Das neue Schiff — wie mochte es sein? Allday war selbst erstaunt über seine Neugier. Sein Posten als Bootsführer des Vizeadmirals machte ihn zwar unangreifbar, aber er war doch zu sehr Seemann, um nicht auf das neue Schiff gespannt zu sein.

Kein Linienschiff ersten Ranges, mit hundert oder mehr Kanonen, nicht mal eines mit 74 Kanonen wie die Benbow, Bolithos letztes Flaggschiff; nein, eines der kleinsten Linienschiffe, die noch im Dienst standen.

Seiner Britannischen Majestät Schiff Achates verfügte nur über 64 Kanonen und gehörte zu einer aussterbenden Klasse. Es war eher eine zu groß geratene Fregatte als eines jener schweren Linienschiffe, die auch den mörderischen Breitseiten des Nahkampfes widerstehen konnten.

Mit ihren 21 Jahren war sie ein Veteran und hatte alle möglichen Schlachten und Gefechte erlebt. Meist war sie in der Karibik stationiert gewesen und unzählige Male von ihrem Heimathafen auf Antigua zum südamerikanischen Festland und zurück gesegelt.

Etwas unbehaglich fragte sich Allday, warum gerade sie zu Bolithos Flaggschiff bestimmt worden war. Wahrscheinlich bloß wieder so eine Hirnverbranntheit von oben, sagte ihm sein gradliniger Verstand. Für seine Verdienste und Leiden um England hätte Bolitho längst der Adelstitel gebührt, war Alldays Meinung. Aber an höherer Stelle schienen nur zu oft Haß und Mißgunst dem Mann entgegenzuschlagen, für den Allday jederzeit sein Leben geopfert hätte.

Dann dachte er an den Abschied, dessen Zeuge er gerade geworden war. Ein schönes Paar, diese beiden: die bezaubernde Lady mit den langen, kastanienbraunen Flechten und der junge Vizeadmiral, dessen rabenschwarzes Haar noch keine weiße Strähne aufwies.

Auf dem Sitz gegenüber sah Bolitho zu, wie Alldays Kopf langsam auf die Brust sank; er spürte die Kraft des Schlummernden und war dankbar, daß er ihm schweigend Gesellschaft leistete. An Land hatte Allday einige Pfunde zugenommen und wirkte jetzt so, als könne nichts und niemand ihn umwerfen. Trotz seines Kummers mußte Bo-litho lächeln. Er hatte Allday erlebt, wie er sich mit löwenhaftem Mut über das blutige Deck zu ihm durchschlug, aber auch, wie er mit Tränen in den Augen seinen verwundeten Kommandanten nach unten ins Lazarett trug. Nein, ein Schiff ohne Allday konnte er sich nicht vorstellen.

Auch nicht sein neues Flaggschiff, das ihn zu diesem Sondereinsatz nach Amerika und in die Karibik tragen sollte.

Wenigstens war der Kommandant ein alter Freund: Valentine Keen, vor langer Zeit einer von Bolithos Seekadetten, der seither bei den verschiedensten Gelegenheiten Freud und Leid mit ihm geteilt hatte. Der letzte Kommandant der Achates war am Fieber gestorben, unterwegs von Antigua zu der Werft, wo sie gebaut worden war und die längst fällige Überholung erhalten sollte.

Bolitho war froh, daß er Keen als Flaggkapitän bekommen hatte. Er warf einen Blick auf den schlummernden Allday und erinnerte sich daran, wie sein Bootsführer einst Keen das Leben gerettet hatte, als er ihm mit eigener Hand einen langen Holzsplitter aus dem Leib schnitt, weil der Schiffsarzt zu betrunken gewesen war.

Sie fuhren an einer Gruppe Feldarbeiter vorbei, die an einem Gatter lehnten und Apfelwein aus groben irdenen Krügen tranken. Bolitho sah, daß einige zur Kutsche aufblickten, einer hob sogar grüßend die Hand. Bald mußte man es in und um Falmouth wissen: Wieder war ein Bolitho ausgezogen. Ob er wohl zurückkehren würde?

Abermals dachte er an Belinda, die er in dem weitläufigen alten Steinhaus allein zurücklassen mußte. Hoffentlich… Aber er war nicht der erste Marineoffizier, der fort mußte, wenn ihn seine Frau oder seine Familie am meisten brauchte. Bolitho strich über die neue Goldlitze an seinem Rock und setzte sich gerade. Genausowenig wie er der letzte war, dem dies geschah.

Der Friede konnte nicht dauern, mochten die Politiker das auch überall herumposaunen. Zu viele Leben waren geopfert worden, zu viele Ungerechtigkeiten nicht gesühnt.

