Sebastian Heredia Matamoros erblickte das Licht der Welt an der Costa del Crepúsculo. Die friedliche Meeresbucht mit den weiß getünchten Hütten des Fischerdörfchens Juan Griego, über dem die düstere Festung La Galera aufstieg, wurde damals wegen ihrer herrlichen Sonnenuntergänge so genannt. Die Bucht lag im Nordosten der kleinen Insel Marga-rita, die schon zu Zeiten von Kolumbus berühmt war, da man hier die schönsten Perlen der Welt aus dem kristallklaren Wasser holte.

Wie fast alle Dorfbewohner, so tauchte auch Sebastiáns Vater Miguel Heredia Ximénez in die schwindelnden Tiefen hinab, um nach Austern zu suchen. Abend für Abend ruinierte sich dann seine Frau Emiliana Matamoros die Hände dabei, wenn sie die rauhen Muschelschalen in der Hoffnung knackte, darin einen perlmuttschimmernden Schatz zu finden, der die Not der Familie lindern würde.

Von seinem achten Geburtstag an begleitete Sebastian Heredia Matamoros seinen Vater aufs Meer hinaus. Seine Hauptaufgabe bestand darin, etwas zum Abendessen zu angeln und gleichzeitig aufzupassen, daß sich keine Haie anpirschten, die seit jeher die schlimmsten Feinde der rastlosen Taucher waren.

Nach der Heimkehr durfte er mit seinen Freunden am Strand spielen, doch kaum war das unvergleichlich flammende Abendrot Margaritas in tiefes Schwarz übergegangen, setzte er sich an einen grob gehauenen Tisch, um beim Schein einer Kerze aus Schildkrötenwachs zu lernen und dabei sanft die Wiege seiner Schwester Celeste zu schaukeln.

So prägte das Meer und das eine oder andere Buch das Leben des jungen Sebastián Heredia Matamoros. Darüber hinaus prägte ihn sowohl sein Vater, dessen unglaubliche Opferbereitschaft er bewunderte, wenn dieser tagtäglich seine Haut an den Felsen und Korallen ließ, als auch die unvergleichliche Schönheit seiner Mutter. Ihr Antlitz glich einem Madonnenbild, und ihr reizvoll gerundeter Körper blieb auch nach zwei Geburten und der täglichen Arbeit in der Sonne makellos wie eh und je.

Der Alltag der Heredia Matamoros war zwar voller Entbehrungen, doch tröstete man sich damit, ab und an die eine oder andere wertvolle erbsengroße Perle zu finden, die einem der alte Omar Bocanegra zu einem guten Preis abkaufte. Außerdem gab es stets die Hoffnung, eines Tages eine riesige Perle zu finden, das Tor zu einer Zukunft in Wohlstand.

Einige fahre später, als Sebastian schon fast zwölf Jahre alt war, landete jedoch ein neuer Abgesandter der Casa de Contratación von Sevilla auf der Insel, mit dem alle Hoffnungen auf eine bessere Zukunft zerstoben.

Bis zu diesem rabenschwarzen Tag war Margarita von den strengen Handelsbestimmungen, die im übrigen Westindien herrschten, weitgehend verschont geblieben. Dann aber schlug Hernando Pedrárias Gotarredona im prunkvollen Palais der Hauptstadt La Asunción sein Quartier auf und ließ unverzüglich einen Erlaß verkünden. Darin drohte er jedem seiner Untertanen sechs Jahre Kerker an, der es wagen sollte, sich über die Anweisungen der allmächtigen Casa de Contratación hinwegzusetzen. Die bescheidenen Hoffnungen der Margaritenos lösten sich auf wie Salz im Meer.

Die von allen verfluchte Casa de Contratación zahlte nämlich gewöhnlich für Perlen nur ein Zehntel des tatsächlichen Werts. Außerdem erhielt man dafür nicht einmal Geld, sondern nur Naturalien, auf deren Import aus Spanien die Casa ein Monopol hatte.

Zölle und Transportkosten verteuerten diese Waren zudem um das Vierzigfache. Das führte zur absurden Situation, daß man für drei wunderschöne Perlen von makelloser Reinheit gerade mal einen Hammer oder zwei Meter gröbsten Stoff eintauschen konnte.

Wer sich mit einer solchen Ungerechtigkeit nicht abfinden wollte, dem blieb nichts anderes übrig, als die Perlenfischerei aufzugeben, denn die Casa de Contratación hatte schon seit Anno 1503 das Monopol auf den Perlenhandel, wie übrigens auf alle übrigen Schätze inklusive derer, die im Westen des großen finsteren Ozeans noch auf ihre Entdeckung warteten. Zudem waltete die Casa als Mentor des Obersten Indienrats, der wiederum dafür zu sorgen hatte, daß man in der Neuen Welt die spanischen Gesetze auch wirklich befolgte.

