«Nein, Sir. «Seine Augen huschten durch die geräumige Kajüte.»Dies hier war sein Zuhause, Sir. Er hatte keine Familie, bloß das Schiff. «Wieder schluckte er, als habe er schon zuviel gesagt.»Kann ich abräumen, Sir?»

Bolitho nickte nachdenklich und trat wieder ans Fenster. Das war die bisher beste Erklärung. Unter Turner war die Hyperion eine schwimmende Behausung geworden, eher ein Lebensraum als ein Kriegsschiff. Und ihre Besatzung, seit drei Jahren ohne Feindberührung oder sonstige große Härten fern von England, war vermutlich ebenso unvorbereitet auf die Anforderungen, die Blockade und Krieg an sie stellen würden.

Zweimal im Lauf des Tages war Quarme, der Erste Offizier, bei Bolitho gewesen, um zu melden, wie es voranging. Auf Bolithos beiläufige Fragen hatte er mehr oder weniger zugegeben, daß Turner zwar ein guter Kapitän gewesen war, aber keine Initiative entwickelt hatte. Jedoch war es schwierig herauszufinden, was Quar-me wirklich dachte. Er war achtundzwanzig Jahre alt, ruhig, ve r-schlossen, und machte den Eindruck eines Mannes, der auf seine Chance wartete. Daran mochte er durchaus recht tun — überall wurden Schiffe in Dienst gestellt, und es gab bereits Ausfälle durch Tod und Verwundung. Wenn nichts dazwischenkam, konnte Quarme noch in diesem Jahr ein eigenes kleines Kommando erhalten. Bolitho war zuerst stutzig geworden, weil Turner keine Beurteilung des Leutnants hinterlassen hatte, die ihn für dergleichen qualifizierte. Inzwischen aber hatte er sich ein Bild von seinem Vorgänger gemacht, und es begann ihm zu dämmern, daß Turner wahrscheinlich gewünscht hatte, das Schiff und alles an Bord, einschließlich der Offiziere, möge so bleiben, wie es war. Eine einleuchtende, aber egoistische Haltung.

Es gab noch einen weiteren Faktor in Turners Persönlichkeit, der ihm zu schaffen machte. Unter den privaten Papieren, die Quarme nach Turners Tod geöffnet hatte, fand sich so etwas wie ein Testament. Es enthielt ein paar Legate an einige entfernte Verwandte — aber was Bolitho auffiel, war das sauber geschriebene Kodizill am Schluß:». und dem nächsten Kommandanten dieses Schiffes hinterlasse und vermache ich alle meine Möbel und Ausrüstungsgegenstände, meinen Weinvorrat und meine persönliche Habe in der aufrichtigen Hoffnung, daß er alles auch weiterhin zu seinem und des Schiffes Nutzen verwenden möge.»

In der Tat ein merkwürdiges Vermächtnis. Erst wollte Bolitho alles durch Allday einpacken und in die Garnison bringen lassen. Aber dann hatte er es sich anders überlegt, denn in seiner Ungeduld, zur Hyperion zu stoßen, hatte er England in höchster Eile verlassen und führte — abgesehen von seinen Uniformen und einigen wenigen privaten Habseligkeiten — nichts mit sich, was das Leben an Bord eines Linienschiffes erleichtern konnte. Nun, während er sich in der großen Kajüte umsah, war er doch nicht ganz mit dieser Lösung zufrieden. Es war, als hätte er Turner, indem er auf dessen ausgefallenen Wunsch einging, die Möglichkeit gegeben, noch an Bord zu bleiben. Er mochte tot und bestattet sein, aber hier in der Kapitänskajüte schien das Gedenken an ihn fast in der Luft zu hängen, als sei er noch persönlich gegenwärtig.

Wieder klopfte es, und diesmal war es Quarme. Er trug den Hut unterm Arm, und über seine dienstlich-gemessene Miene spielten Sonnenreflexe.»Offiziere wie befohlen in der Messe versammelt, Sir«, meldete er. Noch während er sprach, wurden an Deck vier Glasen* der Nachmittagswache angeschlagen — er mußte wohl draußen vor der Tür auf den richtigen Moment gewartet haben.

* An Bord wird jede halbe Stunde durch Glockenschläge markiert. Eine Wache dauert vier Stunden, also acht Glasen. Die Bezeichnung rührt von der Dreißig-Minuten-Sanduhr (= Stundenglas) her, früher dem einzigen Zeitmesser an Bord (d. Ü.).

«Recht so, Mr. Quarme. Ich bin bereit. «Er nahm den Uniformrock von der Stuhllehne, rückte die Halsbinde zurecht und zog ihn an.»Ich bin mit dem Logbuch fertig, Sie können es mitnehmen.»

