Ich bin beruhigt, obwohl ich ständig zweifle, ob ich alles richtig verstehe, denn unsere Verständigung in Englisch, gemischt mit Massai sowie Händen und Füßen, ist immer noch sehr spärlich.
Endlich sind wir am geeigneten Platz angelangt. Es wird Holz gesucht, und grüne Äste werden von einem Busch geschlagen. Sie werden auf dem sandigen Boden zu einer Art Bett gebüschelt. Dann packt Lketinga die meckernde Ziege an den Vorder-und Hinterbeinen und legt sie seitwärts auf das Grünbett. Sein Bruder hält den Kopf und erstickt das arme Tier, indem er ihm Nase und Mund zudrückt. Es zappelt kurz und heftig und schaut bald starr und reglos in die sternenklare Nacht. Notgedrungen muß ich alles aus nächster Nähe mit ansehen, da ich hier im Dunkeln nicht weggehen kann. Etwas empört frage ich, warum man der Ziege nicht die Kehle durchschneidet, statt sie so grausam zu ersticken. Die Antwort ist kurz. Bei den Samburus darf kein Blut fließen, bevor das Tier tot ist, das sei schon immer so gewesen.
Jetzt wohne ich zum ersten Mal der Zerlegung eines Tieres bei. Am Hals wird ein Schnitt gemacht, und während der Bruder am Fel zieht, entsteht eine Art Mulde, die sich sofort mit Blut füllt. Angeekelt schaue ich zu und wundere mich, als sich Lketinga tatsächlich über diese Blutlache beugt und mehrere Schlucke daraus schlürft. Sein Bruder macht dasselbe. Ich bin entsetzt, sage jedoch kein Wort.
Lachend zeigt Lketinga auf die Öffnung: „Corinne, you like blood, make very strong!“
Verneinend schüttle ich den Kopf.
Dann geht alles recht schnel. Der Ziege wird das Fell gekonnt abgezogen. Der Kopf und die abgetrennten Füße werden auf das Blätterbett geworfen. Schon folgt der nächste Schock. Der Bauch wird vorsichtig geöffnet, und eine schrecklich stinkende, grüne Masse leert sich über dem Boden aus. Das ist der volle Magen.
Mein Appetit ist ganz und gar vergangen. Der Bruder zerteilt weiter, während mein Massai das Feuer geduldig anbläst. Nach einer Stunde ist es soweit, daß man die zerstückelten Fleischteile auf die zu einer Art Pyramide geformten Stecken legen kann. Die Rippen am Stück kommen zuerst darauf, weil sie weniger lange brauchen als die Hinterbeine. Der Kopf und die Füße liegen direkt im Feuer.
Das Ganze sieht ziemlich grausig aus, doch ich weiß, daß ich mich daran gewöhnen muß. Nach kurzer Zeit werden die Rippen vom Feuer geholt, und nach und nach wird der Rest der Ziege gegrillt. Lketinga schneidet mit seinem Buschmesser eine Hälfte der Rippen ab und streckt sie mir entgegen. Tapfer greife ich zu und knabbere an ihnen. Mit etwas Salz wäre es wahrscheinlich schmackhafter. Während ich Mühe habe, das zähe Fleisch von den Knochen zu beißen, schmatzen Lketinga und sein Bruder geübt und schnell. Die abgenagten Knochen fliegen nach hinten in den Busch, in dem es kurz darauf raschelt. Wer sich die Reste holt, weiß ich nicht. Aber wenn Lketinga bei mir ist, kenne ich keine Angst.
Die beiden schneiden sich nun schichtweise durch das erste Hinterbein, wobei sie es immer wieder auf das Feuer zurücklegen, um es weiter durchzugrillen. Der Bruder fragt mich, ob es mir schmeckt. Ich antworte: „O yes, it's very good!“
und nage weiter. Schließlich muß ich ja auch mal etwas im Magen haben, wenn ich nicht in kurzer Zeit selber ein Knochengestell werden will. Endlich bin ich durch, und meine Zähne schmerzen. Lketinga greift zum Feuer und reicht mir ein ganzes Vorderbein. Fragend schaue ich ihn an: „For me?“ „Yes, this is only for you.“
Aber mein Magen ist vol. Ich mag einfach nicht mehr. Sie wollen es kaum glauben und meinen, ich sei noch keine richtige Samburu. „You take home and eat tomorrow“,
sagt Lketinga gutmütig. Nun sitze ich nur noch da und schaue ihnen zu, wie sie Kilo um Kilo verschlingen.
Als die beiden endlich satt sind, packen sie die restlichen Ziegenteile mit al en Innereien, Kopf und Füßen in das Fell ein, und wir marschieren zur Manyatta zurück.
Ich trage mein „Frühstück“ nach Hause. Im Kral herrscht nächtliche Stil e. Wir kriechen in unsere Hütte, und Mama erhebt sich sofort von ihrer Schlafstelle. Die Männer geben ihr das übrig gebliebene Fleisch. Sehen kann ich fast nichts außer rötlich schimmernder Glut in der Feuerstelle.
