In einiger Entfernung trieben drei weitere Zodiacs und ein größeres Schiff mit festem Rumpf. Alle hatten die Motoren abgestellt. Stringer gab über Funk die Sichtungen durch. Es war Whale Watching der vertraglichen Art, das sie hier betrieben, aber ein Jack Greywolf würde auch dagegen zu Felde ziehen.

Jack Greywolf war ein Idiot.

Ein gefährlicher Idiot obendrein. Anawak missfiel, was er plante. Tourist Watching. Lächerlich! Aber wenn es hart auf hart kam, hätte Greywolf die Medien fürs Erste auf seiner Seite. Es würde Davies in Misskredit bringen, egal, wie gewissenhaft und verantwortungsbewusst sie dort vorgingen. Störmanöver von Tierschützern, auch wenn sie ein dubioser Haufen waren wie Greywolfs Seaguards, würden Vorurteile bestätigen. Kaum jemand machte sich wirklich die Mühe, zwischen den Anliegen seriöser Organisationen und Fanatikern vom Schlage eines Jack Greywolf zu unterscheiden. Das kam erst später, wenn die Presse die Fakten aufarbeitete und der Schaden angerichtet war.

Und Greywolf war weiß Gott nicht Anawaks einzige Sorge.

Aufmerksam beobachtete er den Ozean, die Kamera einsatzbereit. Er fragte sich, ob er neuerdings unter Paranoia litt, ausgelöst durch seine Begegnung mit den beiden Buckelwalen. Sah er Gespenster, oder zeichnete sich im Verhalten der Tiere tatsächlich eine Veränderung ab?

»Rechts!«, rief Stringer.

Die Köpfe der Menschen im Zodiac folgten ihrer ausgestreckten Hand. Mehrere Grauwale hatten sich dem Boot genähert und vollführten anschauliche Tauchmanöver. Ihre Fluken schienen den Insassen zuzuwinken. Anawak schoss Fotos fürs Archiv. Shoemaker hätte vor Freude in die Hände geklatscht bei dem Anblick. Es war ein Bilderbuchtrip, als seien die Tiere übereingekommen, die Whale Watchers für die lange Zeit des Wartens mit einer großzügigen Revue zu entschädigen. Weiter draußen steckten drei große Graue die Köpfe aus dem Wasser.

»Das sind keine Grauwale, oder?«, fragte Delaware. Sie sah Anawak Kaugummi kauend an, als erwarte sie eine Belohnung.

»Nein. Es sind Buckelwale.«

»Sag’ ich doch. Woher kommt bloß diese dämliche Bezeichnung? Ich sehe keinen Buckel.«

»Sie haben auch keinen. Aber sie machen einen beim Abtauchen. Schätze, es ist diese charakteristische Körperkrümmung, die ihnen den Namen eingetragen hat.«

Delaware hob die Brauen. »Ich dachte eigentlich, der Name bezieht sich auf die kleinen Buckel am Maul. Auf diese Wucherungen.«

Anawak seufzte.

»Mal wieder in der Opposition, Licia?«

»‘tschuldigung.« Sie ruderte aufgeregt mit den Armen. »He, was machen die denn da? Was tun die?«

Die Köpfe der drei Buckelwale hatten zeitgleich die Wasseroberfläche durchstoßen. Sie hatten die riesigen Mäuler weit geöffnet, sodass man den rosafarbenen Gaumenstrang in der Mitte des schmalen Oberkiefers sehen konnte. Deutlich waren die herabhängenden Barten zu erkennen. Die gewaltigen Kehlsäcke schienen wie aufgebläht. Gischt wirbelte zwischen den Walen hoch — und noch etwas, glitzernd wie Flitter. Winzige, wild zappelnde Fische. Wie aus dem Nichts hatten sich Scharen von Möwen und Seetauchern eingefunden, die über dem Schauspiel kreisten und herabstießen, um an dem Gelage teilzuhaben.

»Sie fressen«, sagte Anawak, während er fotografierte.

»Irre! Sie sehen aus, als wollten sie uns fressen.«

»Licia! Mach dich nicht dümmer, als du bist.«

Delaware verschob den Kaugummi von einer Backe in die andere. »Du verstehst keinen Spaß«, sagte sie gelangweilt. »Ich weiß natürlich, dass sie sich von Krill ernähren und von all dem kleinen Viehzeug. Ich habe nur noch nie gesehen, wie sie es machen. Ich dachte immer, sie gleiten einfach mit offenem Maul dahin.«

»Glattwale tun das«, sagte Stringer über die Schulter. »Buckelwale haben ihre eigene Methode. Sie schwimmen unter einen Schwarm kleiner Fische oder Ruderfußkrebse und kreisen ihn mit einem Ring aus Luftblasen ein. Kleintiere meiden turbulentes Wasser, sie versuchen sich von dem Blasenvorhang fern zu halten und bleiben dicht beieinander. Die Wale tauchen auf, entfalten ihre Kehlfurchen und machen Gulp.«

»Erklär ihr nichts«, sagte Anawak. »Sie weiß ohnehin alles besser.«

»Gulp?«, echote Delaware.

»So nennt man es bei Furchenwalen. Das Gulp-Verfahren. Sie können ihren Kehlsack spreizen, darum sehen sie aus wie aufgepumpt. Durch dieses plötzliche Auseinanderfalten verwandeln sie ihre Kehle in ein riesiges Reservoir zur Nahrungsaufnahme. Krill und Fische werden mit einem Riesenschluck eingesaugt und bleiben in den Barten hängen, wenn die Wale das Wasser wieder rauspressen.«

Anawak gesellte sich an Stringers Seite. Delaware schien zu verstehen, dass er allein mit ihr sprechen wollte. Sie balancierte am Steuerhaus vorbei nach vorn zu den Passagieren und begann, ihnen das Gulp-Verfahren zu erklären.

Nach einer Weile sagte Anawak leise: »Wie kommen sie dir vor?«

Stringer wandte den Kopf.

»Die Wale?«

»Ja.«

»Komische Frage.« Sie überlegte einen Moment. »Wie immer, glaube ich. Wie kommen sie dir denn vor?«

»Du findest sie normal?«

»Klar. Sie sind regelrecht im Showfieber, wenn du das meinst. Ja, doch, sie sind verdammt gut drauf.«

»Nicht irgendwie … verändert?«

Sie kniff die Augen zusammen. Die Sonne lag gleißend auf dem Wasser. Nah am Boot tauchte ein grauscheckiger Rücken auf und verschwand. Die Buckelwale hatten sich wieder unter die Wasseroberfläche zurückgezogen.

»Verändert?«, sagte sie gedehnt. »Was meinst du damit?«

»Ich habe dir doch von den beiden Megapterae erzählt, die plötzlich neben dem Boot auftauchten.« Spontan benutzte er den wissenschaftlichen Namen für Buckelwale. Es war verrückt genug, was ihm im Kopf umherging. So klang es wenigstens halbwegs seriös.

»Ja. Und?«

»Na ja. Es war komisch.«

»Hast du schon erzählt. Einer auf jeder Seite. Du bist zu beneiden. Total abgefahren, und ich war mal wieder nicht dabei.«

»Ich weiß nicht, ob es abgefahren war. Es kam mir eher vor, als versuchten sie, die Lage abzuschätzen … als führten sie irgendwas im Schilde …«

»Du sprichst in Rätseln.«

»Es war nicht sehr angenehm.«

»Nicht sehr angenehm?« Stringer schüttelte entgeistert den Kopf. »Bist du bei Trost? Das ist genau die Sorte Begegnung, von der ich träume. Ich wünschte, ich wäre an deiner Stelle gewesen.«

»Nein, das tust du nicht. Du hättest keinen Spaß daran gehabt. Ich frage mich die ganze Zeit, wer da wen beobachtet hat, und zu welchem Zweck …«

»Leon. Es waren Wale. Keine Geheimagenten.«

Er fuhr sich über die Augen und zuckte die Achseln. »Okay, vergiss es. Wahrscheinlich Unsinn. Ich muss mich geirrt haben.«

Stringers Walkie-Talkie knackte. Quäkig meldete sich Tom Shoemakers Stimme.

»Susan? Geh mal auf 99.«

Sämtliche Whaling Stations sendeten und empfingen auf Frequenz 98. Es war praktisch, weil so alle über die Sichtungen im Bilde waren. Auch die Küstenwache und Tofino Air benutzten die 98er Frequenz, und leider verschiedene Sportfischer, deren Vorstellung von Whale Watching wesentlich rüder war. Für private Gespräche hatte jede Station ihren eigenen Kanal. Stringer schaltete um.

»Ist Leon in der Nähe?«, fragte Shoemaker.

»Ja, er ist hier.«

Sie reichte Anawak das Funkgerät. Er nahm es und sprach eine Weile mit Shoemaker. Dann sagte er: »Gut, ich komme hin. — Ja, das geht auch kurzfristig. — Sag ihnen, ich fliege los, sobald wir zurück sind. — Bis gleich.«

»Um was ging’s denn?«, wollte Stringer wissen, als er ihr das Funkgerät zurückgab.

»Um eine Anfrage. Von Inglewood.«

»Inglewood? Die Reederei?«

»Ja. Der Anruf kam aus dem Direktorium. Sie haben Tom nicht gerade mit Details überschüttet. Nur, dass sie meinen Rat brauchen. Und dass es ein bisschen eilt. — Merkwürdig. Tom hatte den Eindruck, dass sie mich am liebsten rüberbeamen würden.«


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