Und es wird die Schlacht gewinnen, weil sein Kommandant die bessere Strategie entwickelt haben wird.« Bei seiner Eitelkeit gepackt, willigte der Kommandant in den Vorschlag ein. Und von diesem Augenblick an begann er dem Stadthauptmann und Elia Informationen zu verheimlichen.

Weitere zwei Monate vergingen. Eines Morgens hatte das assyrische Heer das Verhältnis von fünf zu eins erreicht. Es konnte jeden Augenblick angreifen.

Seit einiger Zeit schon hatte Elia das ungute Gefühl, daß der Kommandant log, was die Kräfte des feindlichen Heeres betraf, doch letztlich würde sich das zu seinen Gunsten auswirken: Wenn das Verhältnis seinen kritischen Punkt erreicht haben würde, wäre es einfach, die Bevölkerung davon zu überzeugen, daß der Friede die einzige Lösung sei.

Er dachte darüber nach, als er sich zu der Stelle des Marktplatzes begab, an dem er einmal in der Woche den Bewohnern half, ihre Streitigkeiten zu schlichten. Im allgemeinen waren es Nichtigkeiten: Streit zwischen Nachbarn, alte Leute, die keine Steuern mehr zahlen wollten, Kaufleute, die glaubten, bei ihren Geschäften benachteiligt zu werden.

Der Stadthauptmann war auch anwesend. Er pflegte hin und wieder zu erscheinen, um ihm zuzuschauen. Die Abneigung, die Elia gegen ihn gehegt hatte, war gewichen, und der Stadthauptmann entpuppte sich als ein weiser Mann, dem daran gelegen war, Konflikte schon im Vorfeld zu lösen – wenngleich er nicht an die spirituelle Welt glaubte und sich sehr davor fürchtete zu sterben. Mehr als einmal hatte er seine Autorität ins Spiel gebracht, um einer Entscheidung von Elia die Kraft eines Urteils zu verleihen. Manchmal war er auch mit einem Richtspruch nicht einverstanden gewesen, und im nachhinein hatte Elia dem Stadthauptmann recht geben müssen.

Akbar wurde allmählich zu einer phönizischen Musterstadt. Der Stadthauptmann hatte ein gerechteres Steuersystem geschaffen, die Straßen in der Stadt verbessert, er wußte die Einnahmen, die die Stadt aus den Steuern auf die Waren erhielt, klug zu verwalten. Es gab eine Zeit, da hatte ihn Elia gebeten, das Trinken von Wein und Bier zu verbieten, weil die meisten Streitigkeiten, die er zu schlichten hatte, von Betrunkenen ausgelöst worden waren. Der Stadthauptmann hatte jedoch eingewandt, so etwas gehöre zum Leben einer Stadt und es hätte immer geheißen, daß die Götter sich freuten, wenn die Menschen sich nach einem Arbeitstag vergnügten, und daß sie die Betrunkenen beschützten. Zudem sei die Region berühmt dafür, weltweit einen der besten Weine herzustellen. Und die Fremden würden mißtrauisch werden, wenn man in Akbar den eigenen Wein verschmähte.

Elia respektierte die Entscheidung des Stadthauptmanns und stimmte mit ihm darin überein, daß fröhliche Menschen mehr produzieren.

»Ihr braucht Euch nicht so sehr zu mühen«, sagte der Stadthauptmann, bevor Elia sich an die Arbeit dieses Tages machte. »Ein Helfer hilft der Regierung nur mit seiner Meinung.« »Ich habe Heimweh und möchte gern in mein Land zurück.

Doch solange ich mich hier nützlich mache, kann ich vergessen, daß ich hier fremd bin«, entgegnete er. >Und ich kann meine Liebe zu ihr besser unter Kontrolle behalten<, dachte er bei sich.

Das Gericht des Volkes hatte ein zahlreiches und aufmerksames Publikum bekommen. Die Leute strömten herbei: Viele alte Leute waren darunter, die nicht mehr draußen auf den Feldern arbeiten konnten und nun herkamen, um die Richtsprüche Elias abwechselnd zu beklatschen und auszubuhen; andere waren am Schiedsspruch direkt interessiert, weil er entweder Profit oder einen Verlust für sie bedeutete; auch Frauen und Kinder fanden sich ein, die keine Arbeit hatten und so die Zeit totschlugen.

Elia legte kurz die Fälle dar, die an diesem Morgen anstanden: Der erste Fall war der eines Hirten, der von einem Schatz träumte, welcher in der Nähe der Pyramiden versteckt lag, und der Geld brauchte, um dahin zu gelangen. Elia war nie in Ägypten gewesen, doch er wußte, daß es weit weg lag, und sagte dem Hirten, daß er die Mittel für die Reise kaum zusammenbekommen würde – es sei denn, er verkaufte seine Schafe und bezahlte den Preis für seinen Traum: Dann würde er ganz gewiß finden, was er suchte. Anschließend kam eine Frau, die die magischen Künste Israels lernen wollte. Elia sagte, er sei kein Meister der Magie, sondern nur ein Prophet.

