Fane sagte in seinem Rücken:»Es mag einige Monate dauern, bis die Angelegenheit bereinigt ist, aber was macht das schon? Die Franzosen bestehen nicht auf sofortiger Besetzung der Insel. Damit gewinnen wir alle mehr Zeit.»

Bolitho gewahrte draußen auf Reede plötzlich eine kleine bewaffnete Brigg, die in den Wind drehte, ihren Anker klatschend fallen ließ und routiniert die Segel barg. An ihrer Gaffel züngelte eine Flagge im Wind, die die gleichen Farben trug wie Achates' Nationale.

Bolitho erwiderte:»Ich bin von der Regierung Seiner Majestät beauftragt, die Insel zu übergeben, Sir. Niemand hat ein Interesse an einem Volksaufstand, schon gar nicht jetzt, da Westindien sich allmählich vom Krieg erholt.»

Die Brigg hatte ein Boot ausgesetzt, das bereits hastig in Richtung des Flaggschiffs pullte.

Bolitho spürte plötzlich einen Nerv an seiner Schläfe zucken. Was hatte diese Eile zu bedeuten? Brachte die Brigg bereits Neuigkeiten aus der Heimat oder.

Widerstrebend wandte er sich vom Fenster ab, zwang sich, dem anderen ins Gesicht zu sehen, obwohl seine von der Sonne geblendeten Augen in der Kajüte kaum etwas erkennen konnten.

«Ich werde Ihrem Präsidenten ein Schreiben senden. Wir wissen zu schätzen, daß er beabsichtigt. «Bolitho unterbrach sich und fuhr herum, weil Ozzard gemurmelt hatte:»Der Kommandant ist hier, Sir.»

Keen stand unter der Tür, den Hut in der Armbeuge.

«Bitte um Nachsicht für die Störung, Sir. «Sein Blick wanderte über die Anwesenden.»Aber der Kommandant der Brigg Electra ist an Bord gekommen — mit einer Nachricht für Sie, Sir. «Keens Blick wurde beschwörend.»Einer sehr ernsten Nachricht.»

Bolitho nickte.»Entschuldigen Sie mich einen Augenblick, meine Herren.»

Er folgte Keen aus der Kajüte und fand einen jungen Offizier vor dem Kartenraum warten. Gepreßt sagte Keen:»Dies ist Kapitänleutnant Napier, Sir. «Bolitho forderte ihn auf:»Berichten Sie.»

Napier mußte schlucken; die Electra war sein erstes Kommando, und er hatte noch nie zu einem Vizeadmiral gesprochen.

«Wir segelten mit südlichem Kurs, als wir eine amerikanische Brigg sichteten. Sie signalisierte um Hilfe, und als ich an Bord ging, stellte ich fest, daß sie britische Seeleute übernommen hatte. «Er senkte den Blick.»Schiffbrüchige.»

Bolitho sah Keen an, dessen Gesicht unter der Sonnenbräune bleich geworden war.

«Überlebende von der Sparrowhawk, Sir«, schloß der Kapitänleutnant gedämpft.

Bolitho verkrampfte die Hände auf dem Rücken, um sich seine Erschütterung nicht anmerken zu lassen. Insgeheim hatte er schon lange befürchtet, daß der kleinen Fregatte Schlimmes zugestoßen war. Aber er hatte an einen Orkan gedacht, an ein heimtückisches Riff oder an irgendeine der vielen anderen Gefahren, denen ein alleinsegelndes Schiff zum Opfer fallen konnte.

Napier berichtete weiter:»Sie wurden überfallen, Sir. Offenbar von einem Zweidecker, obwohl…»

Bolitho sah die Szene vor sich, als hätte er sie miterlebt: Ein Angriff wie damals auf Achates, ohne jede Vorwarnung. Nur war, das Opfer diesmal hoffnungslos unterlegen gewesen, selbst für den Fall, daß Duncan mit Feindseligkeiten rechnete.

«Wie viele Überlebende?»

Wieder konnte der junge Kommandant Bolitho nicht in die Augen sehen.»Fünfundzwanzig, Sir, und einige davon in hoffnungslosem Zustand.»

Bolitho überlief ein kalter Schauder. Fünfundzwanzig aus einer Besatzung von zweihundert Seelen.

«Offiziere darunter?«Fast erkannte er die eigene Stimme nicht.

«Keine, Sir. Nur ein Midshipman. Es war auch noch seine erste Fahrt.»

Also war Duncan mit seinem Schiff untergegangen, dachte Bolitho bitter. Er sah ihn noch vor sich als Gast auf seiner Hochzeitsfeier in Falmouth. Ein guter Offizier, charakterfest und verläßlich.

Es konnte nicht sein. Das träumte er nur.

