Bolitho schenkte zwei Gläser Wein ein und reichte Keen eines davon.

«Sie sind mir ein guter Flaggkapitän, Val. Nur ein mutiger Mann konnte das eben aussprechen. Und es stimmt. Private Gefühle dürfen jetzt keine Rolle spielen. Später vielleicht — aber jetzt würde jedes Zeichen von Besorgnis sofort das ganze Schiff anstecken. «Er hob sein Glas und ließ den Wein in der Sonne funkeln.»Das alte Käthchen wird sich bald tapfer schlagen müssen. Einen Admiral, der vor privaten Sorgen an nichts anderes mehr denkt, kann sie nicht gebrauchen.»

Ein zaghaftes Klopfen an der Tür, und dann trat Yovell ein, den Blick wie gebannt auf Bolitho gerichtet.

Keen mußte wegsehen, als Bolitho den Brief aus Yovells Hand entgegennahm. Er wäre gern gegangen, wagte aber nicht, sich zu rühren. Yovell empfand anscheinend ebenso.

Bolitho überflog den kurzen Brief und faltete ihn dann sorgsam.

«Bringen Sie das Schiff bitte in Fahrt, wenn Sie soweit sind. Der Wind sollte reichen zum Auslaufen.»

Er begegnete Keens fragendem Blick.

«Der Brief kommt von meiner Schwester in Falmouth. Meiner Frau. «Als beschwöre er damit Unheil herauf, zögerte er, ihren Namen auszusprechen.»Belinda geht es nicht gut. Der Brief wurde schon vor ziemlich langer Zeit geschrieben, denn das Postschiff hat noch andere Häfen angelaufen, ehe es nach Boston kam. Aber sie wollte mich wissen lassen, daß sie an mich denkt.»

Er wandte sich ab, weil seine Augen plötzlich brannten.»Auch wenn sie zu krank war, um selbst zu schreiben.»

Keen sah in Yovells erschrecktes Gesicht und bedeutete ihm mit einer Kopfbewegung, sich zurückzuziehen.

Als sie allein waren, sagte er leise:»Sie tat es aus Liebe zu Ihnen, Sir. Und nur das sollten Sie sich vor Augen halten.»

Bolitho sah ihn an und nickte dann.»Danke, Val. Bitte, lassen Sie mich jetzt allein. Ich komme gleich an Deck.»

Keen schritt an dem Wachtposten draußen vorbei und mußte wieder an Herrick denken; der hätte bestimmt gewußt, was tun. Er aber fühlte sich so hilflos, auch wenn es ihn tief bewegte, daß Bolitho seine Sorgen mit ihm geteilt hatte.

Auf dem Achterdeck entdeckte er Allday neben einem Acht-zehnpfünder und winkte ihn heran.

Allday hörte zu, was sein Kommandant zu sagen hatte, und seufzte dann tief auf.»Ich gehe nach achtern, Sir«, sagte er.»Er hat jetzt einen Freund nötig. «Ein schiefes Grinsen zog über sein Gesicht.»Wahrscheinlich geigt er mir die Meinung für meine Frechheit — aber was soll's? Wenn wir's nicht verhindern, klappt er zusammen wie ein Schnappmesser, darauf können Sie Gift nehmen.»

Keen rückte seinen Hut gerade und trat ins Sonnenlicht hinaus, wo ihn seine Offiziere und der Master schon erwarteten.

«Klar zum Ankerlichten, Mr. Quantock. Und denken Sie daran, daß uns der halbe Hafen beobachtet. Also keine Patzer, wenn ich bitten darf.»

Als die Offiziere auf ihre Stationen eilten und die Bootsmannsmaatgehilfen mit schrillem Pfeifen alle Mann an Deck riefen, sprang Keen leichtfüßig die Leiter zur Poop hinauf und musterte die verankerten Schiffe rundum und den Winkel des Verklickers im Masttopp.

Mit einem letzten Blick auf das offene Skylight zu seinen Füßen, unter dem er Bolitho wußte, formte er einen Schalltrichter mit beiden Händen und rief:»Mr. Mountsteven, Ihre Leute bewegen sich heute wie Krüppel!»

Gehorsam tippte der Offizier an seinen Hut und sputete sich. Keen atmete tief aus. Jetzt fühlte er sich schon etwas besser. Er war wieder der Kommandant, wie ihn alle kannten.

Der schwarze Kutscher wischte sich die Hände an einem Lappen ab und verkündete:»Das Rad is' wieder ganz, Sir.»

Adam half Robina aufstehen, und sie traten zögernd aus dem Schatten der Bäume auf die staubige Straße hinunter.