Quarme antwortete nicht, sondern blickte auf den alten Degen, der am polierten Schott hing. Alldays erste Handlung war es gewesen, ihn dort aufzuhängen; und als Bolitho den Blicken Quarmes folgte, dachte er an seinen Vater und Großvater. Selbst im hellen Sonnenlicht sah der Degen schwärzlich und alt aus. Doch auch wenn er nichts anderes von Falmouth mitgebracht hätte als diesen Degen, wäre ihm der mehr wert gewesen als alles, was er sonst besaß. Halb und halb erwartete er, daß Quarme eine Bemerkung machen würde. Herrick hätte das getan. Aber diese Vergleiche waren unnütz. Kalt befahl er:»Gehen Sie voran, bitte!»

Seit seinem allerersten Kommando, der winzigen Schaluppe Spar-row, hatte Bolitho immer darauf geachtet, daß er seine Offiziere so bald wie möglich näher kennenlernte. Während er jetzt hinter Quarme auf das Achterdeck hinaustrat und die breite Stiege zum Hauptdeck hinunterschritt, fragte er sich, wie seine neuen Untergebenen beschaffen sein würden. Jedesmal befiel ihn bei solchen Anlässen eine gewisse Nervosität, obwohl er sich oft genug gesagt hatte, daß gespannte Erwartung viel eher Sache der anderen war.

Die Offiziersmesse lag direkt unter seiner eigenen Kajüte; wie dort liefen die Heckfenster über die ganze Breite des Raumes. Aber an den Wänden lagen winzige Schlafkammern, und in den Ecken standen dicht an dicht Seekisten und alles mögliche, was zur persönlichen Ausrüstung der einzelnen gehörte. Auch zwei Geschütze der oberen Batterie von Zwölfpfündern befanden sich im Raum; und Bolitho empfand eine flüchtige Befriedigung darüber, daß seine eigenen Räume nicht wie dieser hier aus- und umgeräumt werden mußten, wenn» Klar Schiff zum Gefecht «befohlen wurde; dabei gab es immer ein furchtbares Durcheinander, und manches ging zu Bruch.

Die Messe war ziemlich voll, die Anwesenden mußten stehen, denn Bolitho hatte ausdrücklich befohlen, daß außer den fünf Leutnants und den Offizieren der Marine-Infanterie auch die Midship-men und höheren Deckoffiziere anwesend sein sollten. Diese letzteren bildeten, wie er aus hart erworbener Erfahrung wußte, das wahre Bindeglied zwischen Achterdeck und Mannschaftslogis.

Er setzte sich ans obere Ende des langen Tisches und legte den Hut auf die zusammengerollte Karte.»Setzen Sie sich, meine Herren, oder bleiben Sie stehen — ganz nach Belieben. Meinetwegen brauchen Sie Ihre Gewohnheiten nicht zu ändern. «Höfliches Gelächter — der Kommandant war genaugenommen nur Gast in der Offiziersmesse; was passieren würde, wenn man ihm diese Gastfreundschaft versagte, war jedoch eine andere Frage. Bolitho rollte die Karte auf und war sich dabei bewußt, daß aller Augen mehr an ihm als an der Karte hafteten.

«Wie Sie vorhin gehört haben, sollen wir zu Lord Hood stoßen. Es gibt in Toulon gewisse Elemente — Franzosen zwar, doch strikt gegen die gegenwärtige revolutionäre Regierung —, die mit einiger Nachhilfe durchaus einen Umsturz einleiten könnten. Wenn wir unsere Stärke zeigen und jede Gelegenheit nutzen, um den Schiffsverkehr des Feindes zu schädigen, haben wir eine Chance, diese Situation zu fördern. «Er schaute auf und sah das blasse Gesicht des kleinen Seton, von den Schultern zweier Offiziere eingerahmt. Gleichmütig fuhr er fort:»Etwa Mitte Juni wird Lord Hood genügend Kräfte versammelt haben, um all das zu ermöglichen. Jedes Schiff wird gebraucht. Daher ist es von grundlegender Wichtigkeit, daß jeder einzelne Offizier sein Äußerstes tut, um den Ausbildungsstand und damit die Kampfbereitschaft zu verbessern. «Sein Blick überflog die gespannten Gesichter.»Vermutlich werden wir in nächster Zeit keine Gelegenheit haben, unsere Fehlstellen aufzufüllen — ist das klar?»

Leise sagte Quarme:»Ich glaube, der Zweite Offizier hat eine Frage, Sir.»

Bolitho blickte hinüber zu einem müde und gelangweilt dreinschauenden Offizier, der auf einer Seekiste saß.»Ihr Name ist mir entfallen«, sagte er.

Der Leutnant sah ihm kühl ins Gesicht.»Sir Philip Rooke, Sir.»


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