Sein Ton klang keinesfalls aufsässig, trotzdem konnte Bolitho die Herausforderung in den blassen Augen des Leutnants erkennen.

«Ja, Mr. Rooke, und Ihre Frage?«Bolithos Stimme war ebenso unbewegt.

Gleichmütig erwiderte Rooke:»Wir sind jetzt drei Jahre auf See. Das Unterwasserschiff ist grasgrün und die Hyperion so langsam wie eine alte Kuh. «Ein zustimmendes Murmeln ließ sich hören, und Rooke fuhr fort:»Captain Turner war davon überzeugt, daß wir vor Brest abgelöst und noch in diesem Monat nach Portsmouth zurücksegeln würden.»

Bolitho musterte ihn nachdenklich. Rooke war also der erste, der die Maske fallenließ. Trocken erwiderte er:»Captain Turner ist tot.

Aber ich bin davon überzeugt, er hätte sich auf keinen Fall die Chance entgehen lassen, mit der Hyperion seine Pflicht zu tun.»

Rowlstone, der Schiffsarzt, ein kleiner, ungesund aussehender Mann mit tiefgefurchtem, talgweißem Gesicht, sprang auf.»Ich habe getan, was ich konnte, Sir! Er starb an Herzversagen. «Mit wilden Augen blickte er sich um.»An seinem Schreibtisch! Ich konnte ihm nicht mehr helfen, verstehen Sie?»

Rooke starrte ihn wütend an.»Was wissen Sie denn, Mann? Sie sind doch eher ein Schlächter als ein Arzt!»

Ashby, der Hauptmann der Marine-Infanterie, zog den Bauch ein und schnippte ein Stäubchen von seiner handschuhengen Uniform.»Kommandant Turner war ein guter Mann. Wir vermissen ihn alle, jawohl. «Er sah Bolitho fest ins Gesicht.»Bin aber Ihrer Ansicht, Sir. Wir haben schließlich Krieg. Äh — Hauptsache: kämpfen. Ja-woll.»

«Danke, Captain Ashby«, lächelte Bolitho trocken.»Das ist sehr beruhigend.»

Dann blickte er hinüber zu Gossett, dem Segelmeister* und Steuermann. Der war ein Kerl wie ein Faß, und obwohl er am Tisch saß, war sein Kopf fast in gleicher Höhe mit dem des verzweifelten Schiffsarztes, der immer noch stand.»Und Sie, Mr. Gossett? Was ist Ihre Meinung?»

Gossett legte die Fäuste auf die polierte Tischplatte und blickte sie nachdenklich an — sie waren auch ein Anblick: wie zwei Schinkenknochen. Mit tiefer Stimme antwortete er:»Wir haben einen tüchtigen Vorrat an Spieren und Segeln, Sir. Sie mag ja ein alter

Kasten sein, aber sie kann immer noch mit besseren und jüngeren Fahrzeugen mithalten. «Er grinste so breit, daß die kleinen blanken Augen fast im gebräunten Gesicht verschwanden.»Ich hab mal so'n * Navigationsoffizier (»Master«) und für die unmittelbare Schiffsführung verantwortlich (d.U.).

alten Vierundsiebziger aus 'ner Schlacht rausgesegelt, mit nur einem

Mast, und das ganze untere Geschützdeck vollgeschlagen!«Er gluckste, als wäre das ein riesiger Spaß gewesen. «Die Frogs* werden uns bereit finden, wenn sie in Reichweite kommen, Sir!»

Bolitho erhob sich. Er hatte den Topf zum Kochen gebracht, und die nächsten Tage würden ihm mehr über diese Männer verraten.»Schön meine Herren«, sagte er knapp.»Der Wind kommt immer noch frisch aus Nordwest. Segelsetzen in einer Stunde. «Er sah zu Quarme hinüber.»Lassen Sie >Alle Mann< pfeifen, und machen Sie klar zum Ankerlichten. Wir haben neunhundert Meilen vor uns, bis wir das Geschwader sichten. Nutzen Sie die gut aus!«Er blickte im Kreise herum. »Sie alle!»

Die Messe begann sich zu leeren. Er schritt rasch zu dem sonnengebleichten Achterdeck hinauf. Er wußte nicht warum, aber es war ein schlechter Anfang gewesen. Vielleicht litt er noch unter dem Fieber, vielleicht war er auch einfach müde vom langen Hoffen und Harren. Aber andererseits war es auch möglich, daß er für ein Schiff wie die Hyperion noch gar nicht reif war. Er verhielt einen Augenblick und starrte in die turmhohen Masten und auf die winzigen Gestalten, die wie sorglose Affen dort oben herumwerkten.

Allday kam übers Deck.»Ich habe Gimlett gesagt, daß er Ihr Seezeug rauslegt, Captain. «Er atmete tief ein und fuhr fort:»Ich bin froh, daß ich wieder auf einem Schiff segele. Ich hatte ein bißchen die Nase voll von den Hügeln — jeden Tag derselbe Anblick!»

Bolitho fuhr herum, aber er beherrschte sich. Es wäre zu billig gewesen, den Ärger über seine Müdigkeit und die unbefriedigende Dienstbesprechung an Allday auszulassen.

«Wenigstens werden die Frauen in Falmouth eine Weile vor Ihnen Ruhe haben, Allday!»

Der Bootsmann sah Bolitho nach, bis dieser unter der Kampanje verschwunden war, und grinste dann übers ganze Gesicht.»Der braucht keine Angst zu haben. Er hat sich nicht verändert, und so leicht wird ihn auch nichts ändern!«Dann lehnte er sich gegen die Finknetze und starrte über die Bucht auf die verankerten Schiffe.

* Ein damals bei den britischen Streitkräften gebräuchlicher Spottname für die Franzosen frog-eaters = Froschfresser, wegen ihrer Vorliebe für gebackene Froschschenkel). Vergleichbar dem Ausdruck >Krauts< für die Deutschen (d. Ü.).

II Demonstration der Stärke

Bolitho hatte seine Kajüte verlassen und ging raschen Schrittes zum Achterdeck. Unter dem Schutz der Kampanje standen die beiden Rudergasten am mächtigen Doppelrad und nahmen dienstliche Haltung ein, als er vorbeikam. Doch er blieb nur kurz stehen, um einen Blick auf den Kompaß zu werfen. Nordost zu Nord. Die Kompaßrose schien seit Tagen in dieser Position festgeklemmt zu sein. In den acht langen Tagen seit Gibraltar war die Hyperion nur mühselig und langsam vorangekommen und hatte knapp einen Durchschnitt von drei Knoten* halten können. Zweimal hatten sie sogar in Flaute festgelegen. Seit dem Ankerlichten hatten sie alles in allem nur 520 Meilen** zurückgelegt.

Aber als er in das helle Sonnenlicht hinaustrat, konnte er den Unterschied nicht nur sehen, sondern auch fühlen. Vor ein paar Minuten war ein Midshipman atemlos in die Kajüte gerannt gekommen und hatte gemeldet, daß die schwache Brise endlich auffrische; und er sah selbst, wie der Wimpel im Masttopp peitschend ausschlug und die neugesetzten Segel sich mit frischen Kräften spannten.

Quarme drehte sich von der Achterdeckreling zu ihm um und faßte an den Hut.»Ich habe Bramsegel setzen lassen, Sir. Hoffen wir, daß der Wind sich hält. «Er sah überanstrengt aus.

«Er wird schon, Mr. Quarme. «Bolitho war ohne Rock und Hut. Er fühlte mit einer Art sinnlichem Behagen, wie der Wind sein Hemd aufplusterte und ihm die trockenen Lippen kühlte.»Wir können gleich auch noch die Royals setzen.»

Er stützte sich mit den Handflächen auf die von der Sonne ausgedörrte Reling und blickte auf das Hauptdeck hinunter. Die sechzehn Kanonen der Steuerbordbatterie waren ausgerannt, und die Geschützbedienungen, nackt bis zum Gürtel, waren beim Exerzieren. Vom unteren Geschützdeck her vernahm er das Quietschen und

Rumpeln der Lafetten, als die schweren Vierundzwanzigpfünder es den oberen Geschützen nachtaten. Ohne aufzublicken, sagte er:

«Fünfzehn Minuten haben Sie heute für >Klar Schiff< gebraucht -

das ist zu lange, Mr. Quarme.»

* Geschwindigkeitsbezeichnung = Seemeilen je Stunde.

** l Seemeile = 1,85 km.

«Die Männer sind müde, Sir. «Quarme bemühte sich, das möglichst beiläufig zu sagen.»Aber es ist schon etwas besser geworden, scheint mir.»

Da das Schiff schon so lange Dienst tat, immer mit der gleichen Besatzung, waren allgemeine Seemannschaft und Segeldrill in Ordnung. Das Segelsetzen und — bergen ging so flott, daß es für einen Binnenländer aussehen mußte, als sei gar nichts dabei. Bo-litho wußte aus Erfahrung, daß ein Kriegsschiff beim ersten Auslaufen normalerweise mehr gepreßte, ahnungslose Landratten als ausgebildete Seeleute an Bord hatte; daher war er froh, daß seine Leute schon so lange auf See dienten. Aber ein Linienschiff war keine Fregatte, es brauchte normalerweise nur genug Seemannschaft, um auf Position und am Feind zu bleiben; komplizierte Manöver waren nicht seine Sache. Erst wenn es in Schußposition und zu massiver Feindberührung kam, wenn es bis zum Sieg oder Untergang kämpfen mußte, erwies sich sein wahrer Wert. Und wie Quarmes Meinung darüber auch sein mochte — Bolitho wußte, daß die Geschützausbildung auf der Hyperion erschreckend unzulänglich war.


Перейти на страницу:
Изменить размер шрифта: