auf die Hose zeigend. „Yes, yes“,
antworte ich und versuche zu erklären, daß er zuerst wieder hineinsteigen muß, dann die Schuhe ausziehen soll, erst dann könne er sich der Hose entledigen.
Die halbe Stunde ist längst um, und wir hetzen zum Hotel. In seinem bewährten Outfit gefällt er mir tausendmal besser. Er hat schon große Blasen an den Fersen von den neuen Schuhen, die er natürlich ohne Socken tragen wollte. Wir erreichen gerade noch rechtzeitig die Show. Ich setze mich zu den weißen Zuschauern, die mich zum Teil abschätzig mustern, da ich immer noch dieselben Kleider wie am Morgen anhabe, die sicher nicht schöner und sauberer geworden sind. Auch rieche ich nicht so frisch wie die eben geduschten Weißen, von meinen verklebten langen Haaren ganz zu schweigen. Trotzdem bin ich wahrscheinlich die stolzeste Frau in diesem Raum. Beim Anblick der tanzenden Männer überkommt mich dieses mir nun schon bekannte Gefühl der Dazugehörigkeit.
Als die Show und der Verkauf vorbei sind, ist es fast Mitternacht. Ich wil nur noch schlafen. Im Lodging möchte ich mich notdürftig waschen, doch Lketinga kommt, gefolgt von einem weiteren Massai, in unseren Raum und meint, sein Freund könne doch im zweiten Bett schlafen. Ich bin nicht gerade erfreut über die Vorstel ung, mit einem fremden Mann diese drei mal drei Meter zu teilen, aber ich sage nichts, um nicht unhöflich zu erscheinen. Also quetsche ich mich in meinen Kleidern mit Lketinga auf das schmale, durchhängende Bett und schlafe trotzdem irgendwann ein.
Morgens kann ich endlich duschen, zwar nicht sehr luxuriös mit spärlichem Wasserstrahl, dazu noch eiskalt. Trotz der dreckigen Kleider fühle ich mich auf der Fahrt zurück zur Südküste etwas besser.
In Mombasa kaufe ich mir ein einfaches Kleid, da wir im Office wegen des Passes und der Formulare vorbeischauen wol en. Heute klappt es tatsächlich. Nach dem Begutachten des vorläufigen Tickets und der Bescheinigung über das Depotgeld erhalten wir endlich ein Antragsformular. Beim Versuch, die vielen Fragen zu beantworten, stel e ich fest, daß ich die meisten kaum verstehe, und beschließe deshalb, das Papier mit Ursula und ihrem Mann auszufüllen. Nach fünf Stunden Fahrt sind wir schließlich wieder an der Südküste in unserem Häuschen. Priscilla hat sich bereits große Sorgen gemacht, da sie nicht wußte, wo wir die Nacht verbracht haben. Lketinga muß ihr erklären, warum er in der europäischen Aufmachung daherkommt. Ich lege mich etwas hin, weil es draußen wirklich heiß ist. Hunger habe ich auch. Sicher bin ich schon um etliche Kilo leichter geworden.
Mir bleiben noch sechs Tage bis zum Heimflug, und ich habe mit Lketinga noch nicht über eine gemeinsame Zukunft in Kenia gesprochen. Alles dreht sich nur um diesen blöden Paß. So mache ich mir Gedanken, was ich hier anfangen könnte. Zum Leben benötigt man bei diesem bescheidenen Stil nicht viel Geld, und trotzdem brauche ich eine Aufgabe und zusätzliche Einnahmen. Da kommt mir die Idee, in einem der vielen Hotels ein Ladenlokal zu suchen. Ich könnte ein oder zwei Schneiderinnen beschäftigen, Schnittmuster von Kleidern aus der Schweiz mitbringen und hier eine Schneiderei betreiben. Schöne Stoffe gibt es im Überfluß, gute Näherinnen ebenfalls, die für etwa 300 Franken im Monat arbeiten, und verkaufen ist meine absolute Stärke.
Von dieser Idee begeistert, rufe ich Lketinga ins Häuschen und versuche sie ihm zu erklären, merke aber bald, daß er mich nicht versteht. Doch das erscheint mir jetzt wichtig, und deshalb hole ich Priscil a hinzu. Sie übersetzt, und Lketinga nickt nur ab und zu. Priscil a erklärt mir, ohne Arbeitsbewilligung oder Heirat könne ich mein Vorhaben nicht verwirklichen. Die Idee sei gut, denn sie kenne hier einige Leute, die mit einer Maßschneiderei gutes Geld verdienen. Ich frage Lketinga, ob er denn eventuel an einer Heirat interessiert sei. Entgegen meinen Erwartungen reagiert er zurückhaltend. Er meint auch recht vernünftig, da ich ein so gutgehendes Geschäft in der Schweiz habe, solle ich dies nicht verkaufen, sondern statt dessen lieber zwei-oder dreimal im Jahr zu „holidays“ kommen, er werde immer auf mich warten!
