Ich stoße Lketinga in die Seite und flüstere: „Darling, somebody is here.“
Er stößt mir unbekannte Laute aus, die sich fast wie ein Grunzen anhören, und starrt mich für den Bruchteil einer Sekunde fast böse an. „Outside is somebody“, erkläre ich aufgeregt. Wieder ertönt die Stimme: „Moran supa!“
Dann werden einige Sätze gewechselt, worauf sich die Beine bewegen und verschwinden. „What's the problem?“
frage ich. Der Mann, ein anderer Krieger, wollte hier übernachten, was normalerweise auch kein Problem sei, aber weil ich hier bin, gehe es nicht. Er versuche, in einer anderen Manyatta unterzukommen. Ich solle wieder schlafen.
Morgens um sechs Uhr geht die Sonne auf, und mit ihr erwachen Tiere und Menschen. Die Ziegen blöken laut, denn sie wollen raus. Überal höre ich Stimmen, und der Platz von Mama ist bereits leer. Eine Stunde später erheben auch wir uns und trinken Chai. Dies wird fast zur Qual, da mit der Morgensonne auch die Fliegen erwachen. Stel e ich die Tasse neben mich auf die Erde, umschwirren Dutzende den Rand der Tasse. Unentwegt surren sie um meinen Kopf. Saguna scheint es kaum zu bemerken, obwohl sie ihr in den Augen- und sogar in den Mundwinkeln sitzen. Ich frage Lketinga, woher al diese Fliegen kommen. Er deutet auf den Ziegenkot, der sich während der Nacht angesammelt hat. Durch die Hitze am Tag trocknet der Kot aus, und die Fliegen werden weniger. Deshalb habe ich es am gestrigen Abend nicht so penetrant empfunden. Er lacht, dies sei nur der Anfang, wenn erst die Kühe wiederkämen, werde es noch viel schlimmer, denn deren Milch ziehe Tausende von Fliegen an. Noch unangenehmer seien die Moskitos, die nach Regenfäl en auftauchten. Nach dem Chai möchte ich zum River, um mich endlich zu waschen. Mit Seife, Handtuch und frischer Wäsche ausgerüstet, ziehen wir los. Lketinga trägt lediglich einen gelben Kanister für das nächste Chai-Wasser von Mama. Wir gehen etwa einen Kilometer einen schmalen Weg hinunter bis zu dem breiten Flußbett, das wir am Tag zuvor mit dem Landrover überquert haben. Links und rechts des Flußbettes stehen große, saftige Bäume, aber Wasser sehe ich keines. Wir spazieren am trockenen Fluß entlang, bis nach einer Biegung Felsen auftauchen.
Tatsächlich fließt hier noch ein kleines Bächlein aus dem Sand.
Wir sind nicht die einzigen hier. Neben dem Rinnsal haben einige Mädchen ein Loch in den Sand gegraben und schöpfen mit einem Becher geduldig ihre Kanister mit Trinkwasser vol. Beim Anblick meines Kriegers senken sie verschämt den Kopf und schöpfen kichernd weiter. Zwanzig Meter weiter unten steht eine Gruppe von Kriegern nackt am Bach. Sie waschen sich gegenseitig. Ihre Hüfttücher liegen auf den warmen Felsen zum Trocknen. Mein Anblick läßt sie verstummen, doch ihre Nacktheit stört sie offensichtlich nicht. Lketinga bleibt stehen und spricht mit ihnen.
Einige sehen mich unverhohlen an, während ich bald nicht mehr weiß, wohin ich schauen soll. So viele nackte Männer, denen dies nicht einmal bewußt ist, habe ich noch nie gesehen. Die schlanken, graziösen Körper glänzen wunderschön in der Morgensonne.
Da ich nicht recht weiß, wie ich mich in dieser ungewohnten Situation verhalten soll, schlendere ich weiter und setze mich nach ein paar Metern an das spärlich fließende Wasser, um die Füße zu waschen. Lketinga tritt zu mir und meint:
„Corinne, come, here is not good for lady!“
Wir gehen um eine weitere Biegung des Flußbettes, bis wir nicht mehr gesehen werden können. Hier entblättert er sich und wäscht sich. Als auch ich al es ausziehen möchte, schaut er mich erschrocken an. „No, Corinne, this is not good!“
„Warum?“ frage ich. „Wie sol ich mich waschen, wenn ich mein T-Shirt und den Rock nicht ausziehen kann?“ Er erklärt mir, daß ich die Beine nicht entblößen dürfe, das sei unsittlich. Wir debattieren, und schließlich knie ich doch nackt am Fluß und wasche mich gründlich. Lketinga seift mir den Rücken und die Haare ein, dabei blickt er ständig um sich, ob uns wirklich niemand beobachtet.
