Nun suchen wir die hiesige Garage auf, deren Besitzer ebenfalls ein Somali ist. Bei ihm kann ich zwei leere Fässer kaufen, die gut hinten im Landrover Platz finden. Als wir sie mit Seilen befestigt haben, fühle ich mich für zukünftige Fahrten bestens gerüstet, und wir sind glücklich, daß es endlich losgeht. Nur das Mädchen ist noch kleiner und schweigsamer geworden. Ängstlich hält sie sich an den Fässern fest.
Endlos fahren wir auf der staubigen, holprigen Straße dahin, ohne jeglichen Gegenverkehr. Ab und zu sehen wir Zebraherden oder Giraffen, aber weit und breit ist kein Hinweisschild oder menschliches Leben zu sichten. Plötzlich kippt der Landrover vorne ab, und das Steuern wird schwierig, wir haben einen Platten. Vom Radwechsel verstehe ich nicht viel. Das ist mir in meiner zehnjährigen Fahrpraxis noch nie passiert. „No problem“,
meint Tom. Wir ziehen den Ersatzreifen, den Kreuzschlüssel und den uralten Wagenheber hervor. Tom kriecht unter den Landrover, um den Wagenheber richtig zu plazieren. Mit dem Kreuzschlüssel will er die Radmuttern lösen. Doch die Kanten des Werkzeugs sind abgeschliffen, so daß der Schlüssel an der Schraube keinen Halt findet. Deshalb versuchen wir, mit Sand, Hölzchen und Tüchern den Schlüssel zu fixieren. Bei drei Muttern klappt es, aber die anderen sitzen fest. Wir müssen aufgeben. Toms Frau beginnt zu weinen und rennt in die Steppe hinaus.
Tom beruhigt uns, wir sollten sie lassen, sie käme wieder, doch Lketinga holt sie zurück, da wir nun in einem anderen District, den Baringos, sind. Wir sind verschwitzt, dreckig und sehr durstig. Zwar haben wir genügend Benzin, aber nichts zum Trinken dabei, weil wir mit einer kurzen Fahrzeit gerechnet haben. So setzen wir uns in den Schatten und hoffen, daß bald ein Fahrzeug vorbeikommt, schließlich sieht die Straße befahrener aus als die nach Barsaloi.
Als nach Stunden nichts passiert und auch Lketinga nach einer Besichtigungstour zurückkommt, ohne den Baringo-See oder Hütten gefunden zu haben, beschließen wir, die Nacht im Landrover zu verbringen. Diese Nacht scheint unendlich lang. Wir schlafen kaum vor Hunger, Durst und Kälte. Am Morgen probieren es die Männer vergeblich noch einmal. Bis Mittag wollen wir noch warten, ob vielleicht doch Hilfe kommt. Meine Kehle ist ausgetrocknet, und die Lippen sind spröde. Das Mädchen weint schon wieder, und Tom verliert allmählich die Geduld.
Plötzlich lauscht Lketinga angestrengt und glaubt ein Fahrzeug zu hören. Es dauert noch Minuten, bevor auch ich Motorengeräusche wahrnehmen kann. Zu unserer großen Erleichterung sehen wir einen Safari-Bus. Der afrikanische Fahrer hält und läßt die Scheibe herunter. Die italienischen Touristen mustern uns neugierig.
Tom schildert dem Driver unser Problem, doch der bedauert, er dürfe keine Fremden aufnehmen. Er reicht uns seinen Kreuzschlüssel. Leider paßt er nicht, er ist zu klein.
Nun versuche ich, den Fahrer zu erweichen und biete sogar Geld an. Aber er kurbelt die Scheibe hoch und fährt einfach weiter. Die Italiener sagen die ganze Zeit nichts, mustern mich aber ziemlich distanziert. Anscheinend bin ich ihnen zu dreckig und die anderen zu wild. Wütend schreie ich dem davonfahrenden Bus die gräßlichsten Schimpfwörter hinterher. Ich schäme mich für die Weißen, weil sich nicht einer bemüht hat, den Fahrer zu überreden.
Tom ist überzeugt, daß wir wenigstens auf der richtigen Straße sind, und will gerade zu Fuß aufbrechen, als wir erneut Motorengeräusche vernehmen. Diesmal bin ich wild entschlossen, das Fahrzeug nicht ohne einen von uns weiterfahren zu lassen. Es ist ein ähnlicher Safari-Bus, ebenfal s mit Italienern besetzt.
Während Tom und Lketinga mit dem abweisenden Fahrer verhandeln und wieder nur Kopfschütteln ernten, reiße ich die hintere Bustüre auf und rufe verzweifelt hinein: „Do you speak English?“ „No, solo italiano“, tönt es zurück. Nur ein jüngerer Mann sagt: „Yes, just a little bit, what's your problem?“
Ich erkläre, daß wir schon seit gestern morgen hier stehen, ohne Wasser und Essen, und dringend Hilfe brauchen. Der Fahrer sagt: „It's not allowed“, und will die Türe schließen. Doch Gott sei Dank setzt sich der junge Italiener für uns ein und sagt, daß sie diesen Bus bezahlen und deshalb bestimmen können, ob jemand von uns mitfährt. Tom steigt vorne beim Fahrer ein, ob dieser wil oder nicht.