Nun werde ich etwas ungehalten. Nachdem ich drauf und dran bin, in der Schweiz alles aufzugeben, macht er mir Ferienvorschläge! Ich bin enttäuscht. Er merkt es sofort und sagt, natürlich zu Recht, daß er mich nicht richtig kenne und ebensowenig meine Familie. Er brauche Zeit zum Überlegen. Auch ich müsse nachdenken, und außerdem käme er eventuell in die Schweiz. Ich sage nur: „Lketinga, wenn ich etwas mache, dann richtig und nicht halb.“ Entweder möchte er, daß ich komme und er empfindet ähnlich wie ich, oder ich versuche, al es zu vergessen, was zwischen uns geschehen ist.
Am nächsten Tag suchen wir Ursula und ihren Mann im Hotel auf, um das Formular auszufüllen. Wir treffen sie aber nicht an, weil sie auf eine mehrtägige Safari gegangen sind. Wieder einmal verfluche ich mein spärliches Englisch. Wir suchen jemand anderen zum Übersetzen. Lketinga wil nur einen Massai, anderen traut er nicht.
Wir fahren wieder nach Ukunda und hocken Stunden im Teehaus, bis endlich ein Massai auftaucht, der lesen, schreiben und Englisch sprechen kann. Seine überhebliche Art gefällt mir zwar nicht, doch gemeinsam mit Lketinga füllt er alles aus, meint aber gleichzeitig, ohne Schmiergeld funktioniere hier nichts. Da er mir seinen Paß zeigt und anscheinend schon zweimal in Deutschland war, glaube ich ihm. Er fügt hinzu, durch meine weiße Haut steige das Schmiergeld gleich ins Fünffache. Am nächsten Tag werde er mit Lketinga gegen ein kleines Entgelt nach Mombasa fahren und al es erledigen. Mißmutig willige ich ein, denn langsam habe ich keine Geduld mehr, mich mit dem arroganten Officer herumzuschlagen. Für nur 50 Franken will er al es erledigen und Lketinga sogar bis zum Flughafen begleiten.
Ich übergebe noch etwas Schmiergeld, und die beiden fahren los nach Mombasa.
Endlich gehe ich wieder einmal an den Strand und lasse mich von der Sonne und dem guten Hotelessen verwöhnen, das natürlich zehnmal soviel kostet wie in den lokalen Restaurants. Gegen Abend kehre ich ins Häuschen zurück, wo mich Lketinga bereits grimmig erwartet. Aufgeregt frage ich, wie es in Mombasa war. Er aber will nur wissen, wo ich war. Lachend antworte ich ihm: „Am Strand und essen im Hotel!“
Er will weiter wissen, mit welchen Leuten ich mich unterhalten habe. Ich denke mir nichts und erwähne Edy und zwei andere Massai, mit denen ich ein paar Worte am Strand gewechselt habe. Sein Gesicht wird nur langsam freundlicher, und er sagt nebenbei, daß es mit dem Paß etwa drei bis vier Wochen dauern wird.
Ich freue mich und versuche, viel von der Schweiz und meiner Familie zu erzählen.
Auf Eric freue er sich, gibt er mir zu verstehen, aber was die anderen Leute betrifft, wisse er nicht, was auf ihn zukomme. Auch mir ist bei der Vorstel ung, wie die Menschen in Biel auf ihn reagieren werden, nicht ganz wohl. Schon der Verkehr auf den Straßen, die ausgefallenen Lokale und der ganze Luxus werden ihn verwirren.
Meine letzten Tage in Kenia verbringen wir etwas ruhiger. Wir schlendern ab und zu ins Hotel, an den Strand oder verbringen den Tag im Village mit verschiedenen Leuten, Tee trinkend und kochend. Als der letzte Tag anbricht, bin ich traurig und versuche, die Fassung zu bewahren. Auch Lketinga ist nervös. Viele bringen mir irgendein Geschenk, meistens Massai-Schmuck. Meine Arme sind fast bis zu den Ellenbogen hoch geschmückt.
Lketinga wäscht mir nochmals die Haare, hilft mir beim Packen und fragt andauernd: „Corinne, real y you will come back to me?“
Anscheinend glaubt er nicht, daß ich wiederkomme. Er meint, viele Weiße behaupten dies und kommen nicht mehr, oder wenn, dann nehmen sie sich einen anderen Mann. „Lketinga, ich wil keinen anderen, only you!“
beteuere ich immer wieder. Ich werde viel schreiben, Fotos schicken und ihm Nachricht geben, wenn ich alles erledigt habe. Immerhin muß ich jemanden finden, der mir das Geschäft abkauft und jemanden, der meine Wohnung und die gesamte Einrichtung übernimmt.