Er soll mir über Priscil a mitteilen, wann er kommt, fal s er den Paß erhält. „Wenn es nicht klappt oder du wirklich nicht in die Schweiz wil st, kannst du es mir ruhig mitteilen“, sage ich zu ihm. Ich werde ungefähr drei Monate brauchen, bis ich alles erledigt habe. Er fragt mich, wie lange drei Monate sind: „How many ful moons?“

„Dreimal Vol mond“, gebe ich lachend zur Antwort. Wir verbringen am letzten Tag jede Minute gemeinsam und beschließen, bis vier Uhr morgens in die Bush-Baby-Bar zu gehen, um nicht zu verschlafen und die Zeit zu nutzen. Wir reden, zeigen, deuten die ganze Nacht, und immer wieder die gleiche Frage, ob ich wirklich wiederkomme.

Ich verspreche es zum zwanzigsten Mal und merke, wie aufgewühlt auch Lketinga ist.

Eine halbe Stunde vor Abfahrt treffen wir, begleitet von zwei weiteren Massai, im Hotel ein. Die verschlafenen, wartenden Weißen schauen uns irritiert an. Mit meiner Reisetasche und den drei geschmückten Massai mit ihren Rungus muß ich wohl ein sonderbares Bild abgeben. Dann muß ich einsteigen. Lketinga und ich fallen uns noch einmal in die Arme, und er sagt: „No problem, Corinne! I wait here or I come to you!“

Dann, ich kann es kaum fassen, drückt er mir noch einen Kuß auf den Mund. Ich bin gerührt, steige ein und winke den dreien zu, die in der Finsternis zurückbleiben.

Abschied und Aufbruch

In der Schweiz beginne ich sogleich mit der Suche nach einer Nachfolgerin für mein Geschäft. Viele haben Interesse, wenige eignen sich, doch diese haben kein Geld. Natürlich will ich möglichst viel herausholen, weil ich nicht weiß, wann ich wieder Geld verdienen kann. Mit zehn Franken kann ich in Kenia gut zwei Tage leben. So werde ich ziemlich geizig und lege jeden Franken für die Zukunft in Afrika zur Seite.

Schnell ist ein Monat vergangen, und von Lketinga habe ich nichts gehört. Ich habe bereits drei Briefe geschrieben. Deshalb schreibe ich nun etwas beunruhigt auch an Priscilla. Zwei Wochen später erhalte ich von ihr einen Brief, der mich verwirrt. Von Lketinga habe sie schon zwei Wochen nach meiner Abreise nichts mehr gesehen, wahrscheinlich lebe er wieder an der Nordküste. Mit seinem Paß gehe es nicht so recht vorwärts, und zu guter Letzt rät sie mir, ich solle lieber in der Schweiz bleiben. Ich bin völlig ratlos und schreibe sofort den nächsten Brief an die P.

O. Box an der Nordküste, wohin schon meine ersten Briefe an Lketinga gingen.

Nach fast zwei Monaten entschließt sich eine Freundin von mir, mein Geschäft zum ersten Oktober zu kaufen. Ich bin überglücklich, daß dieses größte Problem endlich gelöst ist. Also kann ich theoretisch im Oktober abreisen. Aber von Lketinga habe ich leider immer noch nichts gehört. In die Schweiz muß er nun nicht mehr kommen, weil ich bald wieder in Mombasa sein werde, denke ich und glaube weiterhin an unsere große Liebe. Von Priscil a erhalte ich noch zwei verworrene Briefe, doch mit unerschütterlichem Glauben gehe ich zum Reisebüro und buche einen Flug nach Mombasa für den fünften Oktober.

Mir bleiben noch gut zwei Wochen, um meine Wohnung und die Autos loszuwerden. Die Wohnung ist kein Problem, da ich alles komplett eingerichtet zu einem Spottpreis einem jungen Studenten verkaufe. So kann ich wenigstens bis zur letzten Minute in der Wohnung bleiben.

Meine Freunde, Geschäftskollegen, al e, die mich kennen, begreifen nicht, was ich mache. Für meine Mutter ist es besonders hart, doch habe ich das Gefühl, daß sie mich noch am ehesten versteht. Sie hoffe und bete für mich, daß ich finde, was ich suche, und glücklich werde.

Mein Cabriolet verkaufe ich am allerletzten Tag und lasse mich gleich zum Bahnhof bringen. Als ich das Bahnbillett nach Zürich-Kloten „einfach“ löse, bin ich aufgeregt. Mit kleinem Handgepäck und einer großen Reisetasche, in der sich einige T-Shirts, Unterwäsche, einfache Baumwollröcke und einige Geschenke für Lketinga und Priscilla befinden, sitze ich im Zug und warte auf die Abfahrt.

