Inch keuchte:»Ein Schiff, das brennt!»

Bolitho kniff die Augen zusammen und versuchte zum hundertsten Mal, sich ein Bild von der Bucht zu machen. Das Schiff, das jetzt wie eine Fackel über seinem flammenden Spiegelbild loderte, war nur klein und befand sich irgendwo Steuerbord voraus.

Vereinzelte Schüsse waren zu hören, und Bolitho vermutete, daß der Feind Boote einsetzte, um noch im Schutz der Dämmerung das Ufer zu erreichen. Vielleicht war das Schiff durch einen Unglücksfall in Brand geraten, oder vielleicht hatten die Angreifer nur so viel Schaden wie möglich anrichten wollen, ehe sie sich wieder zurückzogen.

Wieder dröhnte eine dumpfe Explosion über das Wasser, doch diesmal gab es keinen Feuerschein; auch war weder die Richtung, aus der sie kam, noch ihre Entfernung zu schätzen.

«Ah, da ist sie!«Gossett hob einen Arm, als die Sonne über den Horizont stieg, die Schatten vertrieb und das endlose Muster der Wellenkämme mit blassem Gold überzog.

«An Deck! Zwei Schiffe in Lee voraus. «Dann ein überraschter Aufschrei:»Halt! Da ist noch eins, dicht am Ufer, Sir.»

Doch Bolitho konnte sie schon selbst sehen. In der Karibik war der Übergang von der Nacht zum Tag nur kurz. Die Sonne hatte den dunklen Schattenumriß der Insel bereits in ein Panorama aus Violett und Grün verwandelt; goldene Ränder hoben die Anhöhen auf der anderen Seite der Bucht hervor.

Die beiden ersten waren Linienschiffe, die langsam in entgegengesetzter Richtung segelten, fast im rechten Winkel zum Kurs der Hyperion und kaum zwei Meilen entfernt. Das dritte sah wie eine Fregatte aus; ein kurzer Blick auf ihre Segel verriet Bolitho, daß sie dicht unter der westlichen Landzunge vor Anker lag.

Vor Anker? Er schob alle Zweifel und Befürchtungen beiseite, als er die Wahrheit erkannte: Der Feind mußte das verankerte Schiff als Ablenkungsmanöver in Brand gesetzt haben.

Auf der gegenüberliegenden Seite des Ankergrunds, wo angeblich die Hauptbatterie ihre Stellung haben sollte, hatten die Eindringlinge zu einem Großangriff angesetzt und die Verteidiger im entscheidenden Augenblick abgelenkt und überrascht. In der frühen Morgendämmerung konnte das nicht schwer gewesen sein, dachte Bolitho grimmig. Es war nur menschlich, sich am Unglück anderer zu weiden, selbst wenn es die eigenen Kameraden waren, solange man selbst verschont blieb.

Während die aufgeschreckten Kanoniere in ihren Geschützstellungen das brennende Schiff beobachtet hatten, waren die Angreifer mit ihren Booten heimlich gelandet und hatten die Landzunge von der anderen Seite her überwunden.

Pelham-Martin sagte mit gepreßter Stimme:»Sie haben uns gesichtet.»

Das führende französische Schiff gab bereits ein Signal an seinen Begleiter, doch als das erste Sonnenlicht auf das geschützte Wasser der Bucht und die weißgetünchten Häuser am Ufer fiel, verriet keines der beiden Schiffe Anzeichen dafür, daß es Richtung oder Absicht ändern wolle. Der erste Schock beim Anblick der Hyperion mußte schnell überwunden worden sein, als der Feind erkannte, daß sie nur von einer einzelnen Fregatte begleitet wurde.

Bolitho spürte die Sonne warm auf dem Gesicht. Er konnte vor dem Bug der Feinde in die Bucht einlaufen, doch wenn die Franzosen die Batterie besetzt hatten, konnten ihre Schiffe unbesorgt hinter ihm hersegeln. Wenn er sich aber zurückhielt, würden sie sich in die Bucht zurückziehen und konnten dann selbst eine größere Streitmacht daran hindern, ihnen zu folgen.

Er sah zu dem Kommodore hinüber, der, das Gesicht voller Unentschlossenheit, unverwandt zu den französischen Schiffen hinüberstarrte.

Inch murmelte:»Zwei Vierundsiebziger, Sir. «Auch er blickte Pelham-Martin an, ehe er hinzufügte:»Wenn sie die andere Seite der Bucht erreichen, sind sie uns gegenüber im Vorteil, Sir.»

Bolitho bemerkte, daß mehrere Matrosen an den Brassen die Hälse reckten, um zu den Franzosen hinüberzustarren. Die Schiffe sahen völlig intakt aus, zeigten keine Beschädigungen durch die Geschütze der Küstenbatterie und wirkten wegen ihrer langsamen Annäherung nur noch gefährlicher. Im Sonnenlicht schimmerten

Teleskope, die vom Achterdeck des führenden Schiffs auf die Hyperion gerichtet waren. Hier und da bewegte sich eine Gestalt, und im Großtopp flatterte ein Wimpel, als bewege er sich aus eigener

Kraft.

