen großartigen Mann kennen lernen werde, beruhigt mich das auch nicht. Mir ist nicht nach einem Mann zumute und so antworte ich leicht unwirsch: »Ach hören Sie auf! Ich habe keine Zeit für eine Beziehung. Im Moment erst recht nicht, weil ich ständig unterwegs bin und von meiner >alten< Liebe schwärme. Da würde eine neue Liebe schlecht dazu passen. Und wenn ich nach Hause komme, wartet meine Tochter auf mich. Nein, nein, da täuschen Sie sich!« Energisch erwidert sie: »Meine Karten lügen nie! Und überhaupt, was heißt kennen lernen. Diesen Mann kennen Sie schon lange. Der steht sozusagen bereits vor Ihrer Tür!« Jetzt muss ich lachen und sage: »Ach was, ich kenne keinen Mann, in den ich mich plötzlich verlieben könnte.« Dieses Thema interessiert mich nun nicht mehr, stattdessen möchte ich lieber noch mehr über diese Demonstranten wissen. Doch sie winkt ab und meint: »Einfach aufpassen, dann geht alles gut. Sie machen schon das Richtige.« Die Zeit ist um und ich fahre nach Hause. Dort bespreche ich die Angelegenheit mit meiner Mutter und sage ihr auch, dass sie noch aufmerksamer auf Napirai achten soll.
Zwei Tage später fahre ich zur zweiten Lesung nach Bern. Auch diesmal ist die Buchhandlung überfüllt. Vor dem Eingang demonstrieren die gleichen Leute wie schon zuvor im Zürcher Oberland. Aber diesmal lasse ich mich nicht auf eine sinnlose Diskussion ein, denn ich brauche meine Energie für die vielen Menschen, denen ich Freude schenken möchte. Es wird trotz allem ein schöner, sehr langer Abend, weil die Zuhörer viele Fragen haben und natürlich auch über die möglichen Anliegen der Demonstranten mit mir debattieren. Spät abends gehe ich in mein Hotel und freue mich auf die morgige Heimreise.
Neue Liebe
Napirai ist auch am kommenden Tag mit ihrer Großmutter unterwegs, da ich abends eine Einladung habe. Meine Kollegin Hanni kocht thailändisch und hat dazu verschiedene Leute eingeladen. Gegen Mittag bin ich wieder aus Bern zurück und das lange Warten bis zum Abend fällt mir auf einmal enorm schwer. Mein Kind ist nicht da, geschlafen habe ich auch schlecht und meine Gedanken drehen sich immer wieder um die afrikanischen Frauen, von denen ich nach wie vor nicht weiß, was sie eigentlich wollen. Gegen drei Uhr halte ich es zu Hause nicht mehr aus und setze mich in meinen Wagen, ohne ein bestimmtes Ziel zu haben. Ich muss einfach raus! Es wird mir klar, dass ich heute unmöglich zu Hanni gehen kann. Wenn ich nur daran denke, wieder in einem geschlossenen Raum zu sitzen, überfällt mich eine Art Platzangst. Ich rufe sie an und gegen meine sonstige Gewohnheit teile ich ihr mit, dass ich leider nicht kommen kann. Als sie enttäuscht nach dem Grund fragt, kann ich ihr, so komisch sich das auch anhört, keine plausible Erklärung bieten. Nachdem ich aufgelegt habe, fahre ich ziellos durch die Gegend. Obwohl es schon Anfang März ist, fallen große Schneeflocken. Automatisch fahre ich in Richtung Rapperswil und plötzlich fällt mir Irene, die blonde, energische Frau von der Lesung, wieder ein. Hier irgendwo in der Gegend muss sie mit ihrem Mann und ihren drei Kindern leben. Sie kam später noch einmal zu einer meiner Lesungen und dabei tauschten wir Visitenkarten aus. Ich halte am Straßenrand und suche nach ihrer Karte. Ich weiß nicht, was mich treibt, aber ich rufe bei ihr an. Sie ist hocherfreut und beschreibt mir den Anfahrtsweg zu ihrem Haus. Bei dichtem Schneetreiben komme ich bei ihr an und schlage ihr statt eines Kaffees erst mal einen gemeinsamen Spaziergang vor. Erstaunt willigt sie ein. Als sie meine Unruhe bemerkt und sich nach dem Grund erkundigt, erzähle ich ihr von den Ereignissen. Auch sie versteht die Welt nicht mehr und empört sich: »Was, du und die Massai beleidigen! Die haben dein Buch nicht gelesen, geschweige denn verstanden. Ich kenne jeden Satz und kann nicht die geringste Spur einer Beleidigung erkennen. Unmöglich, du beschreibst ja nur dein Leben!« Während unseres Spaziergangs erregt sie sich immer wieder aufs Neue.