Der Bruder verläßt uns und bringt Fleisch zur Manyatta seiner Frau. Mama stochert in der Glut und bläst vorsichtig hinein, um das Feuer erneut zu entfachen.
Natürlich gelingt es nicht ohne Rauch, und ich huste wieder kräftig. Dann lodert eine Flamme, und es ist hell und gemütlich in der Hütte. Mama macht sich über ein Stück gegrilltes Fleisch her und weckt Saguna. Ich staune, wie dieses kleine Mädchen, aus dem Tiefschlaf gerissen, sich gierig das dargebotene Fleisch schnappt und mit einem Messer kleine Stücke davon direkt neben dem Mund abschneidet.
Während die beiden essen, kocht das Wasser für den Chai. Lketinga und ich trinken Tee. Mein Ziegenhinterbein hängt über meinem Kopf im Deckengeäst der Hütte. Kaum ist der einzige Topf vom Tee geleert, wirft Mama klein geschnittene Fleischstücke hinein und brät sie knusprig braun. Anschließend füllt sie diese in leere Kalebassen. Ich versuche zu erfahren, was sie macht. Lketinga erklärt, daß sie so das Fleisch mehrere Tage konserviert. Mama werde al e Reste kochen, sonst kämen morgen viele Frauen hierher, mit denen sie teilen müsse, und wir hätten wieder nichts. Der Ziegenkopf, der durch die Asche völlig schwarz ist, soll besonders gut sein, den bewahre sie für morgen auf.
Das Feuer ist heruntergebrannt, und Lketinga und ich versuchen zu schlafen. Er legt seinen Kopf immer auf ein dreibeiniges, geschnitztes Holzböckchen von etwa zehn Zentimeter Höhe, damit seine langen roten Haare sich nicht verzausen und nicht alles verfärben. In Mombasa hatte er dieses Gestel nicht und band deshalb seine Haare in eine Art Kopftuch. Mir ist es ein Rätsel, wie man mit gestrecktem Kopf auf so etwas Hartem gut schlafen kann. Doch für ihn scheint es kein Problem zu sein, denn er schläft bereits. Mir dagegen bereitet das Schlafen auch in der zweiten Nacht noch Schwierigkeiten. Es ist sehr hart am Boden, und Mama ißt immer noch genüßlich, was nicht zu überhören ist. Ab und zu schwirren lästige Moskitos um meinen Kopf.
Das Meckern der Ziegen und ein seltsames Rauschen wecken mich am Morgen.
Ich spähe durch den Eingang und sehe Mamas Rock. Zwischen ihren Beinen ergießt sich ein rauschender Bach. Offensichtlich pinkeln die Frauen im Stehen, während die Männer sich für diesen Zweck zwanglos niederkauern, wie ich bei Lketinga bemerkt habe. Als das Rauschen verklingt, krieche ich aus der Hütte und verrichte ebenfalls mein Pippi, indem ich mich hinter unsere Manyatta kauere. Dann schlendere ich zu den Ziegen und schaue Mama beim Melken zu. Nach dem üblichen Chai ziehen wir wieder an den River und bringen fünf Liter Wasser mit.
Als wir zurückkommen, sitzen in der Manyatta drei Frauen, die sofort die Hütte verlassen, als sie Lketinga und mich erblicken. Mama ist verärgert, weil anscheinend schon vorher andere da waren und sie nun kein Teepulver, keinen Zucker und keinen Tropfen Wasser mehr im Hause hat. Zur Gastfreundschaft gehört, daß jedem Besucher Tee oder zumindest eine Tasse Wasser angeboten wird. Alle fragten sie über die Weiße aus. Vorher sei sie nicht interessant gewesen, jetzt sollten sie sie auch in Ruhe lassen. Ich schlage Lketinga vor, in einem der Läden wenigstens Teepulver zu beschaffen. Bei unserer Rückkehr hocken mehrere alte Menschen vor der Manyatta im Schatten. Dabei zeigen sie unendliche Geduld. Stundenlang hocken sie da, warten und unterhalten sich, wohlwissend, daß die Mzungu auch mal essen wird und die Gastfreundschaft es nicht erlaubt, die Alten auszuschließen.
Lketinga will mir die Gegend zeigen, da er sich als Krieger nicht wohl fühlt unter so vielen verheirateten Frauen und älteren Männern. Wir marschieren quer durch den Busch. Lketinga nennt mir die Namen von Pflanzen und Tieren, die wir sehen. Die Gegend ist ausgetrocknet, und der Boden besteht entweder aus roter, steinharter Erde oder aus Sand. Die Erde ist zerklüftet, und manchmal durchqueren wir richtige Krater. Bei der Hitze verspüre ich nach kurzer Zeit Durst. Doch Lketinga meint, je mehr Wasser ich trinke, desto durstiger würde ich. Er schneidet von einem Busch zwei Holzstücke ab, steckt sich eines in den Mund und reicht mir das andere. Das sei gut zum Zähneputzen und nehme gleichzeitig das Durstgefühl.