Der Kapitänleutnant faßte Bolithos Schweigen fälschlich als Mißbilligung auf und fuhr hastig fort:»Der Midshipman berichtete, daß sich der Dritte Offizier in ein anderes Boot gerettet hatte, obwohl von Splittern in Gesicht und Hals getroffen. Während der Nacht trieben die Boote auseinander, und dann kamen die Haie.»

Napier blickte zu Boden.

«Bringen Sie den Midshipman zu mir. «Bolitho sah das Zögern des anderen.»Ist er verwundet?«»Nein, Sir.»

Keen befahl abschließend:»Also veranlassen Sie das.»

Als der Kapitänleutnant davoneilte, wies Bolitho Keen an:»Ve r-ständigen Sie meinen Adjutanten. Er muß sofort an Bord zurückkehren. Mit einem schnellen Pferd oder sonstwie.»

Aber Keen starrte Bolitho immer noch an.»Es war dasselbe Schiff, nicht wahr, Sir?»

«Ganz bestimmt. «Bolithos Blick blieb fest.»Stellen Sie unseren Arzt für die Verwundeten ab. Die Überlebenden der Sparrowhawk werden in unserer Stammrolle übernommen. Sie sollen dabeisein, wenn Achates mit diesem Schlächter abrechnet!»

Damit kehrte Bolitho in seine Kajüte zurück. Aber sein Äußeres mußte sich irgendwie verändert haben. Chases Hand mit dem halbleeren Glas blieb auf dem Weg zu seinen Lippen in der Luft hängen, Ozzard erstarrte mit der Karaffe in der Hand. Fanes Blick folgte Bo-litho zu den Heckfenstern, bevor er fragte:»Eine schlechte Nachricht, Admiral?»

Bolitho fuhr herum und musterte ihn; nur mit Mühe konnte er die weißglühende Wut unterdrücken, die in ihm aufwallte.

«Ich laufe aus, sowie alle meine Leute an Bord sind.»

Chase beugte sich im Stuhl vor, als wolle er Bolitho eingehender betrachten.»Also warten Sie doch nicht auf Ihre Fregatte?»

Bolitho schüttelte den Kopf.»Ich habe das Warten satt.»

Er sah das Boot der Brigg draußen ein zweites Mal heranpullen. Es war grausam, den jungen Midshipman nach allem, was er durchgemacht hatte, zum Rapport zu befehlen. Aber er mußte alles erfahren, was der Junge wußte.

Ruhig sagte er: «Sparrowhawk ist versenkt worden.»

Er hörte Chase überrascht nach Luft schnappen.

Zu Fane gewandt fügte er hinzu:»Sie sehen also, meine Herren, es könnte doch zu Kriegshandlungen kommen, ehe die Übergabe zur Zufriedenheit aller vollzogen wird.»

VI Abschied von Boston

Kapitän Valentine Keen saß mit übergeschlagenen Beinen in Bolithos Kajüte und sah zu, wie sein Vorgesetzter eine Depesche an die Admiralität in London noch einmal durchlas. Sie sollte mit der Brigg Elec-tra abgehen und schließlich von einem Kurierschiff der britischen Marine weiterbefördert werden, was bedeutete, daß sie völlig von den Ereignissen überholt sein würde, wenn Admiral Sheaffe sie endlich in Händen hielt. Keen verfluchte insgeheim die drückende Hitze. Sie lag so lähmend über dem Schiff, daß selbst die kleinste Bewegung zur Qual wurde.

Bolitho setzte seine Unterschrift unter die letzte Seite und sah seinen Flaggkapitän fragend an.»Also, Val, sind wir klar zum Auslaufen?»

Keen nickte und fühlte sofort Schweiß in seinen Kragen rinnen.»Der letzte Wasserleichter hat abgelegt, Sir. Wir warten nur noch..»

Heftig sprang Bolitho auf und schritt zu den offenen Heckfenstern.»Auf meinen Neffen. Er sollte längst an Bord sein.»

Damit hatte er nur seine Gedanken laut ausgesprochen. Das Schiff war klar zum Ankerlichten, alle Boote waren eingesetzt, die Leute vollzählig an Bord. Gereizt starrte er zu der kleinen Brigg hinüber, mit der die Nachricht über den Verlust der Sparrowhawk gekommen war. Ihr junger Kommandant würde aufatmen, wenn er erst dem Einflußbereich dieses fremden Admirals entronnen war. Sein kleines Schiff konnte nun nach Antigua eilen und die Kunde von dem geheimnisvollen Wegelagerer verbreiten, der ohne Namen und Nationalflagge segelte. Bolitho hätte viel darum gegeben, wenn er Electra hätte behalten können, aber es war vorrangig, daß vor dem unbekannten Angreifer gewarnt wurde. Noch andere Schiffe mochten seine Opfer werden.


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