Er war gerade dabei, eine gütliche Lösung für einen Streit zwischen zwei Bauern zu finden, von denen der eine die Frau des anderen verflucht hatte, als ein Soldat sich durch die Menge drängte und sich schweißgebadet an den Stadthauptmann wandte: »Einer Patrouille ist es gelungen, einen Spion zu fangen«, keuchte der Soldat. »Er wird gerade hierhergeführt.« Ein Raunen ging durch die Zuschauer. Es war das erste Mal, daß sie einen solchen Prozeß miterleben würden.

»Tötet ihn«, rief jemand. »Tod dem Feind!« Johlender Beifall von allen Seiten. In Windeseile hatte sich die Nachricht in der ganzen Stadt verbreitet, und alles strömte auf den Platz. Die nächsten Fälle konnten nicht mehr richtig angehört und behandelt werden. Ständig gab es Zwischenrufe, die forderten, man möge den Fremden sogleich vorführen.

»Über solch einen Fall kann ich nicht richten«, verwahrte sich Elia. »Das ist Sache der Behörden von Akbar.« »Was wollen die Assyrer hier eigentlich?« rief einer. »Sehen die denn nicht, daß wir hier seit vielen Generationen in Frieden leben?« »Warum wollen sie unser Wasser haben?« rief ein anderer.

»Warum bedrohen sie unsere Stadt?« Seit Monaten wagte niemand mehr, öffentlich über die Anwesenheit des Feindes zu sprechen. Obwohl alle sahen, wie die Zelte am Horizont immer mehr wurden, obwohl die Kaufleute drängten, die Friedensverhandlungen sofort zu beginnen, weigerte sich das Volk von Akbar zu glauben, daß ihnen eine Invasion drohte. Kriege – vereinzelte harmlose Scharmützel mit unbedeutenden Stämmen ausgenommen – gab es nur in der Erinnerung der Priester. Sie sprachen von einem Land namens Ägypten, in dem es Pferde und Kampfwagen und Götter in Tiergestalt gab. Doch dies war alles vor langer Zeit geschehen, Ägypten war kein bedeutendes Land mehr, und die dunkelhäutigen Krieger mit ihrer fremdartigen Sprache waren in ihre Heimat zurückgekehrt. Jetzt beherrschten die Bewohner von Tyrus und Sidon die Meere und dehnten ihr Reich auf die ganze Welt aus; obwohl sie erfahrene Krieger waren, hatten sie eine neue Art des Kampfes entdeckt: den Handel.

»Warum sind sie so erregt?« fragte der Stadthauptmann Elia.

»Weil sie begreifen, daß sich etwas verändert hat. Ihr wißt genausogut wie ich, daß die Assyrer nun jeden Augenblick angreifen können. Ihr wißt genausogut wie ich, daß uns der Kommandant in bezug auf die Stärke der feindlichen Truppen die ganze Zeit belogen hat.« »Aber er wird doch nicht so verrückt sein, dies jemandem zu erzählen. Er würde Panik hervorrufen.« »Jeder Mensch spürt, wann er in Gefahr ist. Er reagiert ganz eigen darauf, er hat Vorahnungen, fühlt, daß etwas in der Luft liegt. Und er versucht, sich etwas vorzumachen, weil er nicht glaubt, der Situation gewachsen zu sein. Bis eben noch haben alle versucht, sich etwas vorzumachen, doch irgendwann kommt der Augenblick, in dem man der Wahrheit ins Gesicht blicken muß.« Der Priester kam heran.

»Laßt uns zum Palast gehen und den Rat von Akbar einberufen. Der Kommandant ist schon auf dem Weg.« »Tut es nicht«, flüsterte Elia dem Stadthauptmann warnend zu.

»Sie werden Euch zwingen zu tun, was Ihr nicht wollt.« »Laßt uns gehen«, sagte der Priester zum zweiten Mal. »Ein Spion wurde gefangen, und es müssen dringende Maßnahmen getroffen werden.« »Laß ihn vor dem Volke richten«, flüsterte Elia. »Sie werden Euch helfen, denn sie wollen den Frieden, obwohl sie den Krieg fordern.« »Bringt diesen Mann hierher«, verlangte der Stadthauptmann.

Die Menge brach in Freudengeschrei aus. Zum ersten Mal würden sie eine Sitzung des Rates erleben.

»Das können wir nicht tun!« sagte der Priester. »Dies ist eine heikle Angelegenheit, die in Ruhe vonstatten gehen muß.« Einige Buhrufe. Viele Protestrufe.


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