Das Waschritual dauert etwa zwei Stunden, dann gehen wir zurück. Am River herrscht jetzt heftiges Treiben. Mehrere Frauen waschen sich Kopf und Füße, andere graben Löcher, damit sie die Ziegen tränken können, und wieder andere schöpfen geduldig ihre Behälter voll Wasser. Auch Lketinga stellt seinen kleinen Wasserkanister hin, den ihm sofort ein Mädchen füllt.
Dann schlendern wir durch das Dorf, weil ich die Geschäfte besichtigen wil. Es gibt drei viereckige Lehmhüttchen, die Geschäfte sein sollen. Lketinga spricht mit den jeweiligen Besitzern, die al e Somalis sind. Überall schütteln sie den Kopf. Es gibt nichts zu kaufen außer etwas Teepulver oder Kimbo-Fettbüchsen. Beim größten finden wir noch ein Kilogramm Reis. Als er es uns einpacken will, entdecke ich, daß der Reis voller kleiner schwarzer Käferchen ist. „O no“, sage ich, „I don't want this!“
Er bedauert und nimmt ihn zurück. Wir haben also nichts zu essen.
Unter einem Baum sitzen mehrere Frauen und bieten Kuhmilch aus ihren Kalebassen zum Verkauf an. Also kaufen wir wenigstens Milch. Für wenige Münzen nehmen wir zwei gefüllte Kalebassen, etwa einen Liter, mit nach Hause. Die Mama freut sich über so viel Milch. Wir kochen Chai, und Saguna erhält eine ganze Tasse voll Milch. Sie ist glücklich.
Lketinga und die Mama besprechen die mißliche Lage. Ich wundere mich wirklich, wovon sich die Leute ernähren. Ab und zu gibt es ein Kilo Maismehl von der Mission für alte Frauen, aber auch von dort ist vorläufig nichts zu erwarten. Lketinga beschließt, am Abend eine Ziege zu schlachten, sobald die Herde nach Hause kommt. Überwältigt von al dem Neuen, verspüre ich noch keinen Hunger.
Den restlichen Nachmittag verbringen wir in der Manyatta, da sich die Mutter unter dem großen Baum mit anderen Frauen unterhält. Endlich können wir uns lieben.
Vorsichtshalber behalte ich meine Kleider an, immerhin ist es Tag und jederzeit kann jemand in die Hütte kommen. Den kurzen Liebesakt vol ziehen wir an diesem Nachmittag mehrere Male. Es ist ungewohnt für mich, daß al es immer so schnell vorbei ist und andererseits nach nur kurzer Pause wieder beginnt. Aber es stört mich nicht, ich vermisse nichts. Ich bin glücklich, bei Lketinga zu sein.
Abends kommen die Ziegen nach Hause und mit ihnen auch Lketingas älterer Bruder, Sagunas Vater. Zwischen ihm und der Mutter entwickelt sich ein heftiges Gespräch, wobei er mich ab und zu wild mustert. Später erkundige ich mich bei Lketinga. Ausführlich versucht er mir zu erzählen, sein Bruder mache sich nur große Sorgen um meine Gesundheit. Es würde sicher nicht lange dauern, bis der District-Chief herkäme und wissen wolle, warum eine weiße Frau in dieser Hütte lebe, das sei doch nicht normal.
In zwei bis drei Tagen wüßten in der gesamten Region alle Menschen, daß ich hier sei, und würden herkommen. Wenn mir etwas passiere, käme gar die Polizei, und das sei noch nie in der ganzen Geschichte der Leparmorijos, das ist ihr Familienname, vorgekommen. Ich beruhige Lketinga und versichere ihm, daß mit mir und meinem Paß al es in Ordnung sei, falls der Chief käme. Bis jetzt war ich in meinem ganzen Leben noch nie ernsthaft krank. Schließlich gehen wir ja jetzt eine Ziege essen, und ich werde mich bemühen, viel zu verzehren.
Sobald es dunkel ist, ziehen wir zu dritt los, Lketinga, sein Bruder und ich. Lketinga hat eine Ziege im Schlepptau. Wir gehen etwa einen Kilometer vom Dorf entfernt in den Busch, da Lketinga nicht in der Hütte von Mama essen darf, wenn sie anwesend ist. Mich akzeptiert man notgedrungen, weil ich eine Weiße bin. Was denn Mama und Saguna sowie deren Mutter essen würden, frage ich. Lketinga lacht und erklärt, gewisse Stücke seien für die Frauen und würden nicht von Männern gegessen.
Diese und alles, was wir nicht äßen, brächten wir Mama nach Hause. Sie sei, wenn es Fleisch gäbe, bis spät in die Nacht wach, sogar Saguna würde wieder geweckt.