Sie sahen alle die Funken, die der über den Beton scheppernde Auspuff schlug, und Hap, der in Mexiko einmal eine Tankstellenexplosion gesehen hatte, schützte instinktiv die Augen vor dem Feuerball, den er erwartete. Statt dessen drehte sich das Heck des Chevy und rutschte von der Insel in Richtung Tankstellengebäude. Der Bug traf die Bleifrei-Säule, die mit einem hohen Knall umkippte.
Wie absichtlich beendete der Chevrolet seine Drehung um 360 Grad und prallte wieder gegen die Insel, diesmal volle Breitseite. Das Heck rutschte auf die Insel und schmetterte die Zapfsäule für Normalbenzin um. So kam der Chevy zum Stillstand, sein rostiger Auspuff schleifte hinter ihm her. Er hatte alle drei Zapfsäulen auf der am Highway gelegenen Insel zerstört. Der Motor spuckte noch ein paar Sekunden, dann erstarb er. Die Stille war geradezu beängstigend laut.
»Himmel, Arsch«, sagte Tommy Wannamaker atemlos. »Ob sie hochgeht, Hap?«
»Wenn, dann war' sie schon weg«, sagte Hap und stand auf. Mit der Schulter stieß er gegen den Kartenständer und verstreute Texas, New Mexico und Arizona in alle Himmelsrichtungen. Hap empfand verhaltene Freude. Seine Zapfsäulen waren versichert, die Versicherung bezahlt. Mary hatte immer ganz besonders auf die Versicherung geachtet.
»Der Kerl muß sternhagelvoll sein«, sagte Norm.
»Ich hab' seine Bremslichter gesehen«, sagte Tommy mit vor Aufregung schriller Stimme. »Die haben kein einziges Mal aufgeleuchtet. Schockschwerenot! Wenn er sechzig gefahren wäre, wären wir jetzt alle tot!«
Sie liefen aus dem Büro, Hap zuerst, Stu bildete die Nachhut. Hap, Tommy und Norm waren gleichzeitig am Wagen. Sie rochen Benzin und hörten das langsame, uhrwerkähnliche Ticken des abkühlenden Chevymotors. Hap machte die Fahrertür auf, und der Mann hinter dem Steuer quoll heraus wie ein alter Wäschesack.
»Gott verdammt!« rief, schrie Norm Bruett fast. Er wandte sich ab, hielt sich den stattlichen Bauch und übergab sich. Nicht wegen des Mannes, der herausgefallen war (den hatte Hap geschickt aufgefangen, bevor er den Boden erreichte), sondern wegen des Geruchs, der aus dem Wagen drang, ein widerlicher Gestank von Blut, Exkrementen, Erbrochenem und menschlicher Verwesung. Ein gespenstischer, durchdringender Geruch von Krankheit und Tod. Einen Augenblick später drehte sich Hap um und zerrte den Fahrer an den Achselhöhlen heraus. Tommy packte hastig die baumelnden Füße, dann trug er ihn zusammen mit Hap ins Büro. Ihre Gesichter waren im Schein der Neonröhren käsig und von Ekel erfüllt. Hap hatte das Geld von der Versicherung vergessen.
Die ändern blickten ins Wageninnere, dann wandte Hank sich ab und hielt eine Hand vor den Mund, den kleinen Finger abgespreizt wie ein Mann, der ein Weinglas hält und einen Trinkspruch ausbringt. Er stapfte zur Nordseite des Tankstellengrundstücks und ließ sein Abendessen hochkommen.
Vic und Stu sahen eine Weile in den Wagen, blickten einander an und wieder hinein. Auf der Beifahrerseite saß eine junge Frau, das Kleid über die Schenkel hochgeschoben. An ihr lehnte ein Junge oder Mädchen von etwa drei Jahren. Sie waren beide tot. Ihre Hälse waren schlauchartig angeschwollen, die Haut dort purpurschwarz, wie bei einem Blut erguß. Auch unter ihren Augen war die Haut aufgedunsen. Vic sagte später, sie hätten ausgesehen wie Baseballspieler, die sich Ruß unter die Augen schmieren, damit sie nicht so stark geblendet werden. Ihre Augen quollen blind aus den Höhlen. Die Frau hielt die Hand des Kindes. Dicker Schleim war aus ihren Nasen geflossen und angetrocknet. Fliegen summten um sie herum, ließen sich auf dem Schleim nieder und krochen ihnen in die offenen Münder und wieder heraus. Stu war im Krieg gewesen, aber er hatte noch nie etwas so schrecklich Erbarmenswertes gesehen. Er mußte immer wieder die verschränkten Hände ansehen.
Er und Vic wandten sich ab und sahen einander ausdruckslos an. Dann gingen sie zur Tankstelle. Sie konnten Hap sehen, der aufgeregt in den Münzapparat sprach. Norm folgte ihnen zur Tankstelle und sah sich hin und wieder über die Schulter nach dem Wrack um. Die Fahrertür des Chevy stand zu Tränen rührend offen. Am Rückspiegel baumelte ein Paar Babyschuhe.
Hank stand an der Tür und wischte sich mit einem schmutzigen Taschentuch den Mund ab. »Mein Gott, Stu«, sagte er unglücklich, und Stu nickte.
Hap legte den Hörer auf. Der Fahrer des Chevy lag auf dem Fußboden. »Der Krankenwagen ist in zehn Minuten da. Glaubt ihr, daß sie...« Er deutete mit dem Daumen auf den Chevy.
»Ja, sie sind tot.« Vic nickte. Sein runzeliges Gesicht war gelblichweiß, und er verstreute beim Versuch, sich eine seiner stinkenden Zigaretten zu drehen, Tabak über den ganzen Fußboden.
»Das sind die beiden totesten Leute, die ich je gesehen habe.« Er sah Stu an, und Stu nickte und steckte die Hände in die Taschen. Er hatte Schmetterlinge im Bauch.
Der Mann auf dem Fußboden stöhnte dumpf durch die Kehle, und sie sahen alle zu ihm hinunter. Nach einem Augenblick, als deutlich wurde, daß der Mann sprach oder sich zumindest angestrengt bemühte zu sprechen, kniete sich Hap neben ihn. Immerhin war es seine Tankstelle.
Der Mann hatte dieselben Symptome wie die Frau und das Kind im Auto. Aus seiner Nase lief Schleim, und sein Atem hatte einen eigentümlich unterseeischen Klang, ein Gurgeln irgendwo aus der Brust. Die Haut unter den Augen war aufgedunsen, zwar noch nicht schwarz, aber purpurn. Sein Hals war unnatürlich dick, die Haut wurde wie eine Säule hochgedrückt, so daß er ein Dreifachkinn bekommen hatte. Er hatte hohes Fieber; neben ihm zu kauern war, als würde man neben einem offenen Grill stehen, in dem gute Holzkohle glühte.
»Der Hund«, murmelte er. »Haben Sie ihn rausgelassen?«
»Mister«, sagte Hap und schüttelte ihn sanft. »Ich hab' den Krankenwagen gerufen. Bald wird es Ihnen bessergehen.«
»Alarmstufe rot«, ächzte der Mann auf dem Fußboden und fing an zu husten, eine Kette rasselnder Explosionen, die in langen, zähen Fäden aus dickem Schleim aus seinem Mund spritzten. Hap lehnte sich zurück und verzog verzweifelt das Gesicht.
»Dreht ihn lieber auf die Seite«, sagte Vic. »Sonst erstickt er noch daran.«
Aber bevor sie das tun konnten, verflachte der Husten schon wieder zu keuchendem, unregelmäßigem Atmen. Der Fremde blinzelte angestrengt und sah die um ihn versammelten Männer an.
»Wo... sind wir hier?«
»Arnette«, sagte Hap. »Bill Hapscombs Texaco-Tankstelle. Sie haben ein paar von meinen Zapfsäulen umgemäht.« Dann fügte er hastig hinzu: »Macht aber nichts. Sind versichert.«
Der Mann auf dem Fußboden versuchte, sich aufzurichten, aber er konnte es nicht. Er mußte sich damit begnügen, Hap die Hand auf den Arm zu legen.
»Meine Frau... meine kleine Tochter...«
»Denen geht es gut«, sagte Hap mit einem albernen, hündischen Grinsen.
»Sieht aus, als wäre ich ziemlich krank«, sagte der Mann. Sein Atem hörte sich an wie ein belegtes, leises Brüllen. »Die beiden sind auch krank. Seit wir vor zwei Tagen aufgebrochen sind. Salt Lake City...«
Er machte langsam blinzelnd die Augen zu. » Krank... sind wohl doch nicht schnell genug weggekommen...«
Aus der Ferne hörten sie die Sirene der Freiwilligen Ambulanz von Arnette, die langsam lauter wurde.
»Mann«, sagte Tommy Wannamaker. »O Mann.«
Der Kranke schlug blinzelnd die Augen wieder auf, und jetzt lag ein Ausdruck größter Besorgnis darin. Er versuchte noch einmal, sich aufzurichten. Schweiß lief ihm übers Gesicht. Er packte Hap.
»Ist mit Sally und Baby LaVon alles in Ordnung?« wollte er wissen. Speichel flog ihm von den Lippen, und Hap spürte die brennende Hitze, die von dem Mann ausging. Der Mann war krank, halb verrückt und stank. Hap fühlte sich an den Geruch erinnert, den alte Hundedecken manchmal annehmen.
»Denen geht es gut«, beharrte Hap ein wenig panisch. »Legen Sie... legen Sie sich wieder hin, und beruhigen Sie sich, okay?«