Als sich der Zug in Bewegung setzt, glaube ich vor Freude abzuheben. Ich lehne mich zurück, leuchte wahrscheinlich wie eine Laterne und lache vor mich hin. Ein wundervolles Gefühl der Freiheit hat mich ergriffen. Ich könnte losschreien und jedem, der im Zug sitzt, mein Glück und mein Vorhaben mitteilen. Ich bin frei, frei, frei! In der Schweiz habe ich keine Verpflichtungen mehr, keinen Briefkasten mit Rechnungen, und ich entkomme dem trostlosen, trüben Wetter im Winter. Ich weiß nicht, was mich in Kenia erwartet, ob Lketinga meine Briefe erhalten hat und wenn, ob sie ihm richtig übersetzt wurden. Ich weiß nichts und genieße einfach das beglückende Gefühl von Schwerelosigkeit.

Drei Monate werde ich Zeit haben, mich einzuleben, erst dann muß ich mich um ein weiteres Visum bemühen. Mein Gott, drei Monate, viel Zeit, um al es zu regeln und Lketinga besser kennenzulernen. Mein Englisch habe ich verbessern können, außerdem habe ich gute Bücher mit Bildern zum Lernen im Gepäck. In fünfzehn Stunden bin ich in meiner neuen Heimat. Mit diesen Gedanken steige ich ins Flugzeug, lehne mich ins Polster und sauge noch einmal die letzten Eindrücke von der Schweiz durch das Guckloch ein. Wann ich wiederkomme, ist ungewiß. Ich leiste mir zum Abschied und zum Neuanfang Champagner und weiß bald nicht mehr, ob ich lachen oder weinen soll.

In der neuen Heimat

Vom Flughafen Mombasa kann ich mit einem Hotelbus bis zum Africa-Sea-Lodge mitfahren, obwohl ich kein Hotel gebucht habe. Priscilla und Lketinga sollten informiert sein, wann ich dort bin. Ich bin furchtbar durcheinander. Was ist, wenn niemand kommt? Am Hotel angekommen, habe ich keine Zeit mehr nachzudenken.

Ich schaue mich um und sehe niemanden, der mich empfängt. Nun stehe ich da mit der schweren Tasche, meine Spannung löst sich langsam und macht einer großen Enttäuschung Platz. Doch plötzlich höre ich meinen Namen, und als ich den Weg hinaufschaue, stürmt Priscilla mit ihrem wogenden Busen auf mich zu. Vor Erleichterung und Freude schießen mir Tränen in die Augen.

Wir fallen uns um den Hals, und natürlich muß ich fragen, wo Lketinga ist. Ihr Gesicht wird finster, sie schaut mich nicht an, als sie sagt: „Corinne, please, I don't know, where he is!“

Seit damals, vor mehr als zwei Monaten, habe sie ihn nicht mehr gesehen. Es werde viel erzählt, aber sie wisse nicht, was davon wahr sei. Ich will al es erfahren, aber Priscilla meint, wir sollten zuerst zum Vil age gehen. Ich lade ihr die schwere Tasche auf den Kopf und nehme mein Handgepäck. So machen wir uns auf den Weg.

Mein Gott, was wird aus meinen Träumen vom großen Glück und der Liebe, denke ich. Wo ist nur Lketinga? Ich kann nicht glauben, daß er al es vergessen haben soll.

Im Vil age treffe ich auf eine weitere Frau, eine Muslimin. Priscilla stel t sie mir als eine Freundin vor und erklärt, momentan müßten wir zu dritt in ihrer Behausung leben, da diese Frau nicht mehr zu ihrem Mann zurückgehen wil. Das Häuschen ist zwar nicht sehr groß, aber fürs erste wird es schon reichen.

Wir trinken Tee, doch mir lassen die ungeklärten Fragen keine Ruhe. Wieder frage ich nach meinem Massai. Priscilla erzählt zögernd, was sie gehört hat. Einer seiner Kollegen erzähle, er sei nach Hause gefahren. Da er so lange keine Briefe von mir erhielt, wurde er krank. „Was?“ entgegne ich aufgebracht. „Ich habe mindestens fünfmal geschrieben.“ Jetzt schaut auch Priscil a etwas überrascht. „Ja, wohin denn?“ will sie wissen. Ich zeige ihr die P. O. Box-Adresse an der Nordküste. Dann, so meint sie, sei es kein Wunder, wenn Lketinga diese Briefe nicht bekommen habe.

Diese Box gehöre al en Massai an der Nordküste, und jeder könne herausnehmen, was er wil. Da Lketinga nicht lesen kann, habe man ihm die Briefe wahrscheinlich unterschlagen.

Ich kann kaum glauben, was Priscil a mir erzählt: „Ich dachte, alle Massai sind Freunde oder fast wie Brüder, wer soll denn so etwas machen?“ Da erfahre ich zum ersten Mal von der Mißgunst unter den Kriegern hier an der Küste. Als ich vor drei Monaten wegging, hätten einige der Männer, die schon lange an der Küste leben, Lketinga gehänselt und aufgestachelt: „So eine Frau, so jung und hübsch, mit viel Geld, wird sicher nicht mehr nach Kenia zurückkommen wegen eines schwarzen Mannes, der nichts besitzt.“ Und so, erzählt Priscilla weiter, habe er, der noch nicht lange hier lebe, wahrscheinlich den anderen geglaubt, weil er keine Briefe erhielt.


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