Aber sonst glitten die Schiffe langsam und behäbig über das leicht bewegte Wasser, bis es schien, als ramme der Klüverbaum die Hyperion den des führenden Franzosen wie die Stoßzähne zweier Mammuts, die gegeneinander kämpften.

Auf dem Hauptdeck war die Spannung inzwischen fast physisch greifbar. Hinter jeder offenen Stückpforte kauerten die Kanoniere, die nackten Rücken glänzend vor Schweiß, während sie darauf warteten, zum erstenmal an der Abzugsleine zu reißen. Jeder Niedergang wurde von einem Marinesoldaten bewacht, und die Scharfschützen und Bedienungen der Drehbassen in den Masten leckten sich die Lippen und spähten mit zusammengekniffenen Augen nach ihren Gegnern aus.

Pelham-Martin räusperte sich.»Was beabsichtigen Sie zu tun?»

Bolitho entspannte sich etwas. Er fühlte, wie ihm der Schweiß über die Brust rann, und spürte seinen Herzschlag an den Rippen. Die Frage wirkte wie ein Dammbruch, befreite ihn von einer schweren Last. Einen Augenblick lang hatte er befürchtet, daß Pelham-Martins Nerven versagen und er den sofortigen Rückzug befehlen würde. Oder schlimmer noch: daß er in voller Fahrt in den Hafen einlaufen wolle, wo der Feind ihr Schiff in aller Ruhe zum Wrack schießen konnte.

«Wir werden vorm Bug des Feindes vorbeilaufen, Sir. «Er hielt den Blick auf das führende Schiff gerichtet. Wenn jetzt Anzeichen erkennbar wurden, daß der Feind mehr Segel setzte, dann mußte es für die Hyperion zu spät sein. Es bedeutete entweder eine Kollision, oder er mußte halsen und sein ungeschütztes Heck der Breitseite der Franzosen aussetzen.

Pelham-Martin nickte.»Und dann in die Bucht?»

«Nein, Sir. «Er drehte sich heftig um.»Einen Strich nach Steuerbord, Mr. Gossett!«Ruhiger fuhr er fort:»Wir werden halsen, sobald wir an dem führenden Schiff vorbei sind, und gegen seine Backbordseite Feuer eröffnen. «Er beobachtete die verheerende Wirkung, die seine Worte auf dem Gesicht des Kommodore auslösten.»Wenn wir Glück haben, können wir dann an seinem Heck vorbei und zwischen beiden Schiffen durchstoßen. Das bedeutet zwar, daß wir die Luvposition verlieren, aber wir können dabei beiden eine Lektion erteilen. «Er grinste und spürte, daß ihm die Lippen trocken wurden. Aber Pelham-Martin mußte doch begreifen! Wenn er versuchte, das Manöver mitten in der Ausführung abzubrechen, würde das katastrophale Folgen haben.

Wieder sah er zu den französischen Schiffen hinüber. Jetzt trennte nur noch eine halbe Meile das führende von seinen Geschützen. Es mußte in jedem Fall eine Katastrophe werden, wenn der Feind ihn mit seiner ersten Salve entmasten sollte.

Die französische Fregatte lag noch vor Anker; im Glas konnte Bolitho beobachten, wie ihre Boote zwischen Schiff und Landzunge hin und her jagten, und als er auf dem Gipfel der Anhöhe Rauch aufsteigen sah, wußte er, daß die zweite Explosion von einer Art Mine hergerührt hatte, als die Batteriestellung oder ein Magazin gesprengt worden waren.

Er spürte Pelham-Martins Hand auf seinem Arm.»Sir?»

Der Kommodore sagte:»Signal an Abdiel. Die Fregatte soll angreifen!«Er schüttelte sich unter seinem schweren Mantel.»Nun?»

«Ich schlage vor, daß sie in Luv bleibt, Sir, bis wir mit dem Angriff beginnen. Wenn sie nur einen Moment den Verdacht haben, daß wir nicht im Hafen Schutz suchen wollen, werden sie uns ausmanövrieren.»

«Ja. «Pelham-Martin fixierte einen Punkt über der Landzunge.»Ganz richtig.»

Bolitho riß sich los und eilte auf die andere Seite, um das führende Schiff zu beobachten. Plötzlich dachte er an etwas, das Winstan-ley ihm gesagt hatte, als er zum erstenmal an Bord der Indomitable gegangen war, um sich bei dem Kommodore zu melden.»Er wird Sie brauchen, ehe wir fertig sind. «Als Pelham-Martins dienstältester Kapitän mußte er dessen Schwächen besser kennen als jeder andere. Zweifellos verdankte der Kommodore seinen jetzigen Rang guten Beziehungen; oder vielleicht hatte er auch nur das Pech gehabt, für den Posten im rechten Moment verfügbar zu sein, obwohl er nicht die Erfahrung besaß, welche die Aufgabe erforderte.


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