Mittlerweile ist es kalt geworden und der Schnee treibt uns ins Gesicht. Wir laufen zu ihrem Haus zurück und trinken heißen Tee. Sie lädt mich spontan zu einem Raclette ein, doch Hunger habe ich nicht und erzähle lachend, dass dies schon die zweite Einladung für heute Abend wäre. »Nein, ich gehe noch irgendwo ein Glas Wein trinken und dann ab nach Hause. Heute bin ich einfach komisch drauf.« Netterweise will sich Irene anschließen und da ich mich in der Umgebung nicht auskenne, bitte ich sie um einen Vorschlag. Mit zwei Autos fahren wir los. Obwohl es erst sieben Uhr ist, ist es stockdunkel und durch das Schneegestöber erkenne ich kaum die Straße. Sie fährt durch ein kurvenreiches Waldstück und ich beginne schon zu zweifeln, ob in dieser Gegend noch etwas Unterhaltung vorzufinden ist, als wir plötzlich vor einem alten Bauernhaus mit Restaurant und Barbetrieb parken. Unglaublich, das hätte ich alleine nie gefunden! Wir betreten die Bar und natürlich ist um diese Zeit noch niemand da. Wir setzen uns an einen Bistrotisch und bestellen einen Drink.
Gerade möchte sie mir aus ihrem Leben erzählen, als sich die Tür öffnet und ein gut aussehender Mann hereinkommt. In dem diffusen Licht bleibt mein Blick an seinen strahlenden Augen hängen, die mich unverfroren anstarren. Ich wende mich wieder Irene zu, um mich weiter mit ihr zu unterhalten, als plötzlich jemand hinter mir sagt: »Das gibt es ja nicht! Die berühmte Corinne! Wie kommst du denn in diese verlassene Gegend?« Noch bevor ich mich richtig umgedreht habe, erkenne ich die Stimme von Markus, meinem ehemaligen Mitschüler. Nun schaue ich ihm direkt in die Augen und muss feststellen, dass er, obwohl sein Haar etwas lichter geworden ist, nichts von seiner guten Erscheinung und seiner Ausstrahlung eingebüßt hat.
Ich möchte ihm Irene vorstellen, doch die beiden sind sich in dieser Bar schon des Öfteren begegnet. Zur Begrüßung küssen wir uns wie selbstverständlich auf beide Wangen. Er gratuliert mir zu meinem Bucherfolg und ich frage überrascht, warum er um diese Zeit in einer so versteckten Bar anzutreffen sei. Eigentlich, erklärt er, habe er seit drei Tagen krank im Bett gelegen, aber weil ihm die Decke schon fast auf den Kopf gefallen sei, habe er spontan den Entschluss gefasst, hier auf einen Drink vorbeizukommen. Ich möchte von ihm wissen, warum er bei meinem Fernsehauftritt vor einem halben Jahr als Zuschauer am Telefon so vorwurfsvolle Fragen gestellt habe. Er lacht und antwortet: »Vergiss es einfach, es hatte etwas mit mir persönlich zu tun. Aber das ist eine lange, unschöne Geschichte und dafür ist dieser Abend, jetzt nachdem ich euch getroffen habe, einfach zu schade.«
Wir flachsen hin und her und so langsam füllt sich das Lokal. Auch die Geräuschkulisse schwillt immer mehr an, bis wir uns fast nicht mehr unterhalten können, außer wir stecken die Köpfe nahe zusammen. Ich lausche seinem fröhlichen, spontanen Geplauder und fühle mich auf seltsame Weise zu ihm hingezogen. Auf einmal bin ich richtig froh, dass ich den Abend bei Hanni sausen ließ. Nach einer Weile will ich wissen, was eigentlich ein verheirateter Mann an einem Samstag Abend in einer Bar verloren hat. Für ein paar Sekunden nimmt sein Gesicht einen ernsten Ausdruck an und er dreht etwas verlegen an seinem Weinglas. »Ich bin nicht mehr verheiratet. Na ja, so ist das Leben.« Doch kurz darauf fragt er mit einem Lächeln, ob wir auch noch etwas trinken wollen. Irene lehnt ab, weil sie wieder zu ihrer Familie zurückkehren möchte. Mir dagegen gefällt es in seiner Gesellschaft ausgesprochen gut und mit einem Mal bin ich weit davon entfernt, nach Hause zu wollen. Im Gegenteil, mich interessiert es, warum dieser »Traummann« nicht mehr verheiratet ist. Da es hier zu laut ist, verlassen wir die Bar und fahren an einen ruhigeren Ort. Allerdings muss ich lachen, als wir wieder vor einer Bar parken und rufe: »Du scheinst diese Lokale ja gut zu kennen!«