Aus der würdevollen, von Hoffnung erfüllten Armut der Heredia Matamoros war auf diese Weise hoffnungsloses Elend geworden. Der kleine Sebastian spürte als erster, wie tiefe Mutlosigkeit seinen bis dahin unbeugsamen Vater befiel.

Zwar fuhren die beiden nach wie vor jeden Morgen aufs Meer hinaus, doch statt unverzüglich die gefährlichen Abgründe anzusteuern, in denen ein mutiger Taucher zwischen Felsen und Algen die »Mutter aller Austern« finden konnte, kreuzten sie schweigend und ziellos auf dem Wasser. Denn was für einen Sinn hatte ihre Arbeit noch, wenn selbst der größte Erfolg stets zum bitteren Fehlschlag wurde?

Als sich dann noch eines Tages herumsprach, daß ein Taucher aus Boca del Pozo für eine fast makellose Perle, so groß wie eine Wachtel, lediglich zwei zerbeulte Kochtöpfe und ein verrostetes Messer erhalten hatte, entschied die Mehrheit der Margaritenos, daß ein so läppischer Lohn das Risiko nicht lohnte, sich von einem Hai das Bein abreißen zu lassen. Und bald fuhren sie nur noch hinaus, um Fische und Langusten für das Abendessen zu fangen.

Trotz alledem fiel es dem anmaßenden Hernando Pedrárias Gotarredona nicht im Traum ein, den Grund für den starken Rückgang in der Perlenproduktion bei den ruinösen Preisen zu suchen, die er selbst festgelegt hatte. Vielmehr lud er alle Schuld auf den müden Schultern des armen Omar Bocanegra ab, dem er vorwarf, weiterhin heimlich Perlen anzukaufen, und wenn er ihn schon nicht aufhängen ließ, dann nur deshalb, um ihn in den modrigsten und tiefsten Kerker zu werfen und nicht eher freizulassen, bis er »das Geraubte ausgespuckt habe«.

Aus schier unerfindlichen Gründen machten die Fischerboote jedoch nach wie vor einen Bogen um die vielgerühmten Perlengründe, bis der frischgebackene Vertreter der Casa de Contratación sich allmählich den Kopf darüber zerbrach, was ihm wohl blühen würde, sollte es eines schönen Tages seinen Vorgesetzten – den König eingeschlossen – auffallen, daß ab dem Tag, an dem er, Hernando Pedrárias Gotarredona, sein Amt angetreten hatte, Margarita aufgehört hatte, eine der wertvollsten »Juwelen der Krone« zu sein.

Alle Jahre wieder wartete der spanische Hof nämlich gespannt auf die Ankunft der Indienflotte mit ihren fabelhaften Schätzen: Gold aus Peru, Silber aus Mexiko, Smaragde aus Neu-Granada, Diamanten aus Caroni und eben Perlen aus Margarita. Nun hätte der Gesandte der Casa in Potosá gut und gerne behaupten können, tut uns leid, Majestät, die dortigen Goldminen sind erschöpft, doch wer hätte Don Hernando schon abgenommen, daß sämtliche Austern der Karibik über Nacht beschlossen hätten, keine Perlen mehr zu produzieren?

Also grübelte Don Hernando wochenlang über sein Problem nach, doch als guter Beamter und Absolvent der Verwaltungsschule der Casa kam er auf alles, nur nicht auf das Naheliegende: schlicht und einfach einen gerechten Preis für die Perlen zu zahlen. Seitdem Don Hernando seinen Verstand gebrauchen konnte, hatte man ihm nämlich eingebleut, daß auf dieser Welt nur zählte, für jedes Schwert, jeden Meter Stoff, ja für jeden Nagel, der den Ozean überquerte, den maximalen Profit einzustreichen.

Das absolute und aberwitzige Monopol, das die Katholischen Könige der Casa de Contratación verliehen hatten, hatte diese in ein so kompliziertes Paragraphennetz eingesponnen, daß sich die spanischen Kolonien trotz der mannigfaltigen Reichtümer der Neuen Welt fast drei Jahrhunderte lang nie wirklich entfalten konnten.

Die Idee des sevillanischen Kirchenmannes Rodriguez de Fonseca, der seinerzeit die höchste Autorität des Westindienhandels war und das uneingeschränkte Vertrauen von Isabella der Katholischen genoß, war anfänglich ja so abwegig nicht gewesen. Die Beziehungen mit den von Kolumbus gerade erst entdeckten Ländern hatten wohl tatsächlich eine wirtschaftliche und juristische Instanz nötig, die Unternehmungen in geordnete Bahnen lenken und Banditen und Abenteurer daran hindern konnte, anarchische Zustände herzustellen.


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