Erleichtert bedanke ich mich bei den Touristen. Wir müssen noch fast drei Stunden ausharren, bis wir in der Ferne eine Staubwolke sichten. Endlich kommt Tom in einem Landrover mit dessen Besitzer zurück. Zu unserem großen Glück bringt er Cola und Brot mit. Ich will mich gleich auf das Getränk stürzen, aber er mahnt mich, nur kleine Schlucke zu nehmen, sonst würde mir schlecht. Wie neu geboren schwöre ich mir, mit diesem Fahrzeug nie mehr ohne Trinkwasser loszufahren.
Tom kann die letzte Radmutter nur lösen, indem er sie mit Hammer und Meißel entzweischlägt. Dann geht der Radwechsel zügig vonstatten, und bald darauf fahren wir, mit einer Schraube weniger weiter. Nach gut eineinhalb Stunden erreichen wir endlich den Lake Baringo. Die Tankstelle befindet sich direkt neben einem pompösen Touristen-Gartenrestaurant. Nach den überstandenen Strapazen lade ich alle ins Restaurant ein. Das Mädchen staunt über diese neue Welt, fühlt sich aber nicht wohl. Wir setzen uns an einen schönen Tisch mit Blick auf den See, in dem sich Tausende rosa Flamingos tummeln. Als ich in die staunenden Gesichter meiner Begleiter sehe, bin ich doch stolz, ihnen außer Mühsal auch etwas Außergewöhnliches bieten zu können.
Zwei Kellner kommen an unseren Tisch, aber nicht etwa für die Bestel ung, sondern um uns mitzuteilen, daß wir hier nichts bekommen, weil dies nur für Touristen sei. Entsetzt antworte ich: „Ich bin Touristin und lade meine Freunde ein.“
Der schwarze Kellner beruhigt mich, ich könne bleiben, aber die Massai müßten das Gelände verlassen. Wir stehen auf und gehen. Fast körperlich spüre ich, wie gedemütigt sich diese sonst so stolzen Menschen fühlen.
Wenigstens bekommen wir Benzin. Als der Tankstellenbesitzer al erdings sieht, daß ich die zwei großen Fässer füllen wil, muß ich ihm zuerst mein Geld zeigen.
Lketinga hält den Schlauch in das Faß, und ich entferne mich einige Meter, um nach dem Ärger eine Zigarette zu rauchen. Plötzlich schreit er auf, und entsetzt sehe ich das Benzin wie aus einem Wasserschlauch in der Gegend herumspritzen. Schnell bin ich beim Wagen und hebe den weggeworfenen Hahn auf, um ihn abzustel en.
Der Riegel war eingehängt, und das Benzin floß weiter, als das Faß schon vol war.
Einige Liter sind auf den Platz und ein Teil ins Fahrzeug gelaufen. Als ich sehe, wie schlecht sich Lketinga fühlt, versuche ich mich zu beherrschen, während Tom mit seiner Frau abseits steht und vor Scham im Boden versinken möchte. Das zweite Faß dürfen wir nicht mehr füllen, wir müssen zahlen und verschwinden. Ich wäre am liebsten zu Hause in der Manyatta, und zwar ohne Auto. Bis jetzt hat es mir nur Ärger gebracht.
Im Dorf trinken wir schweigend Tee und brechen dann auf. Im Auto stinkt es fürchterlich nach Benzin, und es dauert nicht lange, bis sich das Mädchen übergeben muß. Dann wil sie nicht mehr in den Wagen steigen, sondern nach Hause laufen.
Tom wird wütend und droht ihr, sie in Mara-lal wieder zu ihren Eltern zu schicken und sich eine andere Frau zu nehmen. Das muß eine große Schande sein, denn sie steigt wieder ein. Lketinga hat noch nichts gesprochen. Er tut mir leid, und ich versuche ihn zu trösten. Es ist dunkel, als wir Maralal erreichen.
Die zwei verabschieden sich ziemlich schnel, und wir beziehen unser Lodging.
Obwohl es kühl ist, gehe ich noch unter die spärlich plätschernde Dusche, weil ich vor Dreck und Staub förmlich klebe. Auch Lketinga geht sich waschen. Dann verspeisen wir noch eine große Portion Fleisch im Zimmer. Diesmal schmeckt sogar mir das Fleisch ausgezeichnet, das wir mit Bier herunterspülen. Danach fühle ich mich richtig wohl, und wir verbringen eine schöne Liebesnacht, wobei ich zum ersten Mal mit ihm den Höhepunkt erreiche. Da dies nicht ganz geräuschlos abläuft, hält er mir erschrocken den Mund zu und fragt: „Corinne, what's the problem?“