Wenn England sechzig von seinen hundert Linienschiffen außer Dienst stellte und gut vierzigtausend Matrosen und Seesoldaten nach Hause entließ, dann hätte Frankreich doch mit Blindheit geschlagen sein müssen, um nicht seinen Vorteil aus solcher Vertrauensseligkeit zu ziehen.

Aber es war besser, über Achates' Bestimmungsort nachzudenken, sagte sich Bolitho: die kleine Insel San Felipe, die wie ein verwitterter Wachtposten die Enge zwischen Kuba und Haiti beherrschte. Wie andere Inseln in der Karibik blickte sie auf ein bewegtes und blutiges Schicksal zurück. Ursprünglich in spanischem Besitz, war sie von Frankreich erobert und bis zur Amerikanischen Revolution gehalten worden. Dann hatte England sie nach harten Kämpfen und unter dem Verlust vieler Menschenleben an sich gebracht.

Und jetzt, so wollte es die Übereinkunft mit Frankreich, sollte diese Insel als Geste des guten Willens zurückgegeben werden. Aber es war nicht mehr die gleiche Insel. Als Admiral Rodneys Schiffe sie 1782 erobert hatten, nur ein Jahr nach Achates' Stapellauf, war sie ein ödes, menschenfeindliches Stück Land gewesen. Während sie jetzt, so hatte Bolitho bei der Admiralität erfahren, vor Wohlstand und Fruchtbarkeit strotzte.

Als Gouverneur regierte dort zur Zeit ein pensionierter Vizeadmiral, Sir Humphrey Rivers, Ritter des Bath-Ordens. Er hatte San Felipe zu seiner Lebensaufgabe gemacht und den Hafen in Georgetown umbenannt, was die endgültige Zugehörigkeit der Insel zum britischen Weltreich noch unterstreichen sollte.

Georgetown besaß einen geschützten Naturhafen, und der Handel mit Rohrzucker, Kaffee und Melasse blühte. Der wachsende Wohlstand war vor allem der Sekundärbevölkerung aus afrikanischen Sklaven zu danken.

Admiral Sheaffe hatte Bolitho erklärt, daß San Felipe während des Krieges zwar ein wichtiger Stützpunkt gewesen war, von wo aus die Seewege nach Jamaika kontrolliert und feindliche Freibeuter bekämpft werden konnten, daß die Insel aber im Frieden nur eine Belastung darstelle und nicht mehr gebraucht werde.

Schon damals hatte Bolitho das nicht eingeleuchtet, und jetzt, als die Kutsche bergab fuhr und in der Ferne sich der Blick auf die See öffnete, kam ihm das Ganze noch absurder vor.

War die Insel so wichtig gewesen, daß viele für sie sterben mußten, dann war sie es doch gewiß wert, daß man sie behielt?

Bolitho empfand die Übergabe als einen Verrat, der mehr Indolenz verriet, als er seinem Land jemals zugetraut hätte. Und warum hatte man damit ihn beauftragt, nicht einen jener wendigen Politiker?

Sie brauchten einen Mann, der ebenso taktvoll wie tapfer handeln konnte, hatte Sheaffe gesagt.

Das entlockte Bolitho nur ein grimmiges Lächeln. Solche und ähnliche Begründungen hatte er schon oft gehört. Wenn die Sache gut ausging, heimsten andere die Ehre ein. Aber machte er auch nur einen falschen Zug, fiel die volle Verantwortung auf ihn zurück.

Am besten gab er das Grübeln über seine Order ganz auf. Er hatte sie schwarz auf weiß, und darüber hinaus konnte er nicht planen. Bis sein Schiff den Anker fallen ließ, mochte sich die Lage grundlegend geändert haben.

Aber Browne als Flaggleutnant würde er vermissen. Seit Browne ihm als Adjutant beigegeben worden war, hatte er diesen intelligenten und im Umgang mit Admiralität und Regierung geschulten Mann schätzen gelernt. Doch vor einigen Monaten war sein Vater gestorben, und Browne war jetzt Herr über einen Landbesitz, dessen Ausmaß Bolithos Vorstellungsvermögen fast überstieg.

Zum Abschied war Browne allerdings noch einmal nach Cornwall gekommen. Für beide war es eine schmerzliche Trennung gewesen, und Bolitho hatte sich damals entschlossen, seinen Neffen Adam Pas-coe als neuen Adjutanten anzufordern. Auch wenn es Bolitho widerstrebte, seine Befugnisse für eine private Gunst zu benutzen, glaubte er, ihm diesen Dienst schuldig zu sein; zu viele junge Offiziere saßen ohne Aufgabe und Sold an Land. Schließlich liebte er seinen Neffen wie einen Sohn, und sie hatten manchen Kampf gemeinsam bestanden. Die neue Erfahrung konnte ihm nützlich sein.


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