Es klopfte, und Allday trat durch die Tür; seine sonst so leutselige Miene war ernst und unsicher.

«Alles bereit, Sir.»

Knorrig wie Eichenholz, verkörperte Allday für Bolitho viel von jener anderen Welt, die Belinda erwähnt hatte. In seinem besten blauen Rock und den Nanking-Breeches war er das Urbild eines Seemanns, jeder Zoll Bootsführer eines Vizeadmirals. Er diente Bolitho, seit dieser ein junger Kapitän gewesen war. Gemeinsam hatten sie Schönes und Schreckliches erlebt, hatten zu gleichen Teilen Leid und Triumph erfahren.

Als Allday von Bolithos unerwartet früher Beförderung gehört hatte, war sein Kommentar nur gewesen:»Gibt man Ihnen endlich die Flagge im Fockmast, Sir? Wird auch Zeit.»

«Danke, Allday.»

Der Bootsführer hielt Bolitho den neuen Uniformrock zum Hineinschlüpfen hin. Da war er, der einst unerreichbare Wunschtraum des kleinen geplagten Leutnants auf Wache, ja selbst noch des jungen Kommandanten auf seinem ersten Schiff.

Belinda beobachtete ihn, um Haltung bemüht und mit verschränkten Fingern, als hielte sie dahinter ihre Gedanken und Gefühle in Zaum.

«Du siehst stattlich aus, Richard.»

«Sehr stattlich, Madam. «Allday klopfte die Rockaufschläge glatt und vergewisserte sich, daß beide Epauletten mit den silbernen Zwillingssternen richtig saßen. Wenn sie erst auf See waren, würde sich das ändern, dachte er. Aber hier gehörte er zur Familie dieses Hauses, in dem er eine neue Heimat gefunden hatte. Jedenfalls fast zur Familie.

Leise sagte Belinda:»Ich könnte dich bis Hampshire begleiten, Richard.»

Bolitho zog sie an sich.»Nein. Die Fahrt zum Beaulieufluß würde dich überanstrengen. Und denk' an den Rückweg. Ich würde krank vor Sorge.»

Sie widersprach ihm nicht. Obwohl keiner es erwähnte, dachten beide an die verunglückte Kutsche, in der schon einmal Bolithos Glück ein Ende gefunden hatte, an den Unfall seiner ersten Frau, dessen Schrecken erst durch ihr neues gemeinsames Leben getilgt worden war.

Bolitho war dankbar dafür, daß der Weg zu seinem neuen Schiff zu weit war, als daß sie ihn begleiten und das Leben ihres ersten Kindes aufs Spiel setzen konnte. Es war schon schlimm genug, daß er sie jetzt verlassen mußte, obwohl sie ihn so dringend gebraucht hätte. Zwar blieb sein verläßlicher alter Steward Ferguson bei ihr im Haus zurück, auch der Arzt wohnte ganz in der Nähe. Bolithos Schwester Nancy hielt sich öfter bei ihnen auf als in der palastähnlichen Residenz ihres Mannes, des Richters, der weit und breit nur der >König von Corn-wall< genannt wurde. Und nächste Woche wurde Dulcie erwartet, Herricks Frau, die den weiten Weg von Kent auf sich nahm, um Belinda bei der Geburt beizustehen.

Herrick, den seine Beförderung zum Konteradmiral fast in Verlegenheit gebracht hatte, war ein kleines Geschwader unterstellt worden. Er befand sich schon unterwegs nach Gibraltar, wo ihn neue Befehle erreichen würden.

Diesmal erwarteten Bolitho an Bord kaum vertraute Gesichter. Vielleicht war das auch besser so, überlegte er: nichts, was ihn an die Vergangenheit erinnern konnte, an frühere Erfolge und Skrupel.

Belinda sagte in seine Gedanken hinein:»Sei vorsichtig um meinetwillen, Richard. Es fällt mir furchtbar schwer, dich ziehen zu lassen, aber ich weiß ja, daß es nicht anders geht.»

Bolitho hielt sie an sich gepreßt. Warum fand man die rechten Worte immer erst dann, wenn es zu spät war?

Seit er mit seinem Geheimauftrag von der Admiralität zurückgekehrt war, hatte sie es irgendwie geschafft, ihre Enttäuschung, ihren Kummer zu verbergen. Nur einmal, nachts, hatte sie aufgestöhnt.»Warum gerade du? Mußt du denn wirklich fort?«Und dann war sie wieder in einen unruhigen Schlaf gefallen, als wüßte sie, daß es auf ihre Frage keine Antwort gab.

Draußen erklang Alldays Stimme, der das Verladen der letzten Gepäckstücke beaufsichtigte. Armer Allday, dachte Bolitho. So bald nach den Strapazen der französischen Gefangenschaft mußte er nun wieder hinaus. Aber er war stets da, wenn er gebraucht wurde, ein Freund und guter Zuhörer, dem Bolitho sich anvertrauen konnte, falls er einen Gesprächspartner suchte, der außerhalb der Hierarchie stand und offen seine Meinung sagen konnte.