Die Kutsche hatte in einer Kurve ein Rad verloren und war in den Graben gekippt. Es gab einen Augenblick totaler Konfusion, der Wagenschlag flog auf, und sie wären fast hinausgeschleudert worden. Aber Adam hatte instinktiv reagiert, in dem einzigen Gedanken, seine Gefährtin vor Schaden zu bewahren. So war der Zwischenfall, der mit Blut und Tränen hätte enden können, zum glücklichen Abschluß seines Besuches geworden. Denn als sich der Staub verzog, als Kutscher und Lakai ängstlich herbeieilten und ins Innere der Kutsche spähten, fanden sie Robina fest von Adams Armen umschlossen, seinen Mund tief in ihr blondes Haar gepreßt. Adam spürte ihr Herz schlagen, ebenso heftig wie sein eigenes.

Die Reparatur dauerte länger als erwartet, aber Adam bemerkte es kaum. Hand in Hand waren sie durch die grüne Parklandschaft gewandert, hatten an einem Bach dem Murmeln des Wassers gelauscht und von allen möglichen Dingen gesprochen, nur nicht von dem, was ihre Herzen bewegte.

Adam kam sein Besuch in Newburyport überhaupt wie ein einziges Abenteuer vor. Robina und ihr Vater hatten ihn zu einem kleinen, gemütlichen Haus begleitet und ihn fasziniert beobachtet, als er von einem Zimmer ins andere wanderte, geführt vom jetzigen Besitzer, einem Freund der Familie; Adam hatte die Tapeten berührt, die Kaminsimse und einen alten Sessel, der schon lange zum Inventar gehörte.

Robina hatte nasse Augen bekommen, als er sich in den großen Sessel setzte, beide Hände um die abgewetzten Armstützen gekrampft, als wolle er sie nie mehr loslassen.

Leise hatte er gesagt:»Hier hat mein Vater gesessen, Robina. Mein Vater.»

Er konnte es immer noch nicht glauben.

Jetzt glitt ihre Hand unter seinen Arm, und ihre Wange legte sich gegen seinen Uniformrock.

«Du mußt gehen, Adam«, sagte sie.»Ich habe dich schon viel zu lange aufgehalten.»

Zusammen schritten sie zur Kutsche und kletterten hinein. Als die Pferde anzogen, flüsterte das Mädchen:»Jetzt werden wir bald in Boston sein. «Sie wandte sich ihm zu und sah ihm in die Augen.»Wenn du möchtest, darfst du mich küssen, Adam. «Halb scherzend fügte sie hinzu:»Hier kann uns schließlich keiner sehen. Ich möchte nicht, daß die Leute Robina Chase für leichtsinnig halten.»

Ihre Lippen schmeckten frisch und kühl, ihr Haar duftete nach Blumen»

Dann schob sie ihn sanft von sich und senkte den Blick.»Also wirklich, Leutnant. «Aber sie konnte den schnippischen Ton nicht durchhalten. Atemlos fuhr sie fort:»Ist das die Liebe, Adam?»

Adam lächelte wie in Trance.»Das muß sie wohl sein.»

Die Kutsche rollte über Kopfsteinpflaster und dann auf die Bohlen der Pier. Passanten blieben stehen und sahen zu, wie der junge britische Marineoffizier dem blonden Mädchen fürsorglich beim Aussteigen half.

Adam starrte erstaunt auf die Reede hinaus. Dann sah er das Mädchen an seinem Arm an.»Was mache ich jetzt, Robina?»

Denn es schockierte ihn wie eine kalte Dusche, daß Achates verschwunden war.

«Also hier seid ihr. «Jonathan Chase nickte seiner Nichte zu und berichtete mit grimmigem Lächeln:»Sie ist gestern ausgelaufen. Der

Admiral konnte gar nicht schnell genug nach San Felipe kommen. «Er spielte mit dem Gedanken, dem Leutnant vom Untergang der Spar-rowhawk zu erzählen, entschied sich aber mit Rücksicht auf seine Nichte dagegen.

Statt dessen schlug er vor:»Sie kommen besser mit mir, junger Mann. Morgen will ich sehen, wie ich Ihre Weiterreise arrangieren kann. Sie möchten doch zurück auf Ihr Schiff, oder?»

Er sah, wie ihre Hände sich fanden und begriff, daß sie ihm gar nicht zugehört hatten. Stirnrunzelnd ging er dem jungen Paar zu seiner Kutsche voraus. Robina war sein Augapfel, aber er mußte den Tatsachen ins Gesicht sehen, an Land ebenso wie früher auf See.

Sie waren ein auffallend schönes Paar, aber Robinas Familie würde niemals zulassen, daß sich mehr aus dieser Bekanntschaft entwickelte. Was hatte er sich nur dabei gedacht, als er die beiden zusammenführte?

Ein junger Marineoffizier, noch dazu ein Engländer, dessen einzige Zukunft die Kriegsmarine war, konnte kein aussichtsreicher Bewerber um Robina Chase sein. Also mußte er wieder auf sein Schiff geschafft werden — je schneller, desto besser.


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