Alldays Loyalität hatte Bolitho schon manches Mal beschämt. Sein Lebensinhalt bestand darin, ihm zu dienen, er besaß weder eine Frau, die auf ihn wartete, noch ein Zuhause. Irgendwie kam es ihm unfair vor, daß er Allday schon wieder mit hinaus schleppte, obwohl er sich ein geruhsames Leben an Land wahrhaftig verdient hatte. Doch Bo-litho wußte, daß ihn der Vorschlag, diesmal zu Hause zu bleiben, verletzt und aufgebracht hätte.

Aber jetzt mußte er endlich aufbrechen.

Gemeinsam schritten sie zum Portal, entschlossen, den Augenblick, den sie fürchteten, gefaßt zu bestehen.

Grelles Sonnenlicht überfiel sie, und Bolitho mußte sich zwingen, zu der verhaßten Kutsche hinüberzusehen. Von allen anderen Bewohnern des Hauses hatte er sich schon verabschiedet, auch von seiner Schwester und dem einarmigen Ferguson.

Er sagte:»Ich sende dir eine Nachricht mit dem ersten Kurierschiff, das uns begegnet. Wenn ich in Amerika eingetroffen bin, wird man mir wahrscheinlich die umgehende Rückkehr befehlen.»

Er spürte, wie sich ihr Arm unwillkürlich verkrampfte, und zürnte sich selbst, daß er ihr falsche Hoffnungen machte.

Admiral Sheaffe hatte Bolithos Zweifel an der Bedeutung seiner Mission nicht ausräumen können. Er sollte Boston anlaufen,»neutralen Boden«, wie er es nannte, und dort mit französischen und amerikanischen Beamten die formelle Übergabe einer Insel vollziehen, wie es im Frieden von Amiens vorgesehen war.

Bolitho hielt das alles für einen großen Fehler. Hier wurde dem Erzfeind Englands eine Insel überlassen, deren Eroberung das Leben so vieler Landsleute gekostet hatte. Deshalb hatte er sich einen Protest dem Admiral gegenüber nicht versagen können.

«Wir haben einen Friedensvertrag unterzeichnet, Sir Hayward, keine Kapitulation!»

Aber in dem kühlen Amtszimmer hatte die Bemerkung seltsam kindisch geklungen. Sheaffe antwortete denn auch ungerührt:»Richtig. Und wir wünschen nicht, daß Sie einen neuen Krieg auslösen, Sir!»

Als wollten sie den Abschied beschleunigen, scharrten die Pferde ungeduldig auf dem Kopfsteinpflaster.

Bolitho küßte Belinda lange und schmeckte Salz auf ihren Lippen.

«Ich komme wieder, Belinda.»

Sanft löste er sich von ihr und schritt die ausgetretenen Stufen zur wartenden Kutsche hinunter. Allday stand hinten bei dem Burschen, aber Bolitho winkte ihn herbei.

«Setz dich zu mir, Allday.»

Dann wandte er sich ein letztes Mal nach Belinda um. Vor der grauen Wand des Hauses wirkte sie seltsam verwundbar, und er hätte sie gern tröstend umfaßt.

Mit einem Ruck wandte er sich ab. Im nächsten Augenblick saß er in der Kutsche, und die Räder ratterten über das Pflaster und durchs Tor hinaus.

Es war vorbei.

Allday preßte die Hände zusammen und ließ Bolithos düsteres Gesicht nicht aus den Augen. Die sieben Monate an Land waren ihm wie eine Ewigkeit vorgekommen. Natürlich hatte er sich gehütet, Bolitho das merken zu lassen. Seit Allday sich hier in Cornwall als Schafhirte durchgeschlagen hatte, war er noch nie so lange an Land gewesen. Damals hatte die Preßpatrouille eines vor der Küste ankernden Kriegsschiffes mehrere Männer der Umgebung zwangsrekrutiert. Allday war unter ihnen gewesen, auch Ferguson. In der Schlacht bei den Saintes hatte der Pechvogel dann seinen Arm verloren, war aber wie Allday in Bolithos Diensten geblieben.

Die warme Frühlingsluft und der schwere Duft der Wiesen machten Allday schläfrig; er wußte, daß Bolitho zwar nicht allein sein wollte, aber ebensowenig in gesprächiger Stimmung war. Zum Schwatzen blieb noch genug Zeit auf ihrer langen Reise nach Hampshire zum Fluß Beaulieu, wo ihr neues Schiff wartete. Außerdem lagen einsame Wochen und Monate vor ihnen, in denen sie auf Gesprächsstoff